DDR von A-Z, Band 1965

Infiltration (1965)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1966 1969 1975 1979 1985


 

Sammelbezeichnung für die kommun. Taktik des Einsickerns von Personen, verhüllter Propaganda und Gerüchten.

 

A. Durch I. soll eine geschlossene Abwehr gegen den Bolschewismus untergraben werden. Anders als laute, offene Propaganda ist sie gefährlich durch ihre unmerkliche, auf die Dauer zersetzende Wirkung. Das Ziel der vielfältigen I.-Methoden sind alle Personenkreise, bei denen Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen oder Verteidigungsscheu (Pazifismus) angenommen wird. Während durch personelle I. kommun. Vertrauensleute in wichtige Stellungen des gesamten öffentlichen Lebens eingeschleust werden sollen, will die geistige I. durch Ausstreuen von Zwecknachrichten im Westen ein Gefühl der Unsicherheit und Schwäche verbreiten. Zugleich will sie durch Koexistenz-Losungen den Verteidigungswillen gegen den Bolschewismus lähmen. Die wichtigsten westdeutschen Stützpunkte für die I.-Taktik sind: 1. die illegale KPD mit ihrem polit. Organi[S. 194]sationsapparat und ihrem technischen Druckschriftenvertriebs-Apparat. 2. Die kommun. Tarnorganisationen.

 

B. Für die I., die vor allem betrieben wird von der SED (Deutschlandpolitik), den Massenorganisationen und vom Staatsapparat, werden sehr hohe Summen ausgegeben. Die Richtlinien für die I. erteilt das Politbüro der SED. Die unmittelbare Anleitung hat die zuständige Abt. des ZK der SED. Nur die I. auf kulturell-wissenschaftlichem Gebiet übt der Sektor „Westarbeit“ der Abt. Kultur des ZK der SED aus.

 

1960 erschienen für Zwecke der I. mehr als 130 Zeitungen und Zeitschriften der Tarnorganisationen und (großenteils in der SBZ gedruckt) 120 kommun. Betriebszeitungen und mindestens 167 Zeitungen und Ortsblätter der verbotenen KPD. Im Frühjahr 1961 erschienen allein in West-Berlin über 50 illegale kommun. Zeitungen. Im Sept. 1962 gab es allein in Nordrhein-Westfalen 12 kommun. Betriebszeitungen. Ferner werden monatlich Millionen Flugblätter und Briefzeitungen in die Bundesrepublik eingeschmuggelt, z. T. über Länder Westeuropas.

 

Die wichtigste Hilfstruppe der SED für die I. ist die Organisation für die Westarbeit des FDGB (Deutschlandpolitik, Teil 5). In der SBZ und in der BRD sind für diese Arbeit mindestens 13.000 Agenten und Funktionäre tätig, davon rd. 3.500 hauptamtlich. Jeder Betrieb in der SBZ „betreut“ einen westdeutschen Betrieb des gleichen Faches, über den er eine Patenschaft ausübt.

 

1960 fuhren rd. 72.000 westdeutsche Arbeitnehmer als gesteuerte Kontakt-Sucher in die SBZ, um dort eine kommun. I. zu erhalten. Seit Ende 1962 werden stärker als vorher „Studiendelegationen“ aus der BRD in die SBZ gesandt. Sie sollen nicht nur einer I. unterzogen werden, sondern auch der Bevölkerung der SBZ ein falsches Bild von der BRD geben. Darüber hieß es im Dez. 1962 in der „Arbeit“ (Zeitschrift der FDGB): „Die Entsendung von westdeutschen Studiendelegationen in unsere Republik ist eine Form des Klassenkampfes der Arbeiter … für die Entwicklung einer konsequenten Arbeiterpolitik in Westdeutschland.“

 

Da die SED die Möglichkeit fürchtet, die Bundeswehr könne als Verteidigungskraft der nichtkommun. Welt noch gewichtiger werden, sucht sie durch I. ihre Disziplin und Verteidigungsbereitschaft zu zersetzen. — Die allgemeine I. arbeitete seit Herbst 1963 zeitweise weniger in die Weite, doch wurde sie dafür verfeinert und gezielt angesetzt. Jedenfalls wurde das Ziel der I., die Bildung revolutionärer Zellen, nicht geändert.

 

Literaturangaben

  • Albrecht, Ernst F.: Kontakte im Zwielicht… Infiltration im kommunalen Bereich. Godesberg 1960, Verlag für Publizistik. 92 S.
  • Kluth, Hans: Die KPD in der Bundesrepublik — ihre politische Tätigkeit und Organisation 1945–1956. Köln 1959, Westdeutscher Verlag. 154 S.
  • Maertens, A.: Aufmarsch gegen die Freiheit. Godesberg 1960, Hohwacht. 97 S. m. Abb. (Zeigt Infiltration gegen die Bundeswehr.)
  • Rauschning, Dietrich (Hrsg.): Die Gesamtverfassung Deutschlands … Texte zur Rechtslage Deutschlands. Mit e. Einl. von Herbert Krüger (Die Staatsverf. der Welt in Einzelausg., Bd. 1). Frankfurt a. M. 1962, Alfred Metzner. 798 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Neunte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1965: S. 193–194


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.