DDR von A-Z, Band 1965

Interzonenhandel (1965)

 

 

Siehe auch:


 

Bezeichnung für den Handel zwischen der BRD und der SBZ. Während die drei Westzonen ziemlich schnell wieder zu einem einheitlichen Handelsgebiet zusammenwuchsen, entwickelte sich der Warenaustausch zwischen Westdeutschland und der SBZ nur unter erheblichen Schwierigkeiten und niemals völlig zu seinem früheren Umfang. Die sowjetzonale Seite begehrt in der Hauptsache strategisch wichtige Güter, wie Eisen, Stahl, hochwertige chemische Erzeugnisse (Stickstoffdünger), Maschinenbau-, Eisen- und Metallwaren und Qualitätslebensmittel aller Art einschl. Wein und Hopfen. Als Gegenlieferung ins Bundesgebiet sind Holz, Eisen- und Stahlwaren, Maschinenersatzteile, Zellstoff, Textilien, Lebensmittel (Zucker), Chemikalien, Mineralöl und vor allem Braunkohlenbriketts vorgesehen.

 

Vertraglich geregelt wurde der I. in dem Mindener Abkommen (1946), dem Berliner Abkommen (1948), dem Frankfurter Abkommen (8. 10. 1949), seiner Verlängerung im Frühjahr 1951 (3. 2. 1951), dem Berliner Abkommen vom 20. 9. 1951 und den jährlich folgenden Vereinbarungen über die Warenlisten zum Abkommen. Ab 1. 10. 1949 sind auch beide Teile Berlins in die I.-Vereinbarungen eingeschlossen. Nach dem Frankfurter Abkommen vom 8. 10. 1949 werden die Interzonengeschäfte über die Deutsche ➝Notenbank und die Deutsche Bundesbank abgewickelt, die Verrechnung von DM West zu DM Ost erfolgt im Verhältnis 1:1, d.h. 1 Deutsche Mark = 1 VE (Verrechnungseinheit). Abgerechnet wird per Ende Juni jeden Jahres; etwaige Verrechnungsspitzen sind in DM West bar zu bezahlen. Der vertragliche I. wird in der SBZ durch das Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel (MAI) gelenkt. Die Bestimmungen für den Außenhandel mit dem Außenhandelsmonopol und der damit verbundenen Devisenzwangswirtschaft sowie den differenzierten Preisen zum Binnenhandel werden auch auf den I. angewendet. Im Bundesgebiet ist die Bundesstelle für den Warenverkehr zuständig. Zölle werden im I. nicht erhoben.

 

Der I. dient der sowjetzonalen Wirtschaft im wesentlichen dazu, Lücken in der Materialversorgung zu schließen, die von Moskau und den anderen sozialistischen Ländern nicht geschlossen werden können. Er wird stark von der jeweiligen politischen Situation beeinflußt. Mit der Vereinbarung vom 16. 8. 1960 über die Warenlisten für 1956 wurde erstmalig die einjährige Gültigkeitsdauer in eine unbegrenzte Laufzeit abgeändert; die SBZ war aus Planungsgründen an Abschlüssen über einen längeren Zeitraum interessiert.

 

Am 30. 9. 1960 wurde das I.-Abkommen wegen politischer Übergriffe in Berlin von der BRD zum Jahresende gekündigt, nach längeren Verhandlungen aber noch vor Ablauf der Kündigungsfrist wieder in Kraft gesetzt. Das ungleich größere wirtschaft[S. 198]liche Interesse der SBZ an der Aufrechterhaltung des I. ist daraus zu ersehen, daß etwa 10 v. H. des Außenhandels auf den I. entfallen, während der I. nur 2 bis 3 v. H. des Außenhandels der BRD ausmacht. Die SBZ versucht durch Schulung von Mitgliedern des „Ausschusses zur Förderung des deutschen Handels“ und des „Ausschusses des Berliner Handels“, die paritätisch zwischen SBZ und BRD besetzt sind, Einfluß auf das Volumen und die Struktur des I. zu nehmen und Differenzen im Warenaustausch für sich umzumünzen.

 

Die Mineralölabgaben wurden in der BRD geändert und brachten für die Zone höhere Belastung. Die BRD kam der SBZ jedoch entgegen und verzichtete für 1964 auf rd. 75 Mill. DM neuer Mineralölsteuern. Der im Abkommen verankerte Saldenausgleich wurde auf Wunsch der SBZ verschoben und damit der zeitlich begrenzte Swing von 200 Mill. VE gewissermaßen zu einem Dauerkredit. Die Zone kann auch auf Ersuchen künftig bestimmte ausländische Güter, wie z. B. Rohstoffe aus Übersee, im Rahmen des I. aus der BRD beziehen. Das bedeutet für das Regime mit seinen Devisenschwierigkeiten eine große Erleichterung.

 

Strukturveränderungen ergaben sich im I. in den letzten Jahren dadurch, daß die SBZ aus Versorgungsschwierigkeiten zur Erhöhung der Lebensmittelbezüge aus der BRD gezwungen war. Im Neuen ökonomischen System erfordert die Modernisierung der Industrie eine Ausweitung des I., besonders im Hinblick auf Anlagen zum Auf- und Ausbau einer modernen Kunstdüngermittelindustrie. Aus Devisengründen wird die SBZ auf den Bezug von Investitionsgütern aus der BRD angewiesen sein.

 

1962 erreichte das Handelsvolumen im H. nahezu einen Umsatz von 2 Mrd. VE, an dem die Warenbezüge aus der Zone mit einer Steigerung um 12 v. H. von 914 auf 1.022 Mill. VE beteiligt waren. Das Anwachsen des I. in den ersten Monaten 1964 ist eine Folge des steigenden Warenbedarfs der Zone. Starkes Interesse besteht am Bezug von Düngemitteln zur Ertragssteigerung der sozialistischen Landwirtschaft und damit zur Steigerung des Eigenaufkommens, um die Lebensmitteleinfuhren zugunsten von Rohstoffen drosseln zu können.


 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Neunte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1965: S. 197–198


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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