
Nationale Volksarmee (NVA) (1965)
Siehe auch:
Die aus der früheren Kasernierten Volkspolizei (KVP) hervorgegangene Armee (Militärpolitik, Teil 1,2)
A. Die als KVP bezeichnete Armee trug seit Okt. 1952, der Sowjetarmee ähnlich, olivgrüne Felduniformen. Damals hatte sie schon 2 Armeekorps mit je zwei mot. Schützen-Div. und einer mechanisierten (d.h. mit Kettenfahrzeugen versehenen) Div. Anfang 1956 hatte sie neben den 6 Div. (in 2 — territorialen Verwaltungen, d.h. Armeekorps) noch 1 mot. Schützen-Div., heeresunmittelbare Verbände und zahlreiche Offiziersschulen und Lehreinheiten. Neben dem Heer, das Anfang 1955 allein rund 90.000 Mann zählte, bestand eine Luftwaffe (KVP-Luft, zeitweise als „Aeroclub“ getarnt); seit 1950 aufgebaut, mit rund 300 Flugzeugen in 3 Flieger-Div., etwa 9.000 Mann stark. Dazu die Seestreitkräfte (bis 18. 1. 1956 als VP See getarnt), seit Mai 1950 aufgebaut, mit rund 9.000 Mann, mit 6 Div. (= Flottillen) mit rund 70 Seefahrzeugen. Am 18. 1. 1956 wurde in der Volkskammer das „Gesetz über die Schaffung der NVA und des Ministeriums für Nationale Verteidigung“ verabschiedet. Darin hieß es: „Die zahlenmäßige Stärke wird begrenzt entsprechend den Aufgaben zum Schutze des Territoriums der DDR, der Verteidigung ihrer Grenzen und der Luftverteidigung.“
Für den Ausbau der NVA sah der Haushaltsplan 1960 eine Mrd. DM Ost vor; tatsächlich betragen die Jahreskosten der Armee mindestens aber das Vierfache. Finanzminister Rumpf gab (s. „Neues Deutschland“ v. 29. 3. 1962) zu, daß der Staatshaushalt 1962 für Rüstung 2,76 Mrd. DM Ost vorsah. 1948–1955 sind — ohne daß sie im Staatshaushalt erschienen — mehr als 30 Mrd. DM Ost ausgegeben worden, 1954–62 dürften es mindestens 27 Mrd. gewesen sein.
B. Das Ministerium für Nationale Verteidigung (MfNV) in Strausberg (ostwärts Berlin) ist oberste Kommandobehörde. Sein Hauptstab führt die Landstreitkräfte, die kein eigenes Oberkommando haben.
Das Heer gliedert sich in ein nördl. und ein südl. Armeekorps, die amtlich als Militärbezirk V und III bezeichnet, werden. Zum Mil.-Bez. V (Sitz Neubrandenburg) gehören die 1. mot. Schützen-Div. (Potsdam), 8. mot. Schützen-Div. (Schwerin), 9. Panzer-Div. (Eggesin, südlich Ueckermünde); dazu Korpstruppen. — Zum Mil.-Bez. III (Sitz Leipzig) gehören: 4. mot. Schützen-Div. (Erfurt), 11. mot. Schützen- Div. (Halle), 7. Panzer-Div. (Dresden); dazu Korpstruppen.
C. Dem MfNV unterstehen direkt: a) das Wachregiment Strausberg und Heerestruppen (4 Rgt, 2 Btl., 1 Ausb.-Rgt. für alle Waffengattungen.); b) Militärakademie „Friedrich Engels“ (Dresden) mit ihrer Fakultät „Offiziersschule Naumburg“; und Militärärzte-Akademie (Greifswald); c) die Offiziersschulen für alle Waffengattungen des Heeres sind zusammengefaßt in einem Kombinat bei Löbau und Zittau westl. Görlitz. Es trägt den Namen Offz.-Schule der Landstreitkr. „Ernst-Thälmann“. — Die Schule für Polit-Offiziere (Berlin-Treptow) wurde 1962 aufgelöst. Nun werden die Polit-Offiziere in Sonderlehrgängen ausgebildet. — Auf Militärakademien der SU werden nur noch Stabsoffiziere der Flieger- u. Fiatruppen und der Marine, ferner Generale des Heeres ausgebildet.
D. Die NVA hat nur Waffen und Flugzeuge sowjet. Herkunft, aus der SBZ stammen ihre ungepanzerten Kraftfahrzeuge. Das Heer (ohne Grenztruppe) verfügt über mindestens etwa 1930 Panzer (darunter Hunderte moderner T 54); 325 schw. Granatwerfer (82–160 mm); 400 Pak (57 u. 82 mm); 460 Feldhaubitzen (122 u. 152 mm); 485 Fla-Geschütze (57 u. 100 mm); dazu zahlreiche Raketen-Werfer (240 mm) und Fla-Raketen. — Jede der Divisionen verfügt über 3 Chem. (d.h. Atomschutz-) Züge. Jede Division der NVA hat 2–3 Raketengeschütze, die dem westl. Typ FROG4 entsprechen und über 4–6, die dem Typ SCUD „A“ entsprechen. Mit diesen teils gelenkten, teils ungelenkten Boden-Boden-Raketen können jederzeit atomare Sprengköpfe mit je 50 bzw. 200 KT verschossen werden. Diese Waffen wurden auf der Parade am 7. 10. 1964 vorgeführt. Dieser offene Übergang der NVA zur Ausrüstung mit Atomwaffen wird durch die Atomkriegsausbildung der NVA ergänzt.
E. Das Kommando Grenze sitzt in Pätz bei Königs Wusterhausen. Chef: Generalmajor Erich Peter. — Die Grenztruppen bilden 10 Brigaden und 2 selbständige Regimenter. Die mot. Grenz-Rgtr. haben 3 Schützen- u. 1 Ausbildungs-Btl. Die Brig. haben (außer den vermutlich etwas schwächeren in und um Berlin) je 3 Rgt. und u.a. je 1 Komp., Panzer, Pioniere, Nachrichten, Chem. Dienste. Einige Brig. haben schon wieder Panzer-Btl.
Die Brig. 1 bewacht die Mauer zwischen Berlin West und dem Sowjetsektor Berlins. Die Brig. 2 u. 4 stehen an der Demarkationslinie zwischen Berlin West und der SBZ. Diese drei Brig. unterstehen dem (illegalen) „Stadtkommandanten“ von Berlin, Generalmajor Helmut Poppe.
[S. 301]Stabssitze der Grenzbrigaden sind: 1: Ost-Berlin (Karlshorst), 2: Groß-Glienicke (b. Potsdam), 4: Potsdam. An der Demarkationslinie zur BRD: 3: Perleberg, 5: Calbe a. d. Milde (Altmark), 7: Magdeburg, 9: Erfurt, 11: Meiningen, 13: Rudolstadt. „Küste“ (auch mit Bootsgruppen versehen): Rostock (untersteht der Volksmarine); das Rgt. Pirna bewacht Grenze zur Tschechoslowakei; das Rgt. Frankfurt a. d. Oder riegelt Demarkationslinie zu den polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten (Oder-Neiße-Linie) ab.
Die Grenztruppen haben etwa 160 Panzer T 34 u. 350 Schützenpanzerwagen. Da den Grenzsoldaten die Flucht leichter möglich ist als anderen Angehörigen der NVA und den Bewohnern der SBZ, werden sie politisch besonders gesiebt und „betreut“. Die Grenztruppenhelfer, die eine nachhaltige politische Schulung erhalten, werden weiterhin herangezogen. Die Grenzoffiziersschule „Rosa Luxemburg“ liegt in Plauen (Bez. Chemnitz).
F. Das Kommando der Luftstreitkräfte und Luftverteidigung sitzt in Eggersdorf bei Strausberg. Chef: Generalleutnant Keßler. Ihm unterstehen: 1. Jagdflieger-Div. (Cottbus), 3. Jagdflieger-Div. (Neubrandenburg); Flieger-Ausbildungs-Div. (Bautzen); Transportgeschwader Dessau; Hubschr.-Geschwader Brandenburg-Briest; 2 funktechn. Rgtr.; 1 Luftnachrichten-Rgt.; einige fliegertechn. Bataillone und -Komp. Die Offiziersschule der Luftstreitkräfte „Franz Mehring“ befindet sich unweit Bautzen. — Vorhanden sind rund 600 Flugzeuge (davon 400 Jäger MiG-15, -17, -19, auch eine Anzahl moderner MiG-21).
Die Luftverteidigung hat 5 Fla-Raketen-Rgtr., die nicht mehr nur Fla-Geschütze, sondern großenteils Fla-Raketen haben. Sie hat ca. 162 Fla-Geschütze (57 u. 100 mm) u. mindestens 90 Rak-Abschußgestelle. — Die Fla-Offz.-Schule liegt in Wildpark bei Potsdam.
G. Das Kommando der Volksmarine sitzt in Rostock. Chef: Vizeadmiral Willi ➝Ehm. Ihm untersteht: a) 1. Flottille (Peenemünde); 2. Flottille (Warnemünde), umfassend je 1 Abt. Minenleg- und Räumboote, U-Bootjäger, Räumpinassen, Hilfsschiffe. — b) Küstenschutzschiff-Brig. (Saßnitz); Torpedoschnellboots-Brig. (Stralsund-Dänholm).
Ferner sind ihm untergeordnet: Spezial-Einheiten; Nachrichten-Einheiten; Versorgungseinheiten; Brig. „Küste“ der Grenztruppen (Rostock); Offiziersschule der Volksmarine „Karl Liebknecht“ (Stralsund); Flottenschule I (Parow b. Stralsund); II (Kühlungsborn westl. Rostock); Erprobungszentrum Wolgast; Baubelehrungs-Abt. (Wolgast).
Die größeren Schiffe der VM. sind sowjet. Herkunft, nur kleinere Einheiten werden in der SBZ entworfen und gebaut. — Die VM. hat etwa 300 Schiffseinheiten, darunter: 4 Küstenschutzschiffe (KSS), d.h. Geleitzerstörer von 1.200 t; 24 Minenleg- und Räumboote (MLR) von 610–740 t; 40 Räumpinassen (R) von 75–100 t; 34 Torpedoschnellboote (TS) von 70 t; 18 U-Bootjäger (UJ) von 215 t; 15 Landungsschiffe (LS) von 300–400 t; 60 Küstenschutzboote (KS) von 78 t; 28 Wachboote von 50 t; 1 Schulschiff; rund 60 Hilfsschiffe und -fahrzeuge. — Dazu kommen 3 FK-Schnellboote, die mit Flug-Körpern (Raketen) versehen sind.
Die Rekrutierung der NVA ist seit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht (24. 1. 1962) erleichtert. Wichtig ist, daß Minister Hoffmann am 24. 1. 1962 vor der Volkskammer sagte, es würden „auch in Zukunft 40 bis 50 Prozent aller Dienenden Freiwillige sein“, d.h. etwa dreifach höher besoldete Berufssoldaten. Die Machthaber der SBZ vermeiden es grundsätzlich, die Stärke ihrer bewaffneten Kräfte anzugeben. Naturgemäß ist es schwierig, Nachrichten über die Rüstung der SBZ zu beschaffen und richtig einzuschätzen. Nach zuverlässigen Berichten war die NVA Mitte 1964 mindestens rund 189.500 Mann stark. (Aufgliederung siehe Seite 290.)
Zahl der Reservisten: etwa 600.000 (einschließlich der rund 95.000, die bei den Polizeitruppen dienten), unter Mitzählung jener, die vor 1945 ausgebildet waren, aber nach 1948 wieder übten.
Seit 1956 lassen SED und NVA Zirkel und Aktivs der Reservisten bilden, die seit 1958 meist als Reservistenkollektive bezeichnet werden. Sie sollen sich als Ausbilder in der GST und in den Kampfgruppen betätigen. Seit Ende 1957 werden diese Reservisten von den Kreiskommandos (Wehrmeldeämtern) erfaßt. Sie sollen regelmäßig zu Übungen einberufen werden. Die Ausbildung zum Reserveoffizier liegt bei der Truppe. Auch werden in großer Zahl Studenten zu Reserveoffizieren ausgebildet (militärische ➝Studenten-Ausbildung). Der Verlag des MfNV: „Deutscher Militärverlag“, gibt die Wochenzeitung „Die Volksarmee“ und die „Armeerundschau“ heraus, ferner militärwissenschaftliche Literatur, Erzählungen und Jugendschriften. Er übersetzt viel aus dem Russischen.
Dienstgrade der NVA: Soldat (= Matrose), Gefreiter (= Obermatrose), Stabsgefreiter (= Stabsmatrose), Unteroffizier (= Maat), Unterfeldwebel (= Obermaat), Feldwebel = Wachtmeister, Meister), Oberfeldwebel = Oberwachtmeister, Obermeister), Stabsfeldwebel (= Stabswachtmeister, Stabsobermeister). Offiziersränge: entsprechen der Bundeswehr außer Unterleutnant. Generalsränge sind: Generalmajor (= Konteradmiral), Generalleutnant (= Vizeadmiral), Generaloberst (= Admiral), Armeegeneral.
Literaturangaben
- Bohn, Helmut: Die patriotische Karte in der sowjetischen Deutschland-Politik. (Aus: „Ostprobleme“ 1955, H. 38, 40, 42) Bad Godesberg. 32 S.
- *: Die politische Armee der Sowjetzone in den Jahren 1955 bis 1958 (Denkschrift). (BMG) 1959. 45 S.
- Bader, Werner u. a.: Kampfgruppen, die Spezialtruppe der SED für den Bürgerkrieg — Eine Dokumentation. Köln 1962, Markus-Verlag. 128 S. m. zahlr. Abb. u. Dok.
- Bohn, Helmut: Armee gegen die Freiheit — Dokumente und Materialien zur Ideologie und Aufrüstung in der Sowjetzone. Köln 1956, Markus-Verlag. 241 S.
- Bohn, Helmut (und andere): Die Aufrüstung in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. 2., veränd. Aufl. (BB) 1960. 216 S.
- Boutard, R. J.: L'Armée en Allemagne Orientale … Paris 1955, Nouvelles Éditions Latines. 208 S.
- Grieneisen, W.: Die sowjetdeutsche Nationalarmee — Aufbau und Entwicklung von 1948 bis 1952 (in „Hefte der Kampfgruppe“). Berlin 1952. 88 S. m. Abb. u. Übers.
- Kopp, Fritz: Chronik der Wiederbewaffnung in Deutschland, Rüstung der Sowjetzone — Abwehr des Westens (Daten über Polizei und Bewaffnung 1945 bis 1958). Köln 1958, Markus-Verlag. 160 S.
- Martin, Friedrich P.: SED-Funktionäre in Offiziersuniform — Wer befiehlt in der „Nationalen Volksarmee“? Eine Dokumentation. Köln 1962, Markus-Verlag. 160 S. m. zahlr. Abb. u. Dok.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Neunte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1965: S. 300–301
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