
Neues ökonomisches System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft (1965)
Siehe auch:
- Neues ökonomisches System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft: 1966
Irreführende Bezeichnung für die nach Abschluß der sowjet. Liberman-Diskussion in der SBZ eingeleiteten organisatorischen Veränderungen in der Wirtschaft. Westliche Sachverständige sind der Meinung, daß es sich dabei nicht um eine Abkehr von dem System der zentralen Wirtschaftsplanung handelt. Auch die mit dem angeblichen NöS. verbundenen Veränderungen gehen von der unbewiesenen These aus, daß die zentrale Planung einem auf Marktwirtschaft beruhenden Wirtschaftssystem überlegen sei. Die im Juli 1963 veröffentlichte „Richtlinie“ des Ministerrats über das NöS. geht in keinem Punkte über das hinaus, was einige Monate vorher vom ZK der KPdSU den auf Reformen des sowjet. Wirtschaftssystems drängenden Wirtschaftlern in der SU an „vermehrten Zuständigkeiten und Dispositionsbefugnissen“ zugestanden worden war. Damit erwies sich das Ulbricht-Regime wieder einmal mehr als der Nachahmer sowjet. Entwicklungen. — Der Hauptinhalt der „Richtlinie“ betrifft eine neue, umfassende Reorganisation der Wirtschaft und die Einführung angeblicher „ökonomischer Hebel“ zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft. Als solche „Hebel“ werden bestimmte Maßnahmen zur Gewährleistung von „Rentabilität“ und „Gewinn“ angekündigt. Eine Prüfung dessen, was damit gemeint ist, zeigt, daß die Kommunisten mit diesen Vokabeln einen ganz anderen Begriffsinhalt verbinden, als in der westlichen Marktwirtschaft üblich ist. Die beiden neu verwendeten Begriffe bedeuten das gleiche, wie die von ihnen bisher gebrauchten Begriffe „Selbstkostensenkung“ und „Arbeitsproduktivitätssteigerung“. Gewinn und Rentabilität im marktwirtschaftlichen Sinne kann es nur dort geben, wo die Unternehmen (Produzenten) freie Entscheidung über Produktion und Absatz haben und wo marktwirtschaftliches Verhalten möglich ist. Dazu gehört, daß ungebundene Marktpreise den Bedarf anzeigen und die Produktion regulieren. Das alles fehlt auch in dem NöS. der SED. Die damit eingeleiteten Veränderungen betreffen im übrigen nicht die oberste Planungs- und Anleitungsebene, sondern ausschließlich solche Instanzen, die mit der Durchführung der vorgegebenen zentralen Pläne befaßt sind. Die wichtigsten der organisatorischen Veränderungen sind: 1. Die Vereinigungen volkseigener Betriebe werden — wie das bis 1949 der Fall war — wieder finanzwirtschaftlich bilanzierende Organe. Die ihnen angeschlossenen Betriebe werden (nachdem sie seit 1952 nicht als Betriebsteile der VVB galten) der vollen Weisungsbefugnis der VVB-Leitungen unterstellt. Die Bilanzen der Betriebe sind wieder Teilbilanzen der VVB. 2. Die örtliche Industrie, die seit 1958 den Bezirkswirtschaftsräten unterstellt war, wird dem Volkswirtschaftsrat unterstellt, wobei neue Wirtschaftsräte der Bezirke zwischengeschaltet sind.
Durch diese Maßnahmen wird die 1958 unter der Bezeichnung „Dezentralisation“ durchgeführte Reorganisation der Wirtschaft wieder rückgängig gemacht. Die in der „Richtlinie“ festgelegten Veränderungen zielen auf eine straffe Rezentralisierung ab, obwohl gewisse Aufgaben der Bilanzierung im Vorstadium der Planaufstellung von der Staatlichen Plankommission auf die neuen Vereinigungen volkseigener Betriebe übertragen werden. Die VVB sind hierbei lediglich Hilfsorgane der zentralen Planungsstellen ohne eigene Entscheidungsbefugnisse.
Die Einführung des „Neuen ökonomischen Systems“ war zeitlich verbunden mit der Einführung des Produktionsprinzips in der SED und in den staatlichen Organen, d.h. mit dem Bemühen der Parteiführung um verstärkte Einflußnahme und Kontrolle in der Wirtschaft. Entsprechend wurde die mit der Einführung des NöS. verbundene Absicht der Partei klargestellt: „Das neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft … dient … der weiteren Festigung und Entwicklung des demokratischen Zentralismus in der Wirtschaftsführung“ (Ulbrichtrede lt. „Neues Deutschland“ vom 26. 6. 1963). Durch das Organisationsprinzip des Demokratischen Zentralismus wird bekanntlich in kommunistisch beherrschten Ländern der Führungsanspruch der Parteispitze in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft abgesichert.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Neunte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1965: S. 306