Oder-Neiße-Linie (1965)
Siehe auch:
Demarkationslinie zwischen der SBZ und den unter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten. Verläuft von der Ostsee unmittelbar westlich Swinemünde an der Oder entlang bis zur Mündung der Lausitzer Neiße und folgt dem Lauf der Neiße bis zur tschechoslowakischen Grenze.
Im Febr. 1915 wurde auf der Krim-Konferenz von Roosevelt, Churchill und Stalin eine Entschädigung Polens für die von der SU annektierten polnischen Ostgebiete auf Kosten Deutschlands anerkannt, ohne daß Vereinbarungen über den Umfang des Gebietes getroffen worden wären. Nach Abschnitt IX des Potsdamer Abkommens wurde die diesbezügliche Meinung der Provisorischen Polnischen Regierung lediglich „geprüft“, doch „bekräftigten die Häupter der drei Regierungen die Auffassung, daß die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zur Friedenskonferenz zurückgestellt werden solle“. Ferner ergab die Potsdamer Konferenz darin Übereinstimmung, daß die in Frage stehenden deutschen Gebiete „unter die Verwaltung des polnischen Staates kommen und in dieser Hinsicht nicht als Teil der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland betrachtet werden sollen“. In der Folgezeit wurde von seiten der Westmächte bei jedem diplomatischen Anlaß der vorläufige Charakter der ONL. betont, während Polen und die SU die Vereinbarungen des Potsdamer Abkommens als endgültige Regelung betrachteten. Polen paßte den Verwaltungs- und Wirtschaftsaufbau den polnischen Verhältnissen an und begann mit einer polnischen Besiedlung der deutschen Gebiete. Bemerkenswert ist u.a. die Tatsache, daß die ONL. in erster Linie ein Produkt der Diskussion zwischen den Kriegsalliierten um die polnische Westgrenze war, die ihrerseits wegen der sowjetischen Ansprüche auf ostpolnisches Gebiet nach Westen verschoben werden mußte („Westverschiebung Polens“).
Die Haltung der SED wandelte sich gegenüber der ONL. im Laufe der Zeit nach den sowjet. Wünschen bis zu ihrer Anerkennung als endgültiger „Staatsgrenze“. Am 16. 10. 1946 erklärte z. B. Pieck: „Wir werden alles tun, damit bei den Alliierten die Grenzfrage nachgeprüft und eine ernste Korrektur an der jetzt bestehenden Ostgrenze vorgenommen wird“ („Berliner Zeitung“ Nr. 243 vom 17. 10. 1946). Dagegen heißt es in der Regierungserklärung Grotewohls vom 12. 10. 1949: „Die ONL. ist für uns eine Friedensgrenze …“ Im „Abkommen der DDR mit der Republik Polen“ vom 6. 7. 1947 wird die ONL. als „unantastbare Friedens- und Freundschaftsgrenze“ bezeichnet und damit der Versuch unternommen, die ONL. völkerrechtlich festzulegen. Jede kritische Äußerung von Bewohnern der SBZ über die ONL. wird als „Kriegshetze“ strafrechtlich verfolgt. Die Behauptung von der angeblichen „Friedensgrenze“ wird durch die Tatsachen Lügen gestraft. Tatsächlich ist die ONL. eine schwerbewachte Grenze mit ganz wenigen Übergängen, ohne kleinen Grenzverkehr, von gegenseitigem Mißtrauen der Bewacher auf beiden Seiten, mehr jedoch der SBZ, charakterisiert.
[S. 310]Durch die Erklärung des Bundeskabinetts vom 9. 6. 1950 wird der SBZ-Regierung jedes Recht bestritten, für das deutsche Volk zu sprechen, und alle von ihr getroffenen Vereinbarungen werden für null und nichtig erklärt.
Die Bundesrepublik hat aber ebenso eindeutig jede Revision der deutsch-polnischen Grenze durch Gewalt für indiskutabel erklärt. Die polnische Regierung reagiert auf jede Diskussion der Grenzfrage äußerst empfindlich; die Frage der deutschen Ostgrenze ist zu einer Kernfrage einer Friedensregelung mit Deutschland geworden; sie problematisiert insbesondere auch jeden Versuch, die Beziehungen zwischen der BRD und Polen zu verbessern. (Außenpolitik)
Literaturangaben
- Hoffmann, Friedrich: Die Oder-Neiße-Linie, Politische Entwicklung und völkerrechtliche Lage. Kitzingen 1949, Holzner. 55 S.
- Kraus, Herbert: Die Oder-Neiße-Linie — eine völkerrechtliche Studie. Köln 1954, Rudolf Müller. 47 S.
- Marzian, Herbert: Zeittafel und Dokumente zur Oder-Neiße-Linie. Kitzingen 1953, Holzner. 64 S.
- Quellen zur Entstehung der Oder-Neiße-Linie — ges. und hrsg. von Gotthold Rhode und Wolfgang Wagner (Die Deutschen Ostgebiete, ein Handbuch Bd. III). Stuttgart 1956, Brentano-Verlag. 292 S. m. 1 Karte.
- Ostdeutschland. Ein Hand- und Nachschlagebuch über alle Gebiete ostwärts von Oder und Neiße. 3. Aufl., Kitzingen 1953, Holzner. 198 S.
- Die Ostgebiete des Deutschen Reiches. (Ein Taschenbuch, hrsg. von Gotthold Rhode.) 4., verb. Aufl., Würzburg 1961, Holzner. 336 S. m. 19 Karten.
- Das östliche Deutschland — ein Handbuch (hrsg. vom Göttinger Arbeitskreis). Würzburg 1959, Holzner. 1013 S. m. 9 Karten.
- Rabl, Kurt: Die gegenwärtige völkerrechtliche Lage der deutschen Ostgebiete. München 1958, Isar Verlag. 151 S.
- Reece, Carroll: Das Recht auf Deutschlands Osten (Rede vor dem Repräsentantenhaus der USA). Leer 1957. 76 S.
- Wagner, Wolfgang: Die Entstehung der Oder-Neiße-Linie in den diplomatischen Verhandlungen während des Zweiten Weltkrieges (Die Deutschen Ostgebiete, ein Handbuch … Bd. 2). Stuttgart 1953, Brentano-Verlag. 168 S.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Neunte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1965: S. 309–310