DDR von A-Z, Band 1965

SED (1965)

 

 

Siehe auch:

 

[S. 383]

 

1. Gründung und politische Entwicklung

 

 

Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) entstand im April 1946 unter dem Druck der sowjet. Besatzungsmacht. Wie in anderen späteren Volksdemokratien forderten auch die Kommunisten in der SBZ, und zwar ab Nov. 1945, die organisatorische Verschmelzung mit der Sozialdemokratie „zu einer einheitlichen Arbeiterpartei“. Forderungen nach einer Urabstimmung der Mitglieder wurden nicht anerkannt, nicht vereinigungswillige Sozialdemokraten wurden verfolgt, z. T. verhaftet. Unter diesen Voraussetzungen konstituierte sich durch Zwangszusammenschluß der KPD und SPD am 21. 4. 1946 in Berlin die neue Einheitspartei. Entsprechende Vereinigungsbemühungen in Westdeutschland scheiterten am Widerstand der Sozialdemokraten und am Einspruch der westlichen Besatzungsmächte. Für Berlin wurde eine Sonderregelung getroffen. Mit einem Beschluß der alliierten Kommandantur wurden sowohl die SPD als. auch die SED in allen vier Sektoren zugelassen. In der auf dem Vereinigungsparteitag angenommenen Grundsatzerklärung hieß es, das Endziel der SED sei ein sozialistisches Deutschland, ihr Nahziel der Aufbau einer gesamtdeutschen antifaschistischen, parlamentarisch-demokratischen Republik (Antifaschistisch-demokratische Ordnung, Bodenreform, Enteignung „der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten“).

 

Ab 1948, insbesondere nach der 1. SED-Parteikonferenz (25.–28. 1. 1949), wurden das Konzept der antifaschistisch-demokratischen Ordnung sowie die zeitweilig gültige These vom deutschen Sonderweg zum Sozialismus fallengelassen. Unter der Parole Entwicklung der SED zu einer „Partei neuen Typus“ nach dem Vorbild der KPdSU erfolgte eine schnelle Bolschewisierung der Partei. Die Anerkennung der „führenden Rolle“ der SU und der KPdSU wurde zur Voraussetzung der Mitgliedschaft; die ideologische Grundlage wurde der Marxismus-Leninismus in Stalinscher Interpretation (Stalinismus). In mehreren Parteiüberprüfungen bzw. Säuberungen wurden sich diesem Kurs widersetzende Mitglieder und Funktionäre aus der SED entfernt, z. T. auch verhaftet. Die Partei dehnte systematisch ihren Einfluß und ihre Kontrolle auf alle anderen Parteien, die Massenorganisationen, den Staats- und Wirtschaftsapparat sowie auf weitere Lebensbereiche aus (Familienpolitik, Rechtswesen, Kulturpolitik usw.).

 

Auf die Bolschewisierung der SED folgte die Bolschewisierung der SBZ. Auf der 2. SED-Parteikonferenz (9.–12. 7. 1952) verkündete Ulbricht den Beginn des „sozialistischen Aufbaus“ in der SBZ. Der Generalangriff der SED auf das noch bestehende Privateigentum begann (Kollektivierung). Im Juni 1953 mußte die SED-Führung zwar den Aufbau des Sozialismus vorübergehend stoppen (Juni-Aufstand, Neuer Kurs), doch ab 1954/55 wurde er, wenn auch mit etwas gemilderten Methoden, fortgesetzt. Gleichzeitig lehnte die SED eine Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen ab (Spaltung und Wiedervereinigung Deutschlands).

 

Der XX. Parteitag der KPdSU sowie der „polnische Oktober“ und die ungarische Revolution führten 1956/57 auch in der SED zu schweren Krisenerscheinungen (Dritter Weg, Entstalinisierung, Nationalkommunismus, Revisionismus, Rehabilitierungen), doch gewannen die konservativen Funktionäre unter der Führung Ulbrichts die Oberhand. SED-Funktionäre, die weitgehende innenpolitische Reformen und eine Annäherung der beiden Teile Deutschlands für notwendig hielten (Harich, Schirdewan) wurden ausgeschaltet. Die SED blieb eine stalinistische Partei.

 

Nach der Vollkollektivierung der Landwirtschaft (1960) und dem Bau der Mauer (1961) trat im Jan. 1963 der VI. Parteitag der SED zusammen, um die Politik der Partei nach der Vollsozialisierung und völligen Abriegelung der SBZ zu verkünden. In dem auf diesem Parteitag angenommenen ersten Parteiprogramm forderte die SED „die Beseitigung … des Besatzungsregimes in Westberlin und seine Umwandlung in eine Freie Stadt“, „eine Konföderation der beiden [S. 385]deutschen Staaten, der sich auch die Freie Stadt Westberlin anschließen könnte“ und für die SBZ den „umfassenden Aufbau des Sozialismus“. Im Mittelpunkt einer mit dem VI. Parteitag beginnenden „Entstalinisierung von oben“ steht eine veränderte Wirtschaftspolitik (Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft), mit deren Hilfe das Wirtschaftssystem modernisiert und der Lebensstandard gehoben werden sollen.

 

2. Mitgliederbewegung, soziale Zusammensetzung, Organisation

 

 

Mitgliederstand nach offiziellen Angaben: April 1946: 1.298.000 (davon 47 v. H. Kommunisten und 53 v. H. Sozialdemokraten); April 1950: 1.750.000; April 1954: 1.413.000; Juli 1958: 1.492.932; Dez. 1961: 1.610.679; Jan. 1963:1.652.085 (das sind etwa 9,5 v. H. der Gesamtbevölkerung der SBZ). Altersstruktur 1960: 18–25 Jahre = 10 v. H.; 25–50 Jahre = 30 v. H.; über 50 Jahre = 60 v. H. Anteil der Frauen 1963: 24 v. H. Anteil der Arbeiter 1963: etwa 30 v. H. Der Organisationsaufbau entspricht dem sog. Demokratischen Zentralismus und seit 1962 außerdem dem Produktionsprinzip. Formell oberstes Organ ist der alle vier Jahre tagende Parteitag, der aus seiner Mitte das Zentralkomitee (ZK) wählt. Die eigentliche Führung liegt jedoch bei dem vom ZK formal gewählten Politbüro und beim Sekretariat des ZK. Beiden Gremien steht Ulbricht als Erster Sekretär des ZK der SED vor. Dem Produktionsprinzip entsprechen im Apparat des ZK und in den nachgeordneten Apparaten der Bezirks- und Kreisleitungen die Büros für Landwirtschaft sowie für Industrie und Bauwesen. (Vgl. graphische Darstellung, S. 384.) Die untersten Einheiten der Partei sind die über 50.000 Grundorganisationen (Betriebsparteiorganisationen). Eigene Parteiorganisationen (Politverwaltungen) bestehen in der Armee und bei der Eisenbahn, außerdem, im Range einer Bezirksleitung, bei der Wismut. Der Eintritt in die SED ist seit dem 1. 3. 1949 nur als Kandidat möglich.

 

Die SED-Führung leitet und kontrolliert die westdeutsche KPD, auch nach deren Verbot. Nach dem Bau der Mauer wurden die SED-Büros in Berlin (West) wegen des Protestes der Bevölkerung geschlossen, jedoch auf Beschluß des West-Berliner Oberverwaltungsgerichtes am 13. 1. 1962 wieder geöffnet. Am 24. 11. 1962 gab sich die SED in Berlin (West) ein eigenes Statut und konstituierte sich als angeblich selbständige Partei (SED-Westberlin). Bei den Wahlen zum West-Berliner Abgeordnetenhaus erhielt sie 1,3 v. H. der abgegebenen Stimmen.

 

Literaturangaben

  • Stern, Carola: Porträt einer bolschewistischen Partei — Entwicklung, Funktion und Situation der SED. Köln 1957, Verlag für Politik und Wirtschaft. 372 S.

 


 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Neunte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1965: S. 383–385


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.