
Theater (1965)
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Als Instrument der Bewußtseinsbildung, der Agitation und Propaganda ist die darstellende Kunst der kommun. Kulturpolitik unterworfen. Die Schauspielhäuser sollen „Pflanzstätten der Kultur, der fortgeschrittenen sowjetischen Ideologie und Moral“ sein und „an der Erziehung des Sowjetmenschen aktiv teilnehmen“ (Beschluß des ZK der KPdSU, 26. 8. 1946). Die Spielpläne „müssen … im Sinne unserer sozialistischen Kulturpolitik gestaltet werden“ (Abusch auf der Kulturkonferenz der SED 1957). Die SED beherrscht über ihre mannigfachen „Transmissionsriemen“ das gesamte T.-Leben. Die Dramatiker bilden eine Sektion im Deutschen ➝Schriftstellerverband. Die Bühnenkünstler sind in der Gewerkschaft Kunst des FDGB organisiert. Ihre Ausbildung erfolgt an der T.-Hochschule Leipzig und an der Schauspielschule Berlin; private Schauspielschulen gibt es nicht. Die Engagementsvermittlung läuft über die Staatliche Zentrale Bühnenvermittlung. Arbeitsrechtliche Grundlage ist das „Lohn- und Gehaltsabkommen für die Theater und Kulturorchester“, das zwischen dem Ministerium für Kultur und der Gewerkschaft Kunst vereinbart wird und neben den Tarifen und Sozialleistungen auch politische und gesellschaftliche Verpflichtungen der Künstler festlegt. Besonders wichtige Kräfte werden durch Einzelvertrag bevorzugt. Private Bühnen gibt es seit 1953 nicht mehr. Alle T. (1964: 75 Bühnen mit 17.300 Beschäftigten, davon 7.000 Techniker) unterstehen der Abt. Theater, Musik, Veranstaltungswesen des Ministeriums für Kultur, das die Subventionen zuteilt und die Intendanten einsetzt. Das Ministerium wiederum wird angeleitet und kontrolliert von der Abt. Kunst, Literatur und Kulturelle Massenarbeit des ZK der SED. Der berüchtigste SED-Funktionär, der sich mit T.-Fragen beschäftigt, ist Hans Rodenberg, Mitgl. des Staatsrates und stellv. Minister für Kultur.
An der Spielplangestaltung sind außer den künstlerischen Leitungen beteiligt die BPO und BGL der T., die Besucherräte und die örtlichen Instanzen der SED und des Staatsapparates. Verbote bereits einstudierter Werke kommen immer wieder vor, z. B. 1951 „Das Verhör des Lukullus“ von Brecht und Paul ➝Dessau in der Staatsoper Berlin, 1954 „Der Prinz von Homburg“ von Kleist im Stadttheater Erfurt, 1959 „Das Schwitzbad“ von Majakowski in der Volksbühne Berlin. Das erste Stück wurde wegen Pazifismus, das zweite wegen Militarismus verboten, das dritte wegen seiner Kritik an der Funktionärs-Bürokratie obwohl es sich um ein in der SU gefeiertes Werk und die Inszenierung eines sowjet. Regisseurs handelte. Der Bühnenvertrieb ist weitgehend vom „volkseigenen“ Henschel-Verlag in Berlin monopolisiert. Lizenzen für Weststücke müssen beim Ministerium für Kultur beantragt werden; die Genehmigung wird aus ideologischen und finanziellen Gründen (Devisen) nur selten erteilt. Die traditionelle Volksbühnen-Organisation und die T.-Abonnements sind durch das „Betriebs-Anrecht“ ersetzt worden, d.h. durch den kollektiven T.-Besuch unter Regie der BGL der jeweiligen Betriebe (Betriebskultur). Der theatralischen Betreuung der Dorfbevölkerung dient die „Landbespielung“. Das Publikum wird durch die politisch ausgerichteten Programmhefte, T.-Zirkel und Zuschauerkonferenzen beeinflußt. In den Besucherräten sitzen Vertreter der Parteien, Massenorganisationen und der Nationalen Volksarmee. Das Regime veranstaltet eine Reihe von Festspielen, so die Berliner Festtage (Gegenstück zu den Festwochen in West-Berlin), die Arbeiterfestspiele (Gegenstück zu den Ruhrfestspielen), die Ostseewoche (Gegenstück zu der Kieler Woche) u.a. Die T.-Kritik in der Presse dient ebenfalls der politisch-ideologischen Belehrung, und zwar des Publikums wie der Künstler. Die bekanntesten Kritiker sind Fritz Erpenbeck und Herbert Ihering. Fachorgan „Theater der Zeit“ (zweimal im Monat) wird von SED-Redakteuren herausgegeben.
[S. 432]Bei den Kinder-T., einer aus der SU übernommenen Einrichtung (5 in der SBZ), spielen die FDJ und die Organisationen der Jungen Pioniere eine entscheidende Rolle.
Das unbestreitbare internationale Ansehen des T. in der SBZ basiert ausschließlichen? der Leistung zweier Bühnen: des Berliner Ensembles, in der Nachfolge Brechts von Helene ➝Weigel und Erich ➝Engel geleitet, und der Komischen Oper Berlin unter Leitung von Walter ➝Felsenstein. Alle anderen Bühnen sind weit schwächer. Die wichtigsten unter ihnen sind in Berlin: die Deutsche Staatsoper (Intendant Hans Pischner), das Deutsche Theater mit seinen Kammerspielen (Wolfgang ➝Heinz), die Volksbühne und das Maxim-Gorki-Theater (Maxim ➝Vallentin); in der SBZ: das Staatstheater Dresden und die Städtischen Bühnen Leipzig. Den repräsentativen Bühnen, insbesondere dem Berliner Ensemble, der Komischen Oper und Deutschen Staatsoper, stehen nahezu unbegrenzte Mittel zur Verfügung für lange Probenzeiten und u. U. Verpflichtung westdeutscher Gäste. Dennoch sind die bedeutendsten Künstler nach dem Westen abgewandert. Nach dem 13. Aug. 1961 (Mauer) führte die Abwanderung zu einer ernsten Krise des T.-Lebens, die durch Gäste aus den Volksdemokratien und Absolventen der T.-Schulen notdürftig ausgeglichen wurde.
Die Darstellungskunst bewegt sich zwischen den beiden entgegengesetzten Methoden von Stanislawski und Brecht. Das Stanislawski-System, die konventionelle, am Naturalismus des 19. Jahrhunderts orientierte Methode, wird an den Schauspielschulen gelehrt; eine Art Modellbühne ist das Maxim-Gorki-Theater. In der Stalin-Zeit galt diese Methode als die einzig legitime; sie konnte allerdings, vornehmlich wegen der Abneigung der Künstler, nie ganz durchgesetzt werden. Seit dem Tauwetter hat die Epische Methode Brechts, eine avantgardistische und revolutionäre Methode, die so lange als Formalismus verpönt war, eine Aufwertung erfahren. Offiziell gelten heute beide Methoden als Sozialistischer Realismus, aber die Kulturfunktionäre bemühen sich, die Brechtsche Art, die besonders bei den jungen Künstlern Schule gemacht hat, wieder in den Hintergrund zu drängen und auf das Berliner Ensemble zu beschränken. Die Kritik richtet sich gegen die von Brecht-Epigonen entwickelten Formen des „didaktischen“ und „dialektischen T.“, die außer auf Brecht auf die Theaterrevolutionäre der zwanziger Jahre, Meyerhold und Tairow in Rußland, Piscator in Deutschland zurückgehen. (Meyerhold wurde 1939 liquidiert, Tairow erhielt 1946 Berufsverbot und starb verfemt, Piscator inszeniert jetzt in der Bundesrepublik.) Das didaktische und dialektische T. ist radikal kommunistisch (Dialektischer Materialismus), bedient sich aber formaler Extravaganzen und bevorzugt die Methode des „offenen Aussprechens“, stellt also die Schwierigkeiten des Aufbaus, die Härte des Klassenkampfes und die Fehler der Funktionäre relativ ungeschminkt dar. Die SED wirft dieser Form des T. bürgerliche Intellektualität, Mangel an Volkstümlichkeit und an Parteilichkeit vor.
Von den Dramatikern der SBZ stehen dem didaktisch-dialektischen Stil nahe Helmut ➝Baierl („Die Feststellung“, „Frau Flinz“), Heiner und Inge Müller („Der Lohndrücker“, „Die Korrektur“), Hans Pfeiffer („Laternenfest“) und der 1955 aus der BRD zugezogene Peter Hacks („Die Schlacht bei Lobositz“, „Die Sorgen und die Macht“), während Hedda Zinner („Der Teufelskreis“, „Die Lützower“), Harald Hauser („Am Ende der Nacht“, „Nightstep“) und Gustav von Wangenheim („Du bist der Richtige“, „Studentenkomödie“) das konventionell gebaute, schöngefärbte, politisch wie menschlich verlogene Tendenzstück nach sowjet. Muster vertreten. Hans Lucke schreibt geschickte Unterhaltungsstücke mit kommun. Tendenz („Kaution“). Die beiden inzwischen verstorbenen Klassiker der deutschen kommun. Dramatik, Brecht und Friedrich Wolf, haben alle bedeutenden Stücke vor ihrer Ansiedlung in Ost-Berlin geschrieben, sind also nur bedingt als Dramatiker der SBZ zu verzeichnen; beide äußerten sich am Ende ihres Lebens verbittert über das SED-Regime. Während des Tauwetters wurden die sowjet. und sowjetzonalen Tendenzstücke weitgehend aus den Spielplänen der SBZ-Bühnen verdrängt, eine Entwicklung, die die SED durch rigorose Säuberung rückgängig machte (1957–59: Ablösung von 22 Intendanten). Einen wesentlichen Teil des Spielplanes bestreiten klassische Werke, die freilich häufig in Inszenierung und Programmheft tendenziös ausgelegt werden (Kulturelles Erbe).
Das didaktische T. konnte sich am stärksten in der Laienkunst durchsetzen (Agitprop-Gruppen). Seit der 1. Bitterfelder Konferenz orientiert sich die Kulturpolitik jedoch auf das sog. Arbeiter-T., eine dilettantische Kopie des Berufs-T. 1963 gab es 133 Arbeiter- und Bauern-T. mit 4.200 Mitwirkenden. Das Arbeiter-T. führt neben Tendenzstücken sogar Klassiker und Opern auf (Arbeiteroper); denn nach kommun. Auffassung gibt es keinen „qualitativen“ Unterschied zwischen Berufskünstlern und Laien. Als Charakteristiken des Arbeiter-T. nannte ein Funktionär des Ministeriums für Kultur: 1. „Die Mitglieder sollten in ihrer Mehrheit Arbeiter und Bauern sein“; 2. „Die Mitglieder betrachten ihre künstlerische Tätigkeit als gesellschaftlichen Auftrag und wollen ihrer Klasse beim Aufbau eines sozialistischen Kulturlebens helfen“; 3. „Die Arbeiter-T. betreiben ihre Arbeit nicht als Selbstzweck, sondern mit dem Ziel, in einigen Jahren aktiv und planmäßig an der Befriedigung der kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung unserer Republik mitzuhelfen (Sonntag, 6. 12. 1959).“ Das Arbeiter-T. gilt als Volkskunst. (Literatur, Kabarett, Kulturelle Massenarbeit, Kultureller Austausch)
Literaturangaben
- Hain, Sybille: Vom Volkstheater zur politischen Massenveranstaltung. München 1959, Pohl und Co. 120 S.
- Rühle, Jürgen: Das gefesselte Theater — vom Revolutionstheater zum sozialistischen Realismus. Köln 1957, Kiepenheuer und Witsch. 457 S. m. 16 Abb.
- Tobias, Josef: Die neuere Entwicklung des Theaters in der SBZ … (1955 bis 1956). (BB) 1957. 34 S.
- Weber, Jochen: Das Theater in der sowjetischen Besatzungszone. (BB) 1955. 144 S. m. 20 Anlagen.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Neunte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1965: S. 431–432
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