DDR von A-Z, Band 1965

Vergesellschaftung (1965)

 

 

Siehe auch die Jahre 1963 1966 1969 1975 1979


 

Gelegentlich in der bolschewistischen Selbstreflektion verwendeter u. vorzüglich zutreffender Ausdruck für den Gesamtprozeß der Manipulation bzw. das von ihm angestrebte Resultat, dem im bolschewistischen Machtbereich Personen wie Sachen unterworfen werden. Der Begriff V. bezog sich zunächst auf die Produktionsmittel (Marxismus-Leninismus), die nominell in Gesellschafts- bzw. Volks- oder Gruppeneigentum, faktisch in Staatseigentum überführt werden (Volkseigentum, Kollektivierung). Es wird aber weiterhin angestrebt, die Menschen selbst durch entsprechende Einübung wie durch direkte Bewußtseinsbildung zu einem von sog. sozialistischer ➝Moral getragenen Typ des vergesellschafteten Menschen umzuformen, der sich am Kollektiv orientiert, ihm seine Individualität (Individualismus) unterordnet und seinerseits wiederum sozialkontrollierend auf das Kollektiv einzuwirken bereit ist, so daß Partei und Staat sukzessive einen Teil ihrer Kontroll- und Gewaltfunktionen auf in ihrem Sinn funktionierende Gesamt- oder Teilkollektive abzulasten in die Lage kommen (Gesetz[S. 449]buch der Arbeit, Konfliktkommissionen, sozialistische Leitung). Als wichtigste Hebel zur V. der Menschen in diesem umfassenden Sinn werden die Arbeit (Arbeiter), vor allem in ihren auch gruppenmäßig straff durchinstitutionalisierten Formen (sozialistische ➝Gemeinschaftsarbeit in Form von Brigaden u.ä., wo auch gemeinschaftliche Freizeitverbringung angestrebt ist, Freizeitgestaltung), ferner die vorschulische, schulische (Ganztagsschulen) und nebenschulische, von der FDJ kontrollierte und manipulierte Gemeinschaftseinübung der Jugendlichen (Erziehungs- u. Bildungswesen, Jugend) und schließlich der Kollektivstil des Parteilebens (Kollektive Führung, Kritik und Selbstkritik) entwickelt. Während die mentale V. bei der älteren Generation, nicht zuletzt der Arbeiterschaft, wenig Fortschritte macht, ist es der Führung gelungen, beträchtliche Teile der Jugend an gewisse Normen der V. als etwas ihnen Selbstverständliches zu gewöhnen, ohne daß damit eine eigentliche bolschewistische Indoktrinierung erreicht wäre. — Manipulierte Ritualformen der V. wie die Jugendweihe, Namensweihe, sozialistische ➝Eheschließung, sozialistisches ➝Begräbnis sollen das Hineinwachsen der Individualitäten-Gesellschaft in die V. zusätzlich fördern.


 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Neunte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1965: S. 448–449


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.