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Widerspruch (1965)
Siehe auch die Jahre 1959 1960 1962 1963 1966 1979 1985
Zentrale Kategorie des Dialektischen Materialismus. Der W. gilt als „Quelle“ der Entwicklung, die in Dingen und Prozessen selbst liege. Alle Erscheinungen und Prozesse der objektiven Welt besitzen innere W. oder sind „Einheiten von Gegensätzen“. Die in dieser Einheit gegebenen, sich gegenseitig bedingenden, aber auch sich ausschließenden gegensätzlichen Seiten und Tendenzen stehen im Kampf miteinander, der die Entwicklung vorantreibt. Die Lösung und Überwindung wesentlicher W. bedeutet Vernichtung des Alten und Entstehung des Neuen. Wohl gibt es nach dem Diamat auch äußere W. zwischen zwei Gegenständen, aber ihre Bedeutung wird nicht so hoch veranschlagt wie die im Wesen des Gegenstandes gegebenen (inneren) Gegensätze. Charakteristisch für die Selbstinterpretation des Kommunismus ist die Unterscheidung zwischen antagonistischen und nichtantagonistischen W. Erstere sind nach dem Diamat kennzeichnend für Klassengesellschaften; sie sind strukturbedingte unversöhnliche Gegensätze zwischen feindlichen Kräften. Sie können nur durch einen revolutionären Wandel der betreffenden Gesellschaftsformation überwunden werden. Letztere sind nur W. zwischen Kräften und Tendenzen, zwischen denen das Gemeinsame überwiegt; sie lassen sich demgemäß auch mildern und beseitigen. Der nichtantagonistische W. gilt als kennzeichnend für das kommunistische Regime; diese Tatsache garantiert angeblich seine Entwicklung ohne „Explosionen“. Die Betrachtung der „sozialistischen“ Gesellschaft unter dem Aspekt des W. und seine Berücksichtigung bei politischen Zielsetzungen setzt sich erst in den fünfziger Jahren durch, was u.a. auf den Einfluß Mao Tse-Tungs zurückgeht (seine Schrift „Über den Widerspruch“). Soweit nicht der „Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus“ zur Diskussion steht, erkennt der Diamat nur solche nichtantagonistischen W. (Gegensätze, Konflikte, Spannungen etc.) im „Sozialismus“ an, die Wachstumsschwierigkeiten des Regimes gleichkommen (wie zwischen Neuem und Altem, zwischen den wachsenden Bedürfnissen und der noch ungenügenden materiellen und technischen Basis zu ihrer Befriedigung etc.).
Seit dem V. Parteitag der SED wird die Kategorie Grund-W. nicht nur bei der Deutung der Weltsituation, sondern auch bei der der gesamtdeutschen Situation angewandt. Der Grund-W. ist der W., der den widersprüchlichen Charakter im „Wesen“ eines „Gegenstandes“ zum Ausdruck bringt. Der die deutsche Situation bestimmende Grund-W. ist der Antagonismus zwischen den imperialistischen Mächten des Krieges (Monopolkapitalisten und Militaristen) und den „Friedenskräften“. Dieser antagonistische W. soll nicht mit dem Gegensatz von Bonn und Pankow zusammenfallen, sondern auch in der Bundesrepublik wirksam sein. Die SBZ beansprucht aber die Führung der „Friedenskräfte“ im [S. 477]Osten und Westen Deutschlands und rechnet sich die Chancen des Sieges zu. Wenn auch nicht geleugnet wird, daß es W. in der SBZ gebe, versucht man sie doch als vornehmlich nichtantagonistische zu verharmlosen und den Eindruck zu erwecken, daß die Bevölkerung der SBZ geschlossen den Parolen der SED gegen die BRD folge.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Neunte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1965: S. 476–477