
Abwerbung (1966)
Siehe auch die Jahre 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1969 1975 1979
Begriff stammt ursprünglich aus dem wirtschaftlichen Bereich und bezieht sich auf die A. von Arbeitskräften durch einen Betrieb bei einem anderen Unternehmen. In diesem Sinne ist die A. in der SBZ nicht von Bedeutung. Hier ist es die Bezeichnung für die Verleitung zur Republikflucht, 1955 in der Rechtsprechung erstmalig in diesem Sinne gebraucht. Seitdem wurde die A. als eine Erscheinungsform der Boykotthetze im Sinne des Art. 6 der Verfassung angesehen und als Staatsverbrechen mit schweren Strafen geahndet. Die Strafpolitik nahm keine Rücksicht auf die eigene Verfassung, die in Art. 8 die Freizügigkeit, in Art. 10 das Recht auf Auswanderung garantiert.
Durch das Strafrechtsergänzungsgesetz vom 11. 12. 1957 (GBl. S. 643) wurde der Tatbestand der „Verleitung zum Verlassen der DDR“ gesetzlich festgelegt. Mit Zuchthaus bis zu 15 Jahren kann danach bestraft werden, wer es im Auftrage von Agentenorganisationen, Spionageagenturen oder ähnlichen Dienststellen oder von Wirtschaftsunternehmen unternimmt, eine Person zum Verlassen der „DDR“ zu verleiten. Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ist für denjenigen angedroht, der es ohne besonderen Auftrag unternimmt, einen Jugendlichen, einen in der Berufsausbildung stehenden Menschen oder eine Person wegen ihrer beruflichen Tätigkeit oder wegen ihrer besonderen Fähigkeiten oder Leistungen (z. B. Sportler) mittels Drohung, Täuschung oder Versprechen zum Verlassen der „DDR“ zu verleiten. Es kommt nach dieser gesetzlichen Neuregelung also nicht mehr darauf an, ob das Verlassen des „Abgeworbenen“ auf legalem Wege oder durch „Republikflucht“ erfolgen soll. Als Methode der A. erwähnt Jahn schon „die Verherrlichung der westdeutschen Verhältnisse … Zu dieser Methode sind alle Fälle zu zählen, in denen .die Täter auf angebliche Vorzüge des Lebens im Westen hinweisen“ (in „Neue Justiz“ 1958, S. 844). Eine besondere Rolle spielte die A. für die Begründung der Abriegelungsmaßnahmen des 13. 8. 1961. Die allgemeine Sprachregelung ging von A. auf „Menschenhandel“ und „Kopfjägerei“ über. In zwei großen Prozessen vor dem OG im Aug. 1961 wurden angebliche „Menschenhändler und Kopfjäger“ zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt. In einem Urteil vom 11. 7. 1963 („Neue Justiz“ 1964, S. 125) spricht das OG von „organisiertem Menschenhandel“. Bewohner der Bundesrepublik oder West-Berlins, die zur Flucht entschlossenen SBZ-Bewohnern bei diesem Unternehmen Hilfe leisten wollten, wurden in der Folgezeit als Angehörige oder Helfer von „Schleuserorganisationen“ bezeichnet. Im Sprachgebrauch der Zonenjustiz kam der Begriff „Schleusungsverbrechen“ auf. Am 21. 6. 1963 verurteilte das OG 4 unter diesem Vorwurf und wegen „verbrecherischen Mißbrauchs des Transitverkehrs zwischen West-Berlin und Westdeutschland“ Angeklagte zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe, 10, 6 und 5 Jahren Zuchthaus.
Für das künftige Strafgesetzbuch wird eine Erweiterung des Tatbestandes der A. vorgeschlagen, die eine Rückkehr zur früheren Rechtsprechung gegen Boykotthetze bedeutet. „Die Abwerbung … muß generell für strafbar erklärt werden …, gleich, gegen welche Personen sie sich richtet.“ Die gefährlichen Formen der A. sollen in einem „schweren Fall“ zusammengefaßt werden („Neue Justiz“ 1959, S. 631).
Literaturangaben
- Rosenthal, Walther: Die Justiz in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands — Aufgaben, Methoden und Aufbau. (BB) 1962. 175 S.
- Unrecht als System, Bd. III — Dokumente über planmäßige Rechtsverletzungen im sowjetischen Besatzungsgebiet 1954 bis 1958. (BMG) 1958. 284 S.
- Unrecht als System, Bd. IV … 1958 bis 1961 (BMG) 1962. 291 S.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1966: S. 11
Abweichungen | A, B, C, D, E, F, G, H, I, J, K, L, M, N, O, P, Q, R, S, T, U, V, W, Z | Ackermann, Anton |