DDR von A-Z, Band 1966

Amnestie (1966)

 

 

Siehe auch die Jahre 1960 1962 1963 1965 1969 1975 1979 1985


 

Als A.-Gesetze im technischen Sinne können bezeichnet werden:

 

1. Verordnungen über die Gewährung von Straffreiheit in den einzelnen Ländern der SBZ (z. B. in Brandenburg am 29. 11. 1945), 2. Befehl Nr. 228 der SMAD vom 30. 7. 1946 („Nichtigkeit von Urteilen in politischen Sachen und die Einstellung von Strafverfahren in Fällen bestimmter strafbarer Handlungen, die vor dem 8. Mai 1945 begangen sind“), 3. Befehl Nr. 43 der SMAD vom 18. 3. 1948 (Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr — Ausnahmen: „Spekulanten und Schieber“), 4. Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit vom 11. 11. 1949 (GBl. I, S. 60) (Freiheitsstrafen bis zu 6 Monaten und Geldstrafen bis zu 5.000 DM Ost — Ausnahmen: politische Urteile nach Art. III A III der Kontr.-Rat-Dir. Nr. 38 und Art. 6 der Verfassung). Über die Einstellung anhängiger Verfahren entschieden in der zu 3) und 4) erwähnten A. besonders gebildete A.-Kommissionen.

 

Nach 1949 wurden einige Gnadenaktionen durchgeführt. Dabei war in jedem Einzelfall ein besonderer Begnadigungsakt erforderlich. Es war also möglich, die Haftentlassung einzelner Personen zu verhindern, selbst wenn die allgemeinen Richtlinien der jeweiligen Aktion auf den Einzelfall zutrafen:

 

1. Gnadenaktion des Staatspräsidenten am 7. 10. 1951 (Freiheitsstrafen bis zu 1 Jahr ganz, Freiheitsstrafen von 1 bis 3 Jahren zur Hälfte, Geldstrafen bis zu 500 DM Ost — Ausnahmen: politische Verurteilungen.)

 

2. Gnadenerlasse für Waldheim-Verurteilte (Kriegsverbrecherprozesse) in den Jahren 1952, 1954, 1956.

 

3. Ministerratsbeschluß vom 22. 12. 1955 über die vorzeitige Haftentlassung von 2.616 Verurteilten (Sowjetisches Militärtribunal).

 

4. Gnadenaktion 1956 (Überprüfung aller Urteile aus der Zeit vor dem 1. 4. 1956 bis zu 1 Jahr Freiheitsstrafe und aller noch nicht abgeschlossenen Verfahren — Ausnahmen: politische Delikte, Sittlichkeitsdelikte an Kindern und vorsätzliche Brandstiftungen. Auf Grund dieser Gnadenaktion wurden nach einer Mitteilung des Presseamtes beim Ministerpräsidenten vom 1. 6. 1956 19.064 Verurteilte vorzeitig aus der Haft entlassen.)

 

5. Beschluß des Staatsrates über die Gewährung von Straferlaß durch Gnadenerweis vom 1. 10. 1960 (GBl. I, S. 533) (Freiheitsstrafen bis zu 1 Jahr; Freiheitsstrafen, von nicht mehr als 3 Jahren, die zur Hälfte verbüßt sind; Freiheitsstrafen von mehr als 3 Jahren, die zu zwei Dritteln verbüßt worden sind, wenn die Verurteilten nach ihrem jetzigen Verhalten die Gewähr dafür bieten, daß sie künftig die sozialistische Gesetzlichkeit einhalten werden; bedingt ausgesprochene Freiheitsstrafen, wenn die Bedingungen für die Vollstreckung der Strafe nicht eingetreten sind.) Bei den mehr als 3 Jahre betragenden Freiheitsstrafen mußte also in jedem Einzelfall geprüft und, wenn Haftentlassung erfolgen sollte, bejaht werden, daß der Verurteilte „künftig die sozialistische Gesetzlichkeit“ einhalten wird. In vielen Fällen wurde diese Voraussetzung offenbar nicht gesehen, denn eine Haftentlassung erfolgte nicht, obwohl mehr als zwei Drittel der Strafe verbüßt waren. Unter den Amnestierten, deren Anzahl nach Ulbricht 16.000 betragen haben soll, befanden sich etwa 3.000 politische ➝Häftlinge.

 

Nach dem Staatsratsbeschluß vom 24. 5. 1962 (Strafpolitik) kam es in den Monaten Juni bis August 1962 zu weiteren Entlassungen unter Anwendung des § 346 StPO (bedingte Strafaussetzung).

 

6. A.-Erlaß des Staatsrates vom 3. 10. 1964 (GBl. I, S. 135) zum 15. Jahrestag der Gründung der „DDR“. Auch dieser Erlaß gab den davon Betroffenen keinen Rechtsanspruch auf Haftentlassung, sondern ordnete in Anlehnung an die früheren Gnadenaktionen an, daß Strafen, auf die vor dem 30. 9. 1964 erkannt worden war, im Gnadenwege erlassen werden können, „wenn die Verurteilten auf Grund ihres Gesamtverhaltens die Gewähr dafür bieten, daß sie künftig die sozialistische Gesetzlichkeit achten“. Das bedeutet, daß in jedem Einzelfall zu prüfen war, ob der Erlaß Anwendung finden konnte, oder ob etwa die Voraussetzungen für ein künftiges politisches Wohlverhalten als nicht erfüllt anzusehen waren. Von der Anwendung des A.-Erlasses waren Strafgefangene ausgeschlossen, die Verbrechen gegen den Frieden, die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen begangen, befohlen oder begünstigt oder Verbrechen gegen das Leben oder die Sittlichkeit verübt hatten. Ausgeschlossen waren ferner Personen, die wegen „besonders schwerwiegender Verbrechen gegen die DDR“ verurteilt worden waren. Für Strafgefangene, die vor dem 13. 8. 1961 „schwere Verbrechen gegen die DDR“ begangen hatten, konnte die Strafe herabgesetzt werden, ohne daß diese Herabsetzung zur Haftentlassung führte. Die für die politischen Häftlinge entscheidende Frage, ob sie als ein leichter, schwerer oder besonders schwerwiegender Fall galten, war aus dem Wortlaut des Erlasses nicht zu entnehmen. Der Generalstaatsanwalt traf in Zusammenarbeit mit dem Minister des Innern eine erste Entscheidung, indem er dem Staatsrat die Liste der für eine Begnadigung in Frage kommenden Verurteilten vorlegte. Die Begnadigung wurde dann durch den Staatsrat verfügt. Nach einer Mitteilung des Generalstaatsanwalts Streit im Januar 1965 sollen rd. 10.000 Personen zufolge des A.-Erlasses vorzeitig aus der Strafhaft entlassen worden sein. Wie groß die Zahl der darunter fallenden politischen Häftlinge war, ist nicht bekannt.

 

Auf Grund westlicher Bemühungen und materieller Gegenleistungen der Bundesrepublik wurde in den Jahren 1964/1965 eine größere Anzahl (fast 2.000) politische Häftlinge vorzeitig aus der Haft, zu einem erheblichen Teil sogar in die Bundesrepublik entlassen. (Rechtswesen)


 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1966: S. 23


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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