DDR von A-Z, Band 1966

Bevölkerung (1966)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1969 1975 1979 1985

 

[S. 79]Zwischen 1950 und 1962 war das sowjetische Besatzungsgebiet Deutschlands das einzige Gebiet Europas — wenn nicht sogar der ganzen Welt — mit einer kontinuierlich abnehmenden B. Hauptursachen dieser Entwicklung waren der anhaltende Wanderungsverlust an den freien Teil Deutschlands und die niedrige Geburtenzuwachsrate. Eine ständig zunehmende Überalterung der B. und empfindliche Auswirkungen auf das Arbeitskräftepotential waren die Folgeerscheinungen. Nach der amtlichen Fortschreibung der B. wurde für Ende 1963 zum ersten Male seit dem Jahre 1950 eine Zunahme der Wohn-B. ausgewiesen. Mit einem Plus von 57.000 liegt die B.-Zahl von Anfang 1963 zwar nur sehr geringfügig über derjenigen des Vorjahres, aber die hauptsächlichen demographischen Daten sprechen dafür, daß sich der B.-Zuwachs fortsetzen wird. Die drakonischen Sperrmaßnahmen an der Demarkationslinie und der Mauer in Berlin haben natürlich zu dieser Entwicklung beigetragen. Es dürften jedoch noch viele Jahre vergehen, bis der zwischen 1950 und Ende 1964 eingetretene Substanzverlust von 1,376 Mill. Menschen wieder aufgeholt sein wird.

 

Nach dem Ergebnis der Volkszählung vom 29. 10. 1946 wird für das Gebiet der SBZ (Gebietsstand 31. 8. 1950) eine Wohn-B. von 17,18 Mill. (ohne Insassen von Umsiedler-, Kriegsgefangenen- und anderen Durchgangslagern) ausgewiesen. Im Berliner Sowjetsektor wurden 1,175 Mill., zusammen also 18,355 Mill. Einwohner gezählt. Gegenüber der letzten Volkszählung vor dem Kriege, vom 17. 5. 1939, war dies eine Zunahme von insgesamt 1,61 Mill. (= 9,6 v. H.). Trotz eines Sterbefallüberschusses in den Nachkriegsjahren stieg die B.-Zahl durch einen gewissen „Wanderungsgewinn“ (Rückkehr von Kriegsgefangenen, Evakuierten, Zivilinternierten und „Zuwanderung“ von Heimatvertriebenen aus den deutschen Ostgebieten) zunächst bis März 1949 auf etwas über 19 Mill. an. Bereits 1947 hatte aber eine Abwanderung von politisch und wirtschaftlich Andersdenkenden eingesetzt (Flüchtlinge), die von Jahr zu Jahr stärker wurde.

 

Bei der Volkszählung am 31. 8. 1950, die als die letzte gesamtdeutsche Zählung gilt, wurden nur noch knapp 18,4 Mill. Einwohner gezählt. Seitdem zeigen die Ergebnisse der amtlichen B.-Fortschreibung nach dem Gebietsstand vom 1. Jan. 1965 folgendes Bild:

 

 

Von 1949 bis Ende Juni 1964 wurden allein im Bundesnotaufnahmeverfahren 2,824 Mill. Flüchtlinge statistisch erfaßt. Annähernd die Hälfte der Flüchtlinge (langjähriger Durchschnitt) stand in einem Alter bis zu 25 Jahren, rd. 60 v. H. sind im Erwerbsleben stehende Personen gewesen. Unabhängig von den Ermittlungen im Bundesnotaufnahmeverfahren wurden durch das Statistische Bundesamt 3,670 Mill. Personen gezählt, die zwischen 1950 und Ende 1963 aus dem sowjetischen Besatzungsgebiet in die BRD und nach Berlin (West) zugezogen sind. Dieser Zahl stehen im gleichen Zeitraum nur 501.300 Abwanderungen aus der BRD (einschl. Berlin West) gegenüber. Auf jeden Fortzug aus dem freien Teil Deutschlands kamen [S. 80]also 7,3 Zuzüge aus dem sowjetischen Besatzungsbereich. Ulbricht war mehrmals gezwungen, diese „illegale“ Wanderungsbewegung offiziell zuzugeben.

 

Die sowjetzonalen Angaben über die Bevölkerung sind gelegentlich angezweifelt worden; man vermutete, daß die sowjetzonale Statistik bewußt mit überhöhten Bevölkerungszahlen operiere. Für diese Annahme gibt es jedoch keine begründeten Anhaltspunkte. Die letzte Volkszählung vom 31. 12. 1964 hat jedoch die schon lange gehegte Vermutung bestätigt, daß die Bevölkerungszahl in den letzten Jahren niedriger gewesen ist, als sie auf Grund der Bevölkerungsfortschreibung hätte sein müssen. Diese Differenz ergab sich durch eine laufende Übernahme von potentiellen Fehlerquellen in der Fortschreibung seit 1950. In Anbetracht dessen, daß die vorhergehende Zählung (31. 8. 1950) mehr als 14 Jahre zurückliegt, hält sich die Abweichung in vertretbaren Grenzen. Für das Jahresende 1963 wird nach wie vor eine etwas höhere Bevölkerungszahl als für das Jahresende 1964 ausgewiesen. Daraus ist verschiedentlich der falsche Schluß gezogen worden, daß die Bevölkerung im Laufe des Jahres 1964 abgenommen habe. Die Bevölkerungszahlen für 1963 und 1964 sind aber, da sie auf zwei verschiedenen Grundlagen ermittelt wurden, nicht direkt vergleichbar, so daß aus der Gegenüberstellung keine Entwicklung im Sinne einer Verminderung der Bevölkerung herausgelesen werden kann. Bisher wurden nur die ersten manuell ermittelten Teilergebnisse der Volks- und Berufszählung vom 31. 12. 1964 ermittelt und bekanntgemacht. Da maschinelle Datenverarbeitungsmaschinen nicht ausreichend zur Verfügung stehen, wurde darauf hingewiesen, daß vor Anfang 1966 nicht mit der Bekanntgabe genauerer und detaillierter Angaben gerechnet werden kann. Dabei sind erhebliche technische Schwierigkeiten in der Aufbereitung der ermittelten Daten noch nicht mit einkalkuliert. Anfang 1965 hatte man offen zugegeben, daß in der maschinellen Datenverarbeitung gegenüber anderen führenden Industrieländern noch ein erheblicher Rückstand zu verzeichnen sei.

 

Eine Gegenüberstellung der Bezirke und des Sowjetsektors von Berlin nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 31. 8. 1950 und vom 31. 12. 1964 zeigt folgendes Bild:

 

 

 

Nach den vorläufigen Ergebnissen der letzten Zählung hatte die SBZ einschließlich des Sowjetsektors von Berlin am Jahresende 17.011.931 Einwohner (davon 9.260.069 weibliche und 7.751.862 männliche). Nur die Bezirke Cottbus und Frankfurt haben gegenwärtig höhere Bevölkerungszahlen als 1950. Besonders stark ist die Bevölkerung angewachsen in dem Gebiet der „Schwarzen Pumpe“ (Kreise Hoyerswerda, Spremberg, Senftenberg, Stadtkreis Cottbus) sowie in Eisenhüttenstadt und in Schwedt an der Oder.

 

[S. 81]Zwischen 1949 und Ende September 1965 wurden allein im Bundesnotaufnahmeverfahren 2.865.526 Flüchtlinge aus der SBZ statistisch erfaßt. Annähernd die Hälfte dieser Flüchtlinge sind im jugendlichen Alter von unter 25 Jahren gewesen, rd. 60 v. H. (langjähriger Durchschnitt) sind im Erwerbsleben stehende Personen gewesen. Unabhängig von den Ermittlungen des Bundesnotaufnahmeverfahrens wurden durch das Statistische Bundesamt 3,724 Mill. Personen gezählt, die zwischen 1950 und Juli 1965 aus dem sowjetischen Besatzungsgebiet in die BRD und nach Berlin (West) zugezogen sind. Dieser Zahl stehen im gleichen Zeitraum nur 509.000 Abwanderungen aus der BRD (einschl. Berlin-West) gegenüber. Auf jeden Fortzug aus dem freien Teil Deutschlands entfielen also 7,3 Zuzüge aus dem sowjetischen Besatzungsbereich. SED-Chef Ulbricht war mehrmals gezwungen, diese „illegale“ Wanderungsbewegung offiziell zuzugeben. Seit Errichtung der Mauer rekrutiert sich der größte Teil der Übersiedler aus der SBZ aus Personen im Rentenalter, Gebrechlichen und unheilbar Kranken. Dabei ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, daß man die legale Übersiedlung dieses Personenkreises nicht aus menschlichem Verständnis zuließ, vielmehr beabsichtigt man, sich unproduktiver Kräfte zu entledigen.

 

Durch den Zugang der Heimatvertriebenen war die B.-Dichte (einschl. Sowjetsektor von Berlin) bis 1946 auf 170 (1939 = 155) Einwohner je qkm gestiegen; seit dieser Zeit sinkt sie beständig, während sie im Bundesgebiet durch die Aufnahme von Flüchtlingen und infolge des höheren Geburtenüberschusses steigt.

 

Die B.-Dichte variiert in den Bezirken zwischen 58 Einw./qkm (Neubrandenburg) und 348 Einw./qkm (Chemnitz). Für den Berliner Sowjetsektor wird Ende 1964 eine B.-Dichte von 2.659 Einw./qkm und für Berlin (West) von 4.525 Einw./qkm ausgewiesen.

 

[S. 82]

 

 

Die Sexualstruktur hat sich in den letzten Jahren leicht gebessert. Nachdem vor dem Kriege auf je 100 männliche Personen 104 Frauen kamen, schnellte dieses Verhältnis nach der Volkszählung von 1946 auf 100:135 hoch. Zur Volkszählung von 1950 wurden auf jeweils 100 Männer noch 125 Frauen ermittelt. In den Jahren 1959, 1960 und 1961 wird ein gleichbleibend hoher Frauenüberschuß von 122 Frauen auf je 100 Männer ausgewiesen. Im Jahr 1962 ist eine geringfügige Besserung auf 100:121 eingetreten. Im Bundesgebiet, einschließlich Berlin (West), ist das Verhältnis günstiger. Nach dem Stand vom 30. 12. 1962 entfallen hier auf je 100 Männer nur 112 Frauen. Der Berliner Sowjetsektor weist mit 130 Frauen auf jeweils 100 Männer den größten Frauenüberschuß im sowjetischen Besatzungsgebiet aus. Am günstigsten liegen der Bezirk Rostock mit 100:114 und die Bezirke Neubrandenburg und Cottbus mit je 115 Frauen auf 100 Männer.

 

Eine Verbesserung der ungünstigen Altersstruktur ist für die nächsten Jahre nicht zu erwarten. Zwar ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen im Steigen, wegen der unverhältnismäßig starken Besetzung der Geburtsjahrgänge 1898 bis 1913 wird aber auch der Anteil der Personen im Rentenalter zunehmen. Vor dem zweiten Weltkrieg lag letzterer bei 11,1 v. H. der Gesamtbevölkerung, gegenwärtig beläuft er sich auf 18,2 v. H. und nach Berechnungen der sowjetzonalen Statistik wird er bis zum Jahre 1970 auf 20,3 v. H. ansteigen. Die Zahl der Menschen im arbeitsfähigen Alter wird dagegen abnehmen, und zwar relativ wie auch absolut. Auf 100 Personen im arbeitsfähigen Alter kommen etwa 76 Personen im nichtarbeitsfähigen Alter, darunter 32 Personen im Rentenalter. Dieses äußerst ungünstige Verhältnis wird sich aller Voraussicht nach noch weiter verschlechtern.

 

Vergleichsweise ist die Altersstruktur der Bevölkerung des Bundesgebietes besser, selbst unter Einschluß von Berlin (West).

 

 

Der Anteil der Kinder und Jugendlichen bis 18 Jahre an der Gesamtbevölkerung ist in beiden Teilen Deutschlands mit reichlich 25 v. H. annähernd gleich. Dagegen sind die Jahrgänge im Alter von 18–45 Jahren im Bundesgebiet stärker vertreten. Der [S. 83]Ausgleich wird durch die Gruppe von Personen im Alter von 45 Jahren und darüber hergestellt, die in der SBZ relativ größer ist.

 

Das Verhältnis der Quote der Sterbefälle zu den Lebendgeburten ist im Bereich der SBZ viel ungünstiger als im Bundesgebiet (ohne Berlin West). Auf 1.000 Einwohner entfielen 1939 im damaligen Reichsgebiet 8,1 Lebendgeburten. In der SBZ war zunächst 1946 ein Sterbefallüberschuß von 12,4 für 1947 von 5,9 und für 1948 von 2,4 pro 1.000 der B. festzustellen. Erst ab 1949 trat mit 1,1 pro 1.000 der B. wieder ein geringer Überschuß ein. Wie die Tabellenübersicht zeigt, sinkt der Geburtenüberschuß seit 1955 abermals bedenklich und droht nach amtlichen sowjetzonalen Vorausberechnungen in den nächsten Jahren sogar völlig zu verschwinden.

 

Der niedrige Geburtenzuwachs und die anhaltende Abwanderung von überwiegend im Arbeitsalter stehenden Personen hatten einen ungünstigen Einfluß auf die Sozialstruktur der B. Der Anteil der Personen im Rentenalter (Männer über 65 und Frauen über 60 Jahre) nahm ständig zu. Andererseits sank der Anteil der Kinder unter 15 Jahren und der B. im arbeitsfähigen Alter (Männer von 15 bis unter 65 und Frauen von 15 bis unter 60 Jahre) rapide ab. Während die B. zwischen dem 31. 8. 1950 und dem 31. 12. 1963 um über 1,2 Mill. abgenommen hat, nahm gleichzeitig die Zahl der Personen im Rentenalter um 589.400 (= 23,2 v. H.) zu. Die Zahl der Kinder unter 15 Jahren nahm im gleichen Zeitraum um 313.400 (= 7,3 v. H.) ab. Zusammen hat also zwischen 1950 und 1963 die B. im nichtarbeitsfähigen Alter um 674.800 Personen (= 9,1 v. H.) zugenommen. Andererseits nahm im gleichen Zeitraum die B. im arbeitsfähigen Alter um 1,248 Mill. (= 11,3 v. H.) ab.

 

 

Hinsichtlich der künftigen Entwicklung der B. sind für die SED-Planer erhebliche Schwierigkeiten entstanden. Zur Erfüllung der ehrgeizigen Wirtschaftspläne muß die B. einen entsprechend hohen Anteil an arbeitsfähigen Kräften stellen. Wie wiederholte Untersuchungen sowjetzonaler Stellen über die künftige wahrscheinliche B.-Entwicklung ergaben, ist vor 1980 nicht mit einer nennenswerten Besserung zu rechnen. Bis 1980 soll zwar die B. wieder auf fast 17,7 Mill. (d.h. um rd. 3,5 v. H.) zunehmen, jedoch wird der Anteil der B. im arbeitsfähigen Alter bis dahin lediglich um 0,1 v. H. ansteigen. Die Sexualproportion wird dann etwa ein Verhältnis aufweisen, das den heutigen Gegebenheiten im Bundesgebiet entspricht. Wenn 1963 auf 100 der Wohn-B. 56,8 Personen im arbeitsfähigen Alter kamen, werden es 1980, d.h. bei zunehmender B., sogar nur wenig mehr, nämlich 57,1 Personen sein. Der Anteil der noch nicht arbeitsfähigen Einwohner bleibt mit 24,9 fast gleich, während der Anteil der Rentner mit 18,0 je 100 Einwohner fast konstant bleibt. Von dem voraussichtlichen Zuwachs der B. um rd. 600.000 Personen entfallen etwa 117.000 (= 19,5 v. H.) auf Rentner, etwa 97.000 (= 16,2 v. H.) auf arbeitsfähige Personen und 386.000 (= 64,3 v. H.) auf Kinder bis zu 16½ Jahren im noch nicht arbeitsfähigen [S. 84]Alter. Durch den obligatorischen Besuch der „Zehnklassenschule“ werden weitere anderthalb Jahrgänge der Gruppe der im Erwerbsleben stehenden B. vorenthalten. Die Geburtenzuwachsrate wird zunächst in den Jahren 1970 bis 1972 mit 1,0 pro 1.000 der B. einen absoluten Tiefstand erreichen und bis 1980 nur auf 2,1 zunehmen. Sie wird damit noch immer um mehr als die Hälfte niedriger als 1961 sein. Trotz der schon erwähnten wahrscheinlichen Zunahme der B. um rd. 600.000 bis zum Jahr 1980 gilt es zu bedenken, daß der mit 17,7 Mill. vorausberechnete Bevölkerungsbestand dann immer noch um rd. 700.000 niedriger als im Jahr 1950 und um rd. 800.000 niedriger als nach dem Kriege, im Jahre 1946, sein wird.

 

Literaturangaben

  • *: Die Bevölkerungsbilanz der sowjetischen Besatzungszone 1939 bis 1954. (BB) 1954. 51 S. mit 22 Anlagen.
  • Kabermann, Heinz: Die Bevölkerung des sowjetischen Besatzungsgebietes — Bestands- und Strukturveränderungen 1950 bis 1957. (BB) 1961. 143 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1966: S. 79–84


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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