DDR von A-Z, Band 1966

Interzonenhandel (1966)

 

 

Siehe auch:


 

Bezeichnung für den Handel zwischen der BRD und der SBZ. Er ist nicht Außenhandel, wenn er auch in der Zone statistisch darunter erfaßt wird. Es handelt sich um einen reinen bilateralen Warenaustausch, ohne daß eine Grenze überschritten wird, da die Demarkationslinie nicht als solche anzusehen ist.

 

Schon 1945 nahm der I. seinen Anfang, wenn es auch nur vereinzelte Geschäfte auf Kompensationsbasis waren, die z. T. illegalen Charakter hatten. Während die drei Westzonen ziemlich schnell wieder zu einem einheitlichen Handelsgebiet zusammenwuchsen, entwickelte sich ein geregelter Warenaustausch zwischen Westdeutschland und der SBZ nur unter erheblichen Schwierigkeiten und niemals völlig zu seinem Vorkriegsumfang. Die sowjetzonale Seite begehrt in der Hauptsache strategisch wichtige Güter, wie Eisen, Stahl, hochwertige chemische Erzeugnisse (Stickstoffdünger), Maschinenbau-, Eisen- und Metallwaren und Qualitätslebensmittel aller Art einschl. Wein und Hopfen. Als Gegenlieferung ins Bundesgebiet sind Holz, Eisen- und Stahlwaren, Maschinenersatzteile, Zellstoff, Textilien, Lebensmittel (Zucker), Chemikalien, Mineralöl und vor allem Braunkohlenbriketts vorgesehen. Im Laufe der Jahre erfolgten naturgemäß Umstrukturierungen in den einzelnen Warengruppen.

 

Vertraglich geregelt wurde der I. in dem Mindener Abkommen (1946), dem Berliner Abkommen (1947), dem Frankfurter Abkommen (8. 10. 1949), seiner Verlängerung im Frühjahr 1951 (3. 2. 1951), dem Berliner Abkommen vom 20. 9. 1951 und den jährlich folgenden Vereinbarungen über die Warenlisten zum Abkommen. Seit Ende 1949 sind auch beide Teile Berlins in die I.-Vereinbarungen eingeschlossen. Nach dem Frankfurter Abkommen vom 8. 10. 1949 werden die Interzonengeschäfte über die Deutsche ➝Notenbank und die Deutsche Bundesbank abgewickelt, die Verrechnung [S. 216] von DM West zu DM Ost erfolgt im Verhältnis 1:1, d.h. 1 Deutsche Mark = 1 VE (Verrechnungseinheit). Das ist aber nur ein Clearingwert, der nicht auch währungsmäßig eine DM West einer DM Ost gleichsetzt. Die sich hieraus in der Zone ergebenden Preisdifferenzen werden über ein Preisausgleichskonto wie im Außenhandel im Staatshaushalt aufgefangen. Abgerechnet wird per Ende Juni jeden Jahres; etwaige Verrechnungsspitzen sind in DM West bar zu bezahlen. Bisher hat jedoch die BRD von einem Kontenausgleich in bar abgesehen.

 

Der vertragliche I. wird in der SBZ durch das Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel (MAI) gelenkt. Die Bestimmungen für den Außenhandel mit dem Außenhandelsmonopol und der damit verbundenen Devisenzwangswirtschaft sowie den differenzierten Preisen zum Binnenhandel werden auch auf den I. angewendet. Im Bundesgebiet ist die Bundesstelle für den Warenverkehr zuständig. Zölle werden im I. nicht erhoben.

 

Der I. dient der sowjetzonalen Wirtschaft mit dazu, Lücken in der Materialversorgung zu schließen, wenn die Lieferungen Moskaus und der anderen sozialistischen Länder nicht ausreichen. Er wird stark von der jeweiligen politischen Situation beeinflußt. Mit der Vereinbarung vom 16. 8. 1960 über die Warenlisten für 1961 wurde erstmalig die einjährige Gültigkeitsdauer in eine unbegrenzte Laufzeit abgeändert; die SBZ war aus Planungsgründen an Abschlüssen über einen längeren Zeitraum interessiert.

 

Am 30. 9. 1960 wurde das I.-Abkommen wegen politischer Übergriffe in Berlin von der BRD zum Jahresende gekündigt, nach längeren Verhandlungen aber noch vor Ablauf der Kündigungsfrist wieder in Kraft gesetzt.

 

Wenn die SBZ auch aus politischen Gründen einen Ausgleich der benötigten Stahllieferungen bei Schweden, England, Frankreich und anderen Ländern suchte, konnte sie wegen der günstigen Verrechnungsart ohne Devisen nicht auf den I. verzichten, zumal der Swing von 200 Mill. VE bei Nichtdurchführung des Saldenausgleichs zu einem angenehmen Dauerkredit wurde.

 

Für die BRD ist der I. nicht von großer wirtschaftlicher Bedeutung, was sowohl auf den Umfang wie auch die Warenzusammensetzung zutrifft. Interesse besteht hauptsächlich daran, durch den I. die Wirtschaftslage der SBZ zu verbessern und auf diesem Wege der dortigen Bevölkerung den Lebensstandard zu erhöhen. Im Außenhandel gemessen, beträgt in der Zone der Anteil immer noch über 9 v. H. Deshalb versucht sie auch durch Schulung von Mitgliedern des „Ausschusses zur Förderung des deutschen Handels“ und des „Ausschusses des Berliner Handels“, die paritätisch zwischen SBZ und BRD besetzt sind, Einfluß auf das Volumen und die Struktur des I. zu nehmen und Differenzen im Warenaustausch für sich umzumünzen.

 

Die Mineralölabgaben wurden in der BRD geändert und brachten für die Zone höhere Belastung. Die BRD kam der SBZ jedoch entgegen und verzichtete für 1964 auf rd. 75 Mill. DM neuer Mineralölsteuern. Für die kommenden Jahre wurde aber bis jetzt noch keine Vereinbarung darüber erzielt, wie überhaupt für 1966 noch kein Vertragsabschluß vorliegt. Sachlich sind sich beide Parteien einig, aber die Zone blockiert die Abschlußformel, um auf diesem Wege einen Schritt weiter im Sinne der Drei-Staaten-Theorie zu kommen.

 

1964 erreichte der I. mit 2,3 Mrd. VE einen Höchststand, der sich aus 1.111,9 Bezügen und 1.192,8 Lieferungen einschl. Dienstleistungen zusammensetzt. Auch 1965 ist trotz der Abschlußschwierigkeiten mit einem Umsatz auf gleicher Höhe zu rechnen. Möglicherweise setzt sich die Verschiebung zwischen den Unterkonten 1 und 2 fort, da das Konto 2 (sog. weiche Waren) durch Qualitätsverbesserungen der Fertigwaren gegenüber den früheren Jahren an Interesse gewonnen hat. Abnehmer dieser Waren sind überwiegend die Versandhäuser im Bundesgebiet. Die Zone ist bemüht, ihren Kundendienst in diesem Zusammenhange zu verbessern. Das Wachstum ist aber nun nicht nur eine Folge verbesserter Warenqualität, sondern vor allem auch der Zugeständnisse im I. an das Zonenregime. So kann die Zone auch auf Ersuchen künftig bestimmte ausländische Güter, wie z. B. Rohstoffe aus Übersee, im Rahmen des I. aus der BRD beziehen. Das bedeutet für das Regime mit seinen Devisenschwierigkeiten eine große Erleichterung.

 

Da die SBZ zur Ausweitung ihres Industriepotentials dringend Anlagen und Ausrüstungen benötigt, ist sie im I. an langfristigen Krediten der BRD interessiert.


 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1966: S. 215–216


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.