DDR von A-Z, Band 1966

Interzonenverkehr (1966)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1969 1975 1979


 

Nach der Kapitulation mußten laut Beschluß des Kontrollrats alle Personen, die aus einer Besatzungszone in eine andere reisen wollten, einen durch die Besatzungsmacht ausgestellten Interzonenpaß besitzen. Während mit der Vereinigung der westlichen Besatzungszonen der Interzonenpaß dort wegfiel, wurde der I. mit der SBZ, vornehmlich seit der Währungsreform und der Berliner Blockade, erheblich erschwert. Besucher aus der BRD benötigen zusätzlich eine Aufenthaltsgenehmigung der sowjetzonalen Behörden, die von den in der SBZ wohnenden Angehörigen oder Freunden beantragt werden muß. Auch Reisende zwischen West-Berlin und der BRD benötigten auf Grund von Viermächteabmachungen in beiden Richtungen einen Interzonenpaß. Bis zum Juni 1953 wurden in der SBZ Interzonenpässe nur in Ausnahmefällen ausgegeben. Seit der Verkündung des Neuen Kurses entfaltete sich der reguläre I. zu beträchtlichem Ausmaß.

 

Der Interzonenpaßzwang wurde durch die Westmächte am 16. 11. 1953 aufgehoben. Die SBZ schloß sich diesem Schritt an mit der Einschränkung, daß bei Einreisen weiterhin eine Aufenthaltsgenehmigung erforderlich war, während Ausreisende für die Dauer ihrer Reise ihren Personalausweis gegen eine polizeiliche Personalbescheinigung umtauschen mußten.

 

Im Sommer 1957 steigerte die SED ihre Bemühungen, den Reiseverkehr in die BRD einzudämmen, bis zu direkten Verboten von Westreisen für bestimmte Personengruppen (Studenten, Oberschüler, Angehörige von Staatsjugendorganisationen usw.). Ende 1957 wurde diese Maßnahme noch verschärft. Bis dahin waren nur Auslandsreisen ohne Genehmigung strafbar.

 

[S. 217]Durch das „Gesetz zur Abänderung des Paßgesetzes“ vom 11. 12. 1957 (Paßwesen) wurde jedes Verlassen der „DDR“ ohne Erlaubnis, also auch die Reise in das Bundesgebiet und nach West-Berlin, unter Strafe gestellt. Wenn die Antragsteller Verwandte in der BRD hatten, die ohne polizeiliche Abmeldung die Zone verlassen hatten, wurde die Ausreisegenehmigung versagt. Außerdem mußten Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Betriebe, in denen die Antragsteller tätig waren, vorgelegt werden. Es sind Fälle bekanntgeworden, in denen der Bürgermeister und ein weiterer Bewohner die Bürgschaft für die rechtzeitige Rückkehr des Antragstellers in die „DDR“ übernehmen mußten.

 

Infolge dieser Maßnahmen ging der I. schlagartig zurück. Nur in den Hauptreisezeiten der folgenden Jahre hat der Besucherverkehr aus der SBZ gegenüber den anderen Monaten des jeweiligen Jahres zugenommen. Die Besucherzahlen der früheren Jahre wurden jedoch bei weitem nicht mehr erreicht.

 

Seit Frühjahr 1959 wurden die Anträge auf Erteilung von „Reisegenehmigungen“ nach der BRD den in allen Gemeinden gebildeten „Komitees für gesamtdeutsche Fragen“ zur Entscheidung vorgelegt. Sofern ein Angehöriger des Antragstellers geflüchtet war, wurde der Antrag abgelehnt. In letzter Instanz entschieden die „Volkspolizei-Kreisämter“.

 

 

Die Errichtung der Mauer in Berlin und die unmittelbar darauf folgenden Sperr[S. 218]maßnahmen an der Demarkationslinie nach dem 13. August 1961 brachten eine erneute rigorose Drosselung des Besucherverkehrs aus der SBZ. Bei den wenigen Personen, die noch in die BRD oder nach Berlin (West) reisen dürfen, handelt es sich überwiegend um Funktionäre, Eisenbahner, Kraftfahrer und Schiffer. Der I. zwischen der BRD und Berlin (West) wird streng überwacht. Kontakte mit der Zonenbevölkerung sind nicht gestattet. Ab 1963 wurden im Rahmen des Besucherverkehrs auch solche Personen ausgewiesen, die legal in die BRD oder nach Berlin (West) übersiedelten. 1963 und 1964 handelte es sich um jeweils rd. 30.000 Menschen, während es 1960 nur noch knapp 18.000 waren. Zu mehr als 70 v. H. waren es Rentner, d.h. Personen über 65 Jahre, der Rest entfiel auf sonstige gebrechliche Personen, die dem Regime keine Arbeitsleistung mehr erbringen können.

 

Der Reiseverkehr zwischen der BRD und West-Berlin ist an sich im Potsdamer Abkommen geregelt. Nur die Interzonenzüge, die zugelassenen Autobahnen und die kontrollierten Luftkorridore dürfen benutzt werden. Im allgemeinen wickelte sich der Verkehr ohne Reibungen ab, doch kamen immer wieder Behinderungen und Schikanen durch die sowjetzonalen Organe an den Grenzübergangsstellen vor. Ende 1963, nach den Wahlen zur Volkskammer, wurde in der „Regierungserklärung“ von Stoph erklärt, es sei eine Illusion zu glauben, man könne die „DDR“ ignorieren. Er verlangte den Abschluß „normaler Verträge“ für den Interzonenverkehr nach Berlin auf dem Wasser-, Land- und Luftwege. Der Leiter der Agitationskommission beim Politbüro der SED, Norden, hatte vor der Wahl eine Auflockerung im innerdeutschen Reiseverkehr angekündigt. Als Folge dieser Ankündigung ist die Vereinbarung über Rentnerreisen aus der SBZ in die BRD vom 10. 9. 1964 anzusehen. Die öffentliche Diskussion über den Interzonenverkehr wird von der SED mißbraucht, um die Zwei- und Dreistaatentheorie zu untermauern. Handelsbeziehungen, sportliche und kulturelle Verbindungen zwischen beiden Teilen Deutschlands sowie West-Berlins sollen den Charakter zwischenstaatlicher Beziehungen erhalten. Auch im Berlinverkehr der Westmächte ist es wiederholt zu Auseinandersetzungen gekommen. Auf Grund eines am 20. September 1955 zwischen der SU und der SBZ abgeschlossenen Vertrages versucht man die Kontrollbefugnis unter Umgehung des Potsdamer Abkommens den Kontrollorganen der SBZ zuzuschieben.

 

Bürger der Bundesrepublik sollten sich nicht von Besuchsreisen bei Verwandten in der SBZ abhalten lassen. Etwa jeder zweite Bundesbürger ist verwandtschaftlich oder eng freundschaftlich mit Bewohnern der SBZ verbunden. Auskünfte über zu beachtende Bestimmungen bei Reisen in die SBZ können von Reisebüros, Automobilclubs, Geldinstituten und vom Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen in Berlin (West) eingeholt werden. Außerdem hat das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen ausführliche Merkblätter bereitgestellt, die auf Wunsch kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Im Interzonenpostverkehr sind Geldsendungen und alle Warengattungen und -mengen ausgeschlossen, die als Handelsware gelten können. Merkblätter über den Interzonenpostverkehr sind bei allen Postämtern der BRD erhältlich. Die SBZ unterhält zur Kontrolle Paketkontrollstellen bei den Leitpostämtern in Berlin O 17, Erfurt, Leipzig, Halle, Magdeburg, Dresden, Schwerin und Plauen.

 

Zwischen 1951 und Ende 1965 wurden weit über 607 Mill. Pakete und Päckchen aus der BRD und Berlin (West) nach der SBZ und dem Sowjetsektor von Berlin verschickt. Etwa die Hälfte der Sendungen waren Pakete, d.h. Sendungen im Gewicht von 1 bis 7 Kilo. Zwischen 1963 und 1965 haben die sowjetzonalen Paketkontrollstellen 680.000 Pakete an die Absender in der BRD zurückgeschickt, weil Inhalt oder Verpackung nicht den „gültigen“ Bestimmungen entsprochen haben soll.

 

Am 30. Juni 1965 ist der auf alliierte Abmachung beruhende „Deutsche Eisenbahngütertarif“ für den I. von der SBZ außer Kraft gesetzt worden. Damit entfällt seit dem 1. Juli 1965 im Güterverkehr zwischen der Deutschen Bundesbahn und der „Deutschen Reichsbahn“ der SBZ die Regelung, daß von den Grundfrachten grundsätzlich 60 v. H. von der Deutschen Bundesbahn und 40 v. H. von der „Deutschen Reichsbahn“ erhoben werden. Die beiden Bahnverwaltungen erheben seit diesem Zeitpunkt jeweils Frachten, die nach den innerhalb ihres Bereiches geltenden Bestimmungen für die Strecke bis zu bzw. von der SBZ-Demarkationslinie zu zahlen sind. Damit wurde es notwendig, eine Reihe von Interzonenhandelsvereinbarungen zu ändern. Gleichzeitig wurde der Interzonenhandel in seinem Ablauf gestört. Wenig später wurden auch einige wesentliche technische Bedingungen für die Abwicklung des Interzoneneisenbahnverkehrs neu geregelt. Die wichtigste Änderung besteht in der Zulassung weiterer Übergangsbahnhöfe für den Interzoneneisenbahnverkehr zwischen Berlin (West) und dem Bundesgebiet. Der Anteil der Eisenbahn an der Versorgung von Berlin (West) aus dem Bundesgebiet (1964 insgesamt 10 Mill. t) beträgt noch knapp 30 v. H. und steht damit an letzter Stelle der drei Verkehrsträger Landstraße, Wasserstraße und Schiene. Die gleiche Reihenfolge gilt noch viel ausgeprägter auch für den Verkehr in umgekehrter Richtung, der — in Tonnen gerechnet — nur den fünften Teil des eingehenden Verkehrs ausmacht. Von den 3 Mill. t, die 1964 aus dem Bundesgebiet nach Berlin (West) über die Schiene geliefert wurden, entfielen über 60 v. H. auf Kohle und jeweils etwa 10 v. H. auf Baumaterialien und Güter der Ernährungswirtschaft.

 

Im Interzonenstraßenverkehr hat z. B. 1965 im Verkehr mit der SBZ und dem Sowjetsektor von Berlin die Menge der mit Lastkraftfahrzeugen beförderten Güter um über 18 v. H. zugenommen. Andererseits wurden 1961 mit Kraftomnibussen rd. 45 v. H. weniger Personen befördert als im Vorjahr. Gewisse Schikanen sowjetzonaler Stellen haben nicht nur das Ziel, durch politische Prestigefragen den I. zu stören, der I. wird auch von der SBZ mißbraucht, um sich Westgeldeinnahmen zu verschaffen.


 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1966: S. 216–218


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.