DDR von A-Z, Band 1966

Sport (1966)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1969 1975 1979 1985

 

[S. 448]

 

1. Entwicklung und Organisation

 

 

Nach dem Zusammenbruch wurden sämtliche S.-Vereine aufgelöst. Ihr Vermögen wurde beschlagnahmt und durch die S.-Dezernenten bei den Volksbildungsämtern der Kreise und Gemeinden verwaltet. Sportliche Betätigung war zunächst nur auf kommunaler Grundlage zulässig. Erst allmählich begann die SED den S. zu fördern, um ihn für die eigenen politischen Ziele nutzen zu können. Durch die S.-Gemeinschaften der — FDJ sollten viele Jugendliche dieser Organisation zugeführt werden.

 

Die Zeit des Kommunal-Sports endete am 1. 8. 1948 mit der Gründung des „Deutschen Sportausschusses“ (DSA), einer staatlich gelenkten und von der SED beherrschten S.-Organisation. Landessportausschüsse (später Bezirkssportausschüsse) und Kreissportausschüsse wurden gebildet, die sich ebenfalls aus zuverlässigen Partei- und Staatsfunktionären zusammensetzten. Gleichzeitig wurden die bisherigen kommunalen S.-Gemeinschaften durch Betriebssportgemeinschaften (BSG) nach sowjet. Muster abgelöst. Die BSG wurden in Industrie-Sportvereinigungen zusammengefaßt. Diese waren selbständige Organe der Gewerkschaften, die 10 v. H. ihres Beitragsaufkommens für den S. verwenden mußten. Die Gewerkschaften gaben ihrem Berufszweig entsprechend, den Sportvereinigungen (SV) und damit allen dazu gehörenden BSG unabhängig von der jeweiligen S.-Art den Namen:

 

IG Bergbau — SV Aktivist

 

IG Bau und Holz — SV Aufbau

 

IG Chemie — SV Chemie

 

G Verwaltung Banken, Versicherung — SV Einheit

 

G Handel und Versorgung — SV Empor

 

IG Textil, Bekleidung, Leder — SV Fortschritt

 

IG Transport — SV Lokomotive

 

G Gesundheitswesen — SV Medizin

 

IG Post und Fernmeldewesen — SV Post

 

IG Druck und Papier — SV Rotation

 

IG Metallurgie — SV Stahl

 

G Land- und Forstwirtschaft — SV Traktor

 

IG Energie — SV Turbine

 

IG Wismut — SV Wismut

 

G Wissenschaft — SV Wissenschaft

 

Außerdem entstanden die SV Dynamo der Deutschen ➝Volkspolizei und später die SV Vorwärts der Nationalen Volksarmee.

 

Im Juli 1952 wurde das Staatliche Komitee für Körperkultur und S. als „oberste Instanz auf allen Gebieten der Körperkultur und des S.“ gegründet. Damit wurde die völlige administrative Eingliederung des S. vollzogen. Der Vorsitzende des Komitees ist Staatssekretär, der wie seine Stellvertreter vom Ministerrat berufen wird. Der Vorspruch der VO vom 24. 7. 1952 über die Errichtung des Komitees kennzeichnet besonders deutlich dessen politische Aufgabe: „Die Regierung muß dafür sorgen, daß in der Deutschen Demokratischen Republik gesunde, frohe, kräftige und willensstarke Menschen heranwachsen. Menschen, die ihre Heimat lieben, fest zur Regierung und ihrem Präsidenten stehen, die zur Ehre unseres Landes ihre sportliche Meisterschaft ständig erhöhen, treue und unverbrüchliche Freunde des großen Sowjetvolkes sind, die mit Willenskraft, Härte, Ausdauer und Mut alle Schwierigkeiten überwinden, die von unversöhnlichem Haß gegen alle Feinde des Friedens und des Fortschritts erfüllt sind und die die sozialistischen Errungenschaften unserer Werktätigen gegen alle Bedrohungen schützen und verteidigen.“

 

Um die Aufnahme der sowjetzonalen S.-Organisationen in die internationalen S.-Verbände und sportliche Beziehungen zum westlichen Ausland zu erleichtern, gab man 1957 den sowjetzonalen S.-Organisationen andere Namen. Der am 27. 4. 1957 gegründete Deutsche Turn- und Sportbund (DTSB) übernahm die Aufgaben des damit aufgelösten DSA. Die Sektionen des DSA nennen sich seitdem S.-Verbände. Für sie wurden Namen gewählt, die denen der entsprechenden S.-Verbände der BRD [S. 449]ähneln. Bis auf die S.-Vereinigungen „Vorwärts“, „Dynamo“, „Lokomotive“ und „Wismut“, die als selbständige Glieder des DTSB, einer Bezirksorganisation entsprechend, bestehen blieben, wurden alle übrigen Industrie-Sportvereinigungen aufgelöst. Die einzelnen BSG wurden in die Bezirks- und Kreisverbände des DTSB eingegliedert. Daraus ergibt sich folgender organisatorischer Aufbau des sowjetzonalen S.:

 

a) DTSB

 

b) Bezirksorganisationen und S.-Vereinigungen Vorwärts, Dynamo, Lokomotive und Wismut

 

c) Kreisorganisationen

 

d) Grundorganisationen: BSG, S.-Clubs, Fach- und Hochschul-Sportgemeinschaften, S.-Gemeinschaften.

 

Daneben bestehen noch 33 Fach-Sportverbände.

 

Durch diese Neuorganisation sollte offenbar der Eindruck einer staatlich unabhängigen S.-Bewegung erweckt werden. In Wirklichkeit hat sich der Einfluß von Partei und Staat auf den S. nicht vermindert. Neben dem Ministerrat, dem das Staatliche Komitee für Körperkultur und S. unterstellt ist, entscheidet das ZK der SED, Arbeitsgruppe S. und Körperkultur unmittelbar über Organisation und Entwicklung des S. Die enge Verflechtung von S. und Politik wird auch durch die Tatsache bewiesen, daß alle maßgeblichen S.-Funktionäre zugleich wichtige Partei- und Staatsämter innehaben. So ist der Präsident des DTSB, Manfred ➝Ewald, Mitglied des ZK der SED und Abgeordneter der Volkskammer, Rudi ➝Reichert, der Vizepräsident des DTSB, gehörte von 1958 bis 1963 dem ZK der SED an. Auch die Fach-, Bezirks- und Kreisverbände sowie die einzelnen S.-Vereinbarungen und S.-Clubs werden fast ausschließlich von Partei-Funktionären geleitet.

 

Der politische Charakter des sowjetzonalen S. ergibt sich auch aus den im Gründungsstatut des DTSB vom 28. 4. 1957 festgelegten Grundsätzen und Zielen. Hier heißt es u. a.: „Der DTSB nimmt aktiv am Aufbau des Sozialismus teil und wirkt für die Weiterentwicklung der sozialistischen Körperkultur. Der DTSB kämpft unter der Führung der Arbeiterklasse gemeinsam mit allen Patrioten in der Nationalen Front des demokratischen Deutschland für die Wiedervereinigung Deutschlands auf friedlicher und demokratischer Grundlage gegen die Todfeinde des deutschen Volkes, den Imperialismus und Militarismus. Der DTSB unterstützt die demokratischen und patriotischen Kräfte im westdeutschen Sport, die einen mutigen Kampf gegen den Mißbrauch des Sports in Westdeutschland durch die Imperialisten und Militaristen führen. Der DTSB erzieht seine Mitglieder zu sozialistischem Denken und Handeln und bekämpft entschieden alle Formen der reaktionären bürgerlichen Ideologie; wie die demagogischen ‚Theorien‘ des Nur-Sportlertums und der ‚politischen‘ Neutralität des Sports. Der DTSB pflegt die unverbrüchliche Freundschaft zur Sowjetunion und den volksdemokratischen Ländern. Er löst seine Aufgaben auf der Grundlage des staatlichen Sportprogramms ‚Bereit zur Arbeit und zur Verteidigung der Heimat‘.“ In dem neuen Statut vom 28. 5. 1961 sind diese politischen Formulierungen zwar aus Gründen der Tarnung gemildert worden, ohne daß sich aber an der politischen Zielsetzung des DTSB etwas geändert hat.

 

2. Leistungssport

 

 

Eine besondere politische Bedeutung hat der Leistungs-S. Die „Sportler der DDR sollen durch Höchstleistungen die Überlegenheit der sozialistischen Ordnung über das kapitalistische System Westdeutschlands“ beweisen (Beschl. des DTSB vom 4. 3. 1958). Zur Förderung des Leistungs-S. ist 1954 die besondere Organisationsform der „S.-Clubs“ gebildet worden, deren Millionen-Etat vom DTSB getragen wird. In diesen S.-Clubs werden Spitzensportler ohne Rücksicht auf deren persönliche Belange an bestimmten Schwerpunkten zusammengezogen. In vielen S.-Arten sind auf diese Weise die sowjetzonalen Spitzensportler in nur zwei oder drei S.-Clubs vereinigt. Zur Leistungssteigerung des Fußballsports sowie zur verbesserten Nachwuchsförderung sind auf Beschluß des Präsidiums des DTSB seit dem 1. 1. 1966 einige „Fußballklubs“ gebildet worden. Die in diesen S.-Clubs konzentrierten Leistungssportler sind vom Regime bezahlte, nach dessen Plänen ausgebildete „Staats-Amateure“, deren Aufgabe es ist, durch sportliche Erfolge „das Ansehen der DDR [S. 450]zu heben“. Sie sind in drei Leistungsklassen eingeteilt. Die Sportler der Kategorie K-3 werden nach Anforderung der Trainer von Fall zu Fall von der Arbeit freigestellt. Den K-2 Sportlern müssen die Betriebe wöchentlich 16 Stunden für das Training freigeben. Spitzensportler der Gruppe K-1 leben praktisch ausschließlich für den S. Sie sind nur zum Schein in der Verwaltung oder in „volkseigenen“ Betrieben eingestellt. Ihr Gehalt wird dem Betrieb vom DTSB erstattet. Weitere regelmäßige finanzielle Zuwendungen erhalten die Sportler direkt vom DTSB. Für internationale Erfolge gibt es außerdem hohe Geldprämien, bei Länderkämpfen bis zu 1.000 DM Ost, bei olympischen Spielen bis zu 7.000 DM Ost. Schließlich sind noch mit der Verleihung hoher Auszeichnungen, wie dem vaterländischen Verdienstorden jährliche „Ehrengelder“ von 1.000, 500 oder 250 DM Ost verbunden. Die Spitzensportler genießen auch alle sonstigen wirtschaftlichen Vorteile und Ehrungen der Angehörigen der priviligierten Klasse in der kommun. Gesellschaft. Das gilt besonders für die Angehörigen der S.-Clubs Vorwärts und Dynamo, die praktisch ohne dienstliche Verpflichtungen Scheindienstgrade in der Armee und der Polizei bekleiden und für ihre sportliche Tätigkeit im Durchschnitt zwischen 1.500 und 2.000 DM Ost monatlich verdienen.

 

Als Gegenleistung müssen diese Staatsamateure nicht nur sportliche Siege „zum Ruhme der DDR“ erringen, sie sind außerdem verpflichtet, das notwendige „sozialistische Bewußtsein“ zu haben und sich für die politischen Ziele des „Arbeiter-und-Bauern-Staates“ einzusetzen. Das SED-Regime mißbraucht die Popularität der Spitzensportler für seine politische Agitation, indem es sie zu Erklärungen zu politischen Ereignissen nötigt.

 

3. Sportklassifizierung und Auszeichnungen

 

 

Die 1954 eingeführte S.-Klassifizierung ist eine Zusammenstellung von Leistungsnormen einzelner S.-Arten, die inzwischen mehrmals entsprechend dem internationalen Leistungsniveau überarbeitet worden ist. Sie soll „zu höheren sportlichen Leistungen anspornen, zu besserer Planung und Arbeit im Leistungssport beitragen und die allseitige Entwicklung der Sportler fördern“. Die Klassifizierung umfaßt für die Jugend (14 bis 17 Jahre), für Erwachsene (ab 18 Jahre) und für Kampfrichter die Leistungsklassen III, II, I und für Erwachsene eine Meisterklasse. Für Kinder bis zum 13. Lebensjahr wurden versuchsweise Klassifizierungsnormen in einigen S.-Arten aufgestellt. Wer die entsprechenden Leistungen erfüllt, erhält die Klassifizierungsnadel der jeweiligen Klasse. Für Erfüllung der Meisternorm wird der Ehrentitel Meister des S. und für hervorragende Leistungen oder außerordentliche Verdienste der Titel Verdienter ➝Meister des S. verliehen. Voraussetzung für die Verleihung dieser Ehrentitel ist außerdem aktive Teilnahme am gesellschaftlichen und politischen Leben. Die Titel können auch für hervorragende Leistungen, „die einen wesentlichen Beitrag im Kampf der Deutschen Sportler für die friedliche demokratische Wiedervereinigung Deutschlands und gegen die imperialistischen und militaristischen Einflüsse im westdeutschen Sport darstellen“, vergeben werden. Weitere Auszeichnungen für hervorragende Dienste beim Aufbau der sozialistischen S.-Bewegung sind die Ehrennadel des DTSB und die 1958 als höchste Ehrung des DTSB gestiftete Ernst-Gruber-Medaille.

 

4. Leibeserziehung

 

 

Der im Oktober 1950 in Leipzig eröffneten Deutschen Hochschule für Körperkultur obliegt als zentraler Lehr- und Forschungsstätte die Ausbildung von Turn- und Dipl.-Sportlehrern, Trainern und Hochschullehrkräften im Direkt- und Fernstudium sowie die wissenschaftliche Erforschung aller Bereiche des S. Daneben gibt es S.-Akademien als „Einrichtungen der sozialistischen Sportbewegung, die ihren Hörern sportwissenschaftliche Kenntnisse vermittelt, um ihre Leistungen zu verbessern und breite Kreise der Bevölkerung mit den Zielen und Aufgaben des DTSB vertraut zu machen und sie in den Aufbau des Sozialismus einzubeziehen“. Zur Förderung des Leistungs-S. soll in den Schulen zu einem „akzentuierten S.-Unterricht“ übergegangen werden. Die Schüler sollen nicht mehr in vielen, sondern neben einer allgemeinen athletischen Grundausbildung nur noch in ein bis zwei S.-Arten unterrichtet werden, wobei besonders lokale Traditionen (z. B. Eishockey in [S. 451]Weißwasser, Ringen in Zwickau, Schwimmen in Rostock) berücksichtigt werden sollen. Der Auswahl jugendlicher Talente dienen auch die Kinder- und Jugend-Spartakiaden. In den Kreis- und Bezirks-Spartakiaden qualifizieren sich die Besten für die zentralen Kinder-Spartakiaden. Für sportbegabte Kinder und Jugendliche wurden schon 1952 die ersten der jetzt 15 „Kinder- und Jugendsportschulen“ errichtet, an denen nach dem Vorbild der SU die internatsmäßig untergebrachten Kinder je nach Alter 9 bis 13 Stunden in der Woche S.-Unterricht haben. Diese S.-Schulen dienen der systematischen Heranbildung von Spitzensportlern.

 

5. Massensportbewegung

 

 

Die Massensportarbeit steht unter der von Walter ➝Ulbricht verkündeten Parole: „Jedermann an jedem Ort, jede Woche einmal Sport“. Träger des Massen-S. in den Betrieben sind die BSG, deren finanzielle Mittel von den Betrieben gemäß dem Betriebskollektivvertrag aufgebracht werden müssen. In der sog. Massensportbewegung zeigt sich ebenfalls eine besonders enge Verquickung von S. und politischer Beeinflussung. Aufgabe der „Demokratischen Massenorganisation“ DTSB ist es, in Verbindung mit dem FDGB und der FDJ „die Werktätigen zum Sozialismus zu führen“. Über den S. sucht die Partei vor allem die Jugendlichen für sich zu gewinnen. Die planmäßige Körpererziehung beginnt daher bereits unter den Kindern im vorschulischen Alter. Seit 1959 wird regelmäßig im Juni jeden Jahres eine „Woche der Jugend und der Sportler“ veranstaltet zur „Mobilisierung einer bewußten schöpferischen Mitarbeit im Kampf für den Sieg des Sozialismus und die Sicherung des Friedens“. Neben Kultur- und S.-Veranstaltungen finden hier sog. Jugendforen statt, auf denen Partei- und Staatsfunktionäre über die sozialistische Entwicklung Sprechen. Das „Deutsche Turn- und Sportfest“ in Leipzig ist die größte Massensportveranstaltung. Zu seiner Vorbereitung sind die mehr als einhunderttausend Teilnehmer schon Monate vorher regelmäßig von den Betrieben und Schulen freizustellen, selbstverständlich unter Fortzahlung ihrer Bezüge.

 

Der Förderung des Wehr-S. dient das nach sowjet. Vorbild geschaffene S.-Leistungsabzeichen „Bereit zur Arbeit und zur Verteidigung der Heimat“. Gepäck- bzw. Fußmarsch, Hindernislauf und Kleinkaliberschießen gehören zu den Übungen für Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder. Die eigentliche Wehrertüchtigung ist die Aufgabe der am 7. 8. 1952 gegründeten Gesellschaft für ➝S. und Technik.

 

6. Internationale Sportbeziehungen und gesamtdeutscher Sportverkehr

 

 

Auch über den S. sucht die SBZ internationale Anerkennung zu finden (Außenpolitik, Diplomatische Beziehungen). In Übereinstimmung mit der auf staatsrechtliche Anerkennung gerichteten Politik werden gesamtdeutsche Mannschaften und gesamtdeutsche Meisterschaften abgelehnt. Alle Fachverbände des DTSB sind inzwischen in die internationalen S.-Verbände aufgenommen worden. Auch das Nationale Olympische Komitee (Präsident Heinz ➝Schöbel) wurde 1955 provisorisch mit der Auflage anerkannt, daß unter Einigung mit dem NOK der BRD nur eine deutsche Mannschaft an den Olympischen Spielen teilnehmen darf. Gegen ihren Widerstand mußte sich deshalb die SBZ bereit finden, für die Olympischen Spiele 1956, 1960 und 1964 gesamtdeutsche Mannschaften zu bilden. Vor den Olympischen Spielen 1960 kam es wegen der 1959 geschaffenen Flagge der „DDR“ zu den ersten großen Auseinandersetzungen bei der Bildung der gesamtdeutschen Mannschaft. Auf Anordnung des Internationalen olympischen Komitees (IOC) wurde für die deutsche Mannschaft eine neue Olympia-Flagge — schwarz-rot-gold mit den olympischen Ringen in weiß — geschaffen, unter der auch die gesamtdeutschen Mannschaften der Leichtathleten und Ruderer bei internationalen Meisterschaften antraten. Die gesamtdeutsche Mannschaft für die olympischen Spiele 1964 in Innsbruck und Tokio kam erst nach Überwindung größter Schwierigkeiten zustande. Die S.-Funktionäre der SBZ gaben nur widerwillig dem Druck des IOC nach. Die gesamtdeutsche Mannschaft wurde als Fiktion bezeichnet.

 

In der Medaillen-Statistik der sowjetzonalen Presse wurden die Erfolge der „DDR“ getrennt von denen „Westdeutschlands“ und „West-Berlins“ aufgeführt und angebliche Äußerungen der Olympiasieger, daß sie die „Goldmedaillen für die DDR geholt“ hätten, wiedergegeben. Auf einem Regierungsempfang für die „Olympia-Mannschaft [S. 452]der DDR“ erklärte der 1. Stellvertreter des Vors. des Ministerrates, Willi ➝Stoph: „Wir richten den Appell an alle Sportler der Bundesrepublik und West-Berlins, sich für friedliche, gleichberechtigte und freundschaftliche Beziehungen zwischen den deutschen Sportlern, ausgehend von der Realität des Bestehens zweier selbständiger deutscher Staaten und West-Berlins, einzusetzen.“

 

Auf dem Kongreß in Madrid im Oktober 1965 gab das IOC, offenbar der deutschen Streitigkeiten müde, den politischen Argumenten der SED nach und beschloß, das NOK der SBZ unter der Bezeichnung NOK-Ostdeutschland als Vollmitglied aufzunehmen. Für die olympischen Spiele 1968 in Grenoble und Mexiko sollen zwei deutsche Mannschaften zugelassen werden, die aber unter der Bezeichnung „Deutschland“ und „Ost-Deutschland“ unter der bisherigen Olympia-Flagge, mit einem gemeinsamen Emblem und mit einer Hymne („Freude schöner Götterfunken“) antreten müssen. Trotz dieser Einschränkungen, die sie der Bevölkerung zu verheimlichen suchte, feierte die SED-Propaganda diesen Erfolg ihrer auf die deutsche Spaltung gerichteten Politik (Spaltung und Wiedervereinigung Deutschlands) als einen großen Sieg über den Anspruch Bonns, „alleiniger Vertreter Deutschlands zu sein“.

 

Schon ein Jahr vorher hatte sich diese Entwicklung abgezeichnet, als der Verband der wichtigsten olympischen S.-Art, die Internationale Leichtathletik-Föderation, den sowjetzonalen DVfL als selbständiges Mitglied, jedoch ebenfalls unter der Bezeichnung Ost-Deutschland aufgenommen hatte. Im November 1965 kam auch das Ende für die letzte gesamtdeutsche Mannschaft der Ruderer, als von der internationalen Ruder-Föderation eine den beiden deutschen Olympiamannschaften entsprechende Regelung getroffen wurde. Um seiner Forderung auf eine selbständige Mannschaft Nachdruck zu verleihen, hatte sich der sowjetzonale Rudersport-Verband geweigert, Ausscheidungen für die gesamtdeutsche Vertretung durchzuführen. Bei den im August 1965 in Duisburg veranstalteten Europa-Meisterschaften der Ruderer hatten daher nur westdeutsche Ruderer die letzte gesamtdeutsche Mannschaft gebildet.

 

Der S.-Verkehr mit der BRD ist von der SED für die kommun. Propaganda ausgenutzt worden. Bei Begegnungen mit Sportlern der BRD soll über bestimmte jeweils aktuelle politische Fragen diskutiert werden. Wie der Bundesgerichtshof im April 1961 warnend festgestellt hat, sind sportliche Wettkämpfe für den DTSB meist nur ein Vorwand, um westdeutsche Sportler für Reisen in die SBZ zu gewinnen, wo sie im Sinne der kommun. Ziele beeinflußt werden sollen. S.-Veranstaltungen mit westdeutschen Sportlern sollen nur dann vereinbart werden, wenn ein Sieg der sowjetzonalen Sportler zu erwarten ist. Niederlagen des Sowjetzonen-S. gegen westdeutsche oder Sportler des „kapitalistischen“ Auslandes führen zu heftiger Kritik und häufig zur Maßregelung der verantwortlichen S.-Funktionäre und Trainer. Als Reaktion auf die Errichtung der Mauer in Berlin haben der Deutsche Sportbund und das NOK der Bundesrepublik am 16. 8. 1961 beschlossen, den durch die sowjetzonalen Abschnürungsmaßnahmen unterbundenen gesamtdeutschen S.-Verkehr abzubrechen. Auch die internationalen S.-Beziehungen der SBZ sind durch die Sperrmaßnahmen des 13. 8. 1961 empfindlich gestört worden. Als Gegenmaßnahme gegen das in der SBZ seitdem bestehende Verbot von Westreisen für Privatpersonen hat das Allied Travel Board in West-Berlin als Repräsentanten des SED-Regimes reisenden Sportlern grundsätzlich die Visaerteilung für die Mitgliedsstaaten der NATO verweigert. In vielen internationalen Wettkämpfen im westlichen Ausland war daher die „DDR“ nicht vertreten. Erst im April 1964 sind diese Reisebeschränkungen gelockert worden.

 

Wegen der ständigen Versuche der Funktionäre der SBZ, die „Staatsflagge der DDR“ zu hissen, kam es bei internationalen Veranstaltungen im westlichen Ausland wiederholt zu Zwischenfällen. Das hat dazu geführt, daß die ausländischen Veranstalter und die internationalen Verbände immer häufiger auf Flaggen und Hymnen der beteiligten Nationen verzichteten.

 

Am 30. 10. 1965 hat der Deutsche Sportbund (DSB) beschlossen, den am 16. 8. 1961 abgebrochenen S.-Verkehr mit der SBZ wieder aufzunehmen. Der DSB ging bei diesem Beschluß von der Erwartung aus, daß die in der Sitzung in Madrid im Oktober [S. 453]1965 getroffene Entscheidung des IOC, wonach West-Berlin in dem S. der BRD und Ostberlin in dem S. der SBZ aufgeht, von der SBZ respektiert und die Diskriminierung des West-Berliner S. aufhören würde. Seit Ende 1958 war von kommunistischer Seite versucht worden, durch Isolierung der West-Berliner Sportler und Boykott von S.-Veranstaltungen in West-Berlin die kommunistische Drei-Staaten-Theorie auch auf dem Gebiet des S. durchzusetzen. Diese politische Kampagne gegen West-Berlin hatte z. B. im Frühjahr 1962 zum Boykott der vom Deutschen Tischtennis-Bund in West-Berlin veranstalteten Europa-Meisterschaften durch die kommunistisch beherrschten Länder geführt. Die gleiche Haltung hatten die sowjetzonalen Funktionäre bei den Verhandlungen über die gesamtdeutsche Olympia-Mannschaft für die olympischen Spiele 1964 gezeigt. Erst durch eine Entscheidung des IOC, in der das Recht der westdeutschen S.-Verbände bestätigt wurde, in West-Berlin Ausscheidungskämpfe zu veranstalten, wurde die SED zum Nachgeben genötigt. Die Hoffnungen auf eine Änderung dieser Haltung sind bereits durch die Weigerung des sowjetischen Handball-Verbandes, zu den in West-Berlin angesetzten Spielen der Hallenhandball-Weltmeisterschaften der Frauen im November 1965 anzutreten, enttäuscht worden.

 

Ein weiteres Hindernis für einen wirklichen gesamtdeutschen S.-Verkehr ist die Furcht des SED-Regimes, viele Sportler könnten die Reisen nach Westdeutschland zur Flucht benutzen. Selbst in den vergangenen Jahren haben zahlreiche Spitzensportler trotz der vorher getroffenen sorgfältigen Auswahl und ungeachtet der vielen Vergünstigungen, die sie als „Repräsentanten der DDR“ genießen, die Gelegenheit von Wettkämpfen in der BRD oder im westlichen Ausland zur Flucht genutzt.

 

Literaturangaben

  • Kortenberg, Walter: Der Sport in der sowjetischen Besatzungszone. (BB) 1954. 198 S. m. 15 Anlagen.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1966: S. 448–453


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.