
Staatsarchive (1966)
Siehe auch die Jahre 1959 1960 1962 1963 1965 1969 1975 1979 1985
Durch VO vom 17. 6. 1965 wurde das gesamte staatliche Archivwesen der SBZ neu geregelt. Nach wie vor ist für die Leitung des staatlichen Archivwesens das Ministerium des Innern (Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten) verantwortlich. Seine Aufgaben werden praktisch von der Staatlichen Archivverwaltung (Sitz Potsdam) wahrgenommen, der das Deutsche Zentralarchiv, 14 St., 2 Archivdepots, Zentrale Technische Werkstätten und die Fachschule für Archivwesen unterstellt sind. Damit ist eine Zentralisation erreicht, die es auf deutschem Boden bisher noch nie gegeben hat.
Als Archiv mit zentralem Aufgabenbereich verwaltet das Deutsche Zentralarchiv (DZA) Potsdam die in der SBZ verbliebenen Aktenbestände deutscher Reichsbehörden und aller seit 1945 auf dem Gebiet der SBZ gebildeten zentralen „Staatsbehörden“, soweit deren Archivgut nicht in den Verwaltungsarchiven der Ministerien usw. aufbewahrt wird. Für das nach 1945 entstandene Archivgut ist die Außenstelle des DZA im ehemaligen Zuchthaus Coswig/Elbe geschaffen worden. Ferner ist die Errichtung zweier Archivdepots vorgesehen. Im DZA Potsdam werden außerdem wertvolle Urkunden- und Aktenbestände der Archive der Hansestädte Hamburg, Bremen und Lübeck zurückgehalten.
In der Abt. Merseburg des DZA sind die von Berlin-Dahlem im Kriege ausgelagerten Bestände des Preußischen Geh. St. sowie des Hohenzollernschen Hausarchivs [S. 457]mehr oder weniger provisorisch untergebracht.
Die 5 Landeshauptarchive (LHA), deren provinzielle Zuständigkeit den 5 Ländern der SBZ entsprach, sind mit VO vom 17. 6. 1965 zu St. umgebildet worden, deren Zuständigkeit sich nunmehr mit den durch die Verwaltungsneugliederung von 1952 geschaffenen Bezirken deckt. Außer den 4 LHA wurden 4 weitere ihnen einstmals nachgeordnete Landesarchive in St. verwandelt. 5 andere Landesarchive wurden zu Historischen St. umgebildet, deren Tätigkeit sich darauf beschränken soll, alles bis zum Jahre 1945 bzw. 1952 entstandene Archivgut ihres regionalen Bereiches zu verwahren.
Außer den genannten St. bestehen in der SBZ Kreis-, Stadt-, Betriebs-, Literatur-, Film-, Bild- und Tonarchive sowie Archive wissenschaftlicher Einrichtungen. Als Verwaltungsarchive haben sie die Funktion von Zwischenarchiven und verwalten das anfallende Schriftgut bis zur Abgabe an das staatliche Endarchiv. Filmmaterial wird gesondert im Staatlichen Filmarchiv aufbewahrt. Für das militärische Schriftgut ist mit Wirkung vom 15. 7. 1964 das Deutsche Militärarchiv in Potsdam gegründet worden. Es ist Zentralarchiv der NVA und historisches Archiv aller Akten militärischer Provenienz der Zeit bis 1945. In den staatlichen Endarchiven lagert eine Aktensubstanz von über 207.000 laufenden Metern, die insgesamt den sog. „Staatlichen Archivfond“ bilden.
Das Ausbildungswesen für den höheren und mittleren Archivdienst wurde seit 1953 in Potsdam zentralisiert und konzentriert. Das für die Ausbildung des höheren Archivdienstes zuständige Institut für Archivwissenschaft, gegründet 1950, wurde durch AO vom 10. 8. 1961 der Philosophischen Fakultät (Fachrichtung Geschichte) der Ostberliner Humboldt-Universität angegliedert und besitzt seitdem das Promotionsrecht in Archivwissenschaft. In 8 ein- bis zweijährigen Lehrgängen wurden bisher etwas über hundert Anwärter für den höheren Archivdienst ausgebildet, doch blieb der erhoffte politische Erfolg nicht selten aus. Künftig sollen die wissenschaftlichen Archivare nicht mehr in einem 16monatigen Zusatzstudium am Institut für Archivwissenschaft, sondern selbständig im Rahmen der Philosophischen Fakultät der Ostberliner Universität in einem geschlossenen 5jährigen Studium ausgebildet werden. Damit tritt allerdings eine erhebliche Verkürzung der Ausbildungszeit für wissenschaftliche Archivare ein, die zwar dem immer noch prekären Nachwuchsmangel abzuhelfen geeignet ist, keineswegs aber der wissenschaftlichen Befähigung der künftigen Archivare förderlich sein dürfte. Für die Ausbildung des mittleren Archivdienstes ist die am 1. 9. 1955 ebenfalls in Potsdam eröffnete Fachschule für Archivwesen zuständig. Von 1950–1965 wurden insgesamt 162 Archivare des mittleren Dienstes geschult, von denen allerdings ein großer Teil nicht mehr im Archivwesen tätig ist.
Um dem Mangel an Fachkräften abzuhelfen, wurden ferner Sonderkurse abgehalten und ein Fernstudium eingerichtet. Die offizielle Erfolgsstatistik des Fernstudiums für Archivwesen nennt für die Zeit von 1956 bis 1964 insgesamt 374 Lehrgangsteilnehmer. Für die Ausbildung von Archivaren scheute man kaum Kosten, während es aber auf der anderen Seite an den nötigen Mitteln für dringende Archivneubauten fehlt und sich vor allem die Archivare mit einer äußerst niedrigen Besoldung zufrieden geben müssen.
Die St. sollen ihre Aufgaben im Einklang und nach Abstimmung „mit den Perspektivplänen der Volkswirtschaft“ erfüllen. Im einzelnen wird laut VO vom 17. 6. 1965 von den St. verlangt, daß sie die jeweilige Politik der Regierung der SBZ namentlich durch Bereitstellen entsprechender dokumentarischer Materialien unterstützen. Inzwischen sind bereits verschiedene sog. Dokumentationskommissionen gebildet worden. An zweiter Stelle rangiert die Unterstützung von Wirtschaftsvorhaben, sodann die Förderung der historischen Forschung bei der Erarbeitung eines marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes. Daß die Archive den Bürgern „bei der Wahrung persönlicher Rechte“ behilflich sein sollen, davon war bislang wenig zu spüren, zumal in allen persönlichen Angelegenheiten eine grundsätzliche Auskunftssperre verhängt war. Vorerst ist in dieser Hinsicht keine Lockerung eingetreten. Schließlich bedeutet auch der Wechsel in der Leitung der Staatlichen Archivverwaltung keine grundsätzliche Kursänderung. Mit Wirkung vom 1. Juni 1965 wurde Schirdewan durch den bisherigen Stellv. Direktor des DZA, Walter Hochmuth, abgelöst.
Die 2. Durchführungsbestimmung zur VO vom 17. 6. 1965, die die Benutzungsbestimmungen zusammenfaßt, fixiert die Regelungen, die bereits unter Schirdewan bestanden. Danach entscheidet der Leiter der Staatlichen Archivverwaltung über alle Benutzungsanträge von Personen, die ihren Wohnsitz nicht innerhalb der SBZ haben, und erteilt bzw. versagt die Benutzungserlaubnis, soweit es sich um die Einsichtnahme von Archivalien der St. handelt. Auch die Erteilung von schriftlichen Auskünften an Auskunftsuchende mit Wohnsitz außerhalb der SBZ unterliegt seiner Genehmigungspflicht. Da die Archive in erster Linie „der propagandistischen und agitatorischen Einwirkung“ dienen sollen, wird eine objektive Forschung namentlich zur Zeitgeschichte kaum mit ihrer Unterstützung rechnen dürfen. Mit Hilfe des § 5 der Benutzungsordnung, der besagt, daß die Benutzungserlaubnis verwehrt wird „wenn die Sicherung staatlicher Interessen dies erfordert“, ist es möglich, allen Forschungsvorhaben, die nicht den Vorstellungen des Regimes entsprechen, die archivische Unterstützung zu versagen. Außerdem ist die Benutzung für Personen, die ihren Sitz nicht in der SBZ haben, „jeweils auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt“.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1966: S. 456–457
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