
Umsiedler (1966)
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Ursprünglich Bezeichnung der Heimatvertriebenen (Vertriebene) aus den deutschen Ostgebieten. U. werden heute Personen genannt, die aus Westdeutschland in die SBZ übersiedeln. Während jede Verleitung zur Republikflucht in der SBZ als Staatsverbrechen bestraft wird (Abwerbung, Menschenhändler), bemüht sich die SED, Bürger der BRD zur Übersiedlung in die SBZ zu veranlassen. Der Erfolg dieser Bemühungen ist gering. Trotzdem versucht die SED-Propaganda den Eindruck einer großen Fluchtbewegung aus der BRD und West-Berlin hervorzurufen.
Nach einer im Juni 1965 in der BRD veröffentlichten amtlichen Statistik sind von 1950 bis 1964 505.361 Personen in die SBZ übergesiedelt. Im August 1964 behauptete die SED-Propaganda, daß in den drei Jahren seit Errichtung der Mauer 60.000 Menschen in der „DDR eine neue Heimat gefunden“ hätten. Diese Behauptung widersprach den eigenen Berichten der SED-Presse, aus denen sich die Zahl von monatlich etwa 1.000 Umsiedlern ergab, d.h. in drei Jahren etwa 36.000. Daß diese Zahl weit eher den Tatsachen entspricht, wurde ein Jahr später durch die Meldung der Zonenpresse bestätigt, wonach in der Zeit vom 13. 8. 1961 bis zum 13. 8. 1965 69.660 Menschen aus Westdeutschland und West-Berlin in die „DDR“ übergesiedelt sein sollen. Abzüglich der für die Zeit bis zum 13. 8. 1964 gemeldeten 60.000 U. wären also in dem Jahr bis zum 13. 8. 1965 rund 10.000 Personen in die SBZ übergesiedelt. Das entspricht etwa dem Durchschnitt der vergangenen Jahre seit Errichtung der Mauer. Obwohl die SED-Propaganda von „einem ständig wachsenden Strom der Rückkehrer und U.“ spricht, ergibt sich aus den eigenen Zahlenangaben der Zonenpresse seit 1964 eine rückläufige Entwicklung auf durchschnittlich etwa 800 bis 900 U. monatlich, darunter etwa 500 Rückkehrer.
Durch Presse und Rundfunk werden ständig Berichte über U. verbreitet, die „endlich der Unterdrückung und Kriegshetze in Westdeutschland entkommen sind und einer glücklichen Zukunft im ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staat entgegensehen“. Wie Nachforschungen ergeben haben, waren in allen Fällen nicht die von der SED-Propaganda verbreiteten politischen Gründe, sondern erhebliche Schulden oder die Furcht vor Bestrafung wegen krimineller Delikte der wahre Anlaß zum Übertritt in die SBZ. Auch viele asoziale und arbeitsscheue Menschen sind unter den U. Die SED hat sich offenbar davon inzwischen selbst überzeugt. In Veröffentlichungen werden die U. neuerdings als eine der wichtigsten Ursachen für die Kriminalität in der SBZ bezeichnet, die unter den U. das Vierfache des SBZ-Durchschnitts betragen soll.
Mitgliedern der ehemaligen KPD wird grundsätzlich die Umsiedlung in die SBZ versagt. Sie sollen in der BRD bleiben und dort die auf den Umsturz der demokratischen Ordnung gerichteten Ziele der Zonenmachthaber unterstützen. Selbst politische Strafverfahren berechtigen den westdeutschen Kommunisten im allgemeinen nicht zur Flucht in die „DDR“, da die SED solche „Märtyrer“ für ihre Propaganda benötigt.
Die U. werden nach ihrer Ankunft in der SBZ für einige Wochen in sog. Aufnahmeheime eingewiesen, wo eine eingehende Überprüfung durch den Staatssicherheitsdienst erfolgt. Geeignete U. werden schon bei dieser Gelegenheit zu Spitzeldiensten genötigt (Spitzelwesen). Unzuverlässig erscheinende und nicht einmal für die Propaganda geeignete U., vor allem als asozial und kriminell erkannte Personen, werden häufig wieder in die BRD abgeschoben. Für die übrigen U. gibt es seit Errichtung der Mauer in Berlin keine Rückkehr in ihre westdeutsche Heimat mehr, da sie mit der Übersiedlung in die SBZ „Bürger der DDR“ geworden sind.
Personen, die erstmalig ihren Wohnsitz aus der BRD oder West-Berlin in die SBZ verlegen, können als U. vom Rat der Gemeinde gewisse finanzielle Hilfen erhalten, und zwar ein Überbrückungsgeld von 50 DM Ost, Erstattung der Unterkunftskosten für zwei Wochen und ein Darlehen von 1.000 DM Ost (bei Übersiedlung mit Angehörigen bis zu 2.000 DM Ost) zur Anschaffung von Hausrat. Im Gegensatz zu den früheren Bestimmungen wird Rückkehrern diese Unterstützung nicht mehr gewährt. Nach einer Anweisung des Justizministeriums dürfen U. für Schulden aus Teilzahlungsgeschäften, die sie vor ihrer Übersiedlung [S. 489]im Westen abgeschlossen haben, grundsätzlich nicht in Anspruch genommen werden. Die Zwangsvollstreckung aus westdeutschen Schuldtiteln wird häufig nicht genehmigt.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1966: S. 488–489
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