
Versorgung (1966)
Siehe auch die Jahre 1963 1965 1969 1975 1979
Wie in jedem Jahr gab sich das Zonenregime mit Verordnungen, Aufrufen und Verpflichtungen der „Werktätigen“ alle Mühe, den Lebensstandard der Bevölkerung zu erhöhen und eine durchgreifende Besserung der V. zu erzielen. Es ist nicht zu leugnen, daß sich langsam und stetig die Lage auf dem Konsumgütersektor auch in der SBZ bessert und sich damit der Lebensstandard anhebt, aber solange die sozialistische Industrie und damit auch die Warensortimente in Umfang und Zusammensetzung den Erfordernissen der staatlichen Planwirtschaft untergeordnet bleiben, besteht in absehbarer Zeit kaum Aussicht, der Bevölkerung ein so vielseitiges Sortiment auf allen Sektoren [S. 504]des Verbrauchs und besonders der modernen Technik zu bieten, wie es uns in einer freien Marktwirtschaft zur Selbstverständlichkeit geworden ist.
Der Warenumsatz stieg 1965 um 4 v. H.; zieht man aber in Betracht, daß die Industriepreisreform in den einzelnen Verarbeitungsstufen teilweise bedeutende Preiserhöhungen brachte, die sich zwar nach Vorschrift nicht in den Endverbraucherpreisen niederschlagen sollen, daß durch oft fingierte Qualitätsverbesserungen das vorgeschriebene Preisniveau jedoch nicht gehalten wurde, so läßt der wertmäßige Umsatzausweis keinen aussagekräftigen Rückschluß auf die tatsächliche Steigerung des Warenangebots zu. Der schon lange versprochene „Wohlstand“ ist jedenfalls noch nicht in Sicht.
Wenn auch in der SBZ manche Verbesserung in der Beschaffung von Verbrauchsgütern erzielt werden konnte, so ist es doch noch nicht gelungen, die V. der eines modernen Industriestaates anzupassen, als den Ulbricht die Zone immer wieder herausstellt. In den 20 Jahren der sozialistischen Planwirtschaft konnten die Versorgungslücken der Betriebe und der Bevölkerung noch nicht auf breiter Front geschlossen werden. Noch heute gibt es nach Aufhebung der Lebensmittelkarten (1958) auf dem Lebensmittelsektor „Lenkungsmaßnahmen“, die den Einkauf von Butter, Fleisch und Eiern auf Kundenlisten in bestimmten Geschäften nach zugeteilten Mengen vorschreiben. Bei steigendem Marktaufkommen wurden die Zuteilungen, großzügiger gehandhabt und z. B. bei Fleisch und Fleischwaren z. Z. überhaupt nicht mehr zur Anwendung gebracht, doch sind die Kundenlisten bis heute noch nicht offiziell aufgehoben worden. Butter gibt es nach wie vor in Wochenmengen von pro Kopf 250 g. Im wesentlichen ist auf dem Lebensmittelsektor die V. mit Grundnahrungsmitteln gesichert, wenn auch die für uns selbstverständlichen Varianten fehlen. Von den Ostblockstaaten wird für die nächste Zeit die Entwicklung der Ernährungslage skeptisch beurteilt. Von den daraus resultierenden Schwierigkeiten bleibt die Zone auch nicht ausgenommen, so daß eine Erhöhung der Einfuhren von Lebensmitteln aus dem westlichen Ausland zur Aufrechterhaltung des inzwischen erreichten Lebensstandards nicht ausgeschlossen ist. Schwierigkeiten ergeben sich immer wieder in der Obst- und Gemüseversorgung. Zu den Verlusten durch Witterungseinflüsse treten Verluste wegen Fehlens geeigneter Lagerräume. Gartenbesitzer und Kleingartenverbände sind in die V. planmäßig mit eingeschaltet und bringen ca. 50 v. H. der Obstversorgung. Aus Devisengründen war bisher die Bereitstellung von Südfrüchten vollkommen unzureichend, wenn auch zum Jahreswechsel 1965/66 eine Verbesserung zugesagt wurde. In den Landwirtschaftsbezirken wurden 1965 erstmalig die Kartoffelkarten aufgehoben, während sie in anderen Bezirken und Ostberlin in Kraft blieben. Das besagt aber noch nicht, daß die Bezugsmengen ohne jegliche Kontrolle geliefert werden. Kohlenkarten bestehen nach wie vor. Sie wurden zur Neuanmeldung bei den Kohlenhandelsbetrieben für 1966 aufgerufen, da die alten Karten mit dem 31. 12. 1965 ihre Gültigkeit verlieren. Zusätzlicher Hausbrand muß von der HO zu überhöhten Preisen bezogen werden.
Mit keinem der vielen Wirtschaftspläne konnte das Regime eine ausreichende Basis schaffen, die ein gesundes Verhältnis zwischen Nahrungsmitteln und Industriewaren zur Entlastung des landwirtschaftlichen Marktaufkommens garantiert, das auch heute noch zu Lasten der Konsumgüter einen Anteil von Nahrungs- und Genußmitteln am Gesamtumsatz von fast 57 v. H. ausweist. Eine ausreichende Industriewarenproduktion würde wesentlich zu einem Ausgleich beitragen. Das auch heute bei vielen hochwertigen Industriewaren noch mangelhafte Angebot führt zu einem außerplanmäßigen Kaufkraftüberhang, der allerdings z.T. in den Beständen der Spareinlagen aufgefangen wird, da Autos, Kühlschränke, Waschmaschinen und andere Waren auch heute noch Mangelwaren mit langen Wartezeiten sind und vom Teilzahlungsgeschäft ausgeschlossen bleiben. Eine Ausnahme bilden Fernsehapparate, die wegen Überproduktion und Sättigung bestimmter Käuferschichten (Preise betragen mit 1.600 bis 2.500 DM Ost immer noch das Dreifache gegenüber der BRD) mit geringen Anzahlungen und einer Ratenlaufzeit von über 2 Jahren abgegeben werden. Sie sollen vor allem der Parteipropaganda die niedrigen Einkommensschichten erschließen. Zudem werden gebrauchte Empfänger in Zahlung genommen. Damit hat die SBZ einen Weg beschritten, den sie bisher als „kapitalistisch“ abgelehnt hatte. Ähnlich verhält es sich mit Leichtmotorrädern, deren Käufern zusätzlich noch ein Winterrabatt eingeräumt wurde.
Auch 1965 ist es, im Gegensatz zu den Forderungen des Neuen ökonomischen Systems, auf dem Konsumgütersektor noch nicht zu einer befriedigenden Zusammenarbeit zwischen Handel und Industrie unter Auswertung der Bedarfsforschung auf dem Binnenmarkt gekommen. Die laufenden Umorganisationen zeigen es deutlich. Der Schwerpunkt liegt bei der Textilproduktion mit der Ausrichtung auf ansprechende und zweckmäßige Musterungen der Textilien und deren Gebrauchsfähigkeit, um die Überplanbestände an altmodischen Textilwaren zu vermeiden. Schwierigkeiten bereiten ferner die Erzeugnisse aus synthetischen Fasern, die auch heute noch nicht regelmäßig und dann noch zu stark überhöhten Preisen im Handel zu haben sind (bügelfreies Oberhemd 70–90 DM Ost). Zur Verbesserung bei Konsumgütern wurden schon seit einigen Jahren die „gesellschaftlichen“ Bedarfsträger vom Bezug aus dem Bevölkerungskontingent ausgeschaltet. Verschärft wird die Situation noch dadurch, daß die SBZ in den letzten Jahren ein großes Aufkommen an Industriewaren zur Verbesserung der Lebenshaltung der sowjet. Bevölkerung bereitstellen mußte. Das wird dem Binnenmarkt entzogen. Die mitteldeutsche Bevölkerung muß gegenüber der kommunistischen Zielsetzung der SU wie immer zurücktreten. Die SBZ muß ihre Rolle als Trabant und Verarbeitungszentrum Moskaus auch nach den gesteigerten Anforderungen im Handelsabkommen für den Zeitraum von 1966 bis 1970 nach Ulbrichts Willen weiter spielen. Über der Bevorzugung der hochwertigen Industriegüter zur besseren Umsatzsteigerung vergaß man die tausend [S. 505]kleinen Dinge des täglichen Bedarfs, einfache Haushaltswaren, Kleineisenwaren und Werkzeuge, die auch heute noch nicht in einem geschlossenen Sortiment angeboten werden. Eine Verbesserung ist lediglich bei technischen Gebrauchsgütern, einzelnen Haushaltsgeräten sowie Glas und Porzellan zu verzeichnen. Ein Engpaß besteht nach wie vor bei Verpackungsmaterial, das besonders für die Entwicklung der Selbstbedienungsläden ausschlaggebend ist.
Die SBZ ist um Behebung der Schwierigkeiten auf dem Dienstleistungssektor bemüht, aber für Dienstleistungen des Alltags wie Wäsche und Schuhreparaturen reichten die bestehenden Dienstleistungsbetriebe nicht aus. Zur Entlastung dienen hauswirtschaftliche Dienstleistungskombinate, die als volkseigene Betriebe firmieren und mehrere Zweige zusammenfassen (Kombinate). Waschstützpunkte sollen die Frauen entlasten und dem Arbeitseinsatz geneigt machen. Als Annahmestellen fungieren vielfach die Verkaufsstellen des sozialistischen Handels.
Zum besseren Überblick über den Gesamtkomplex der V. der Bevölkerung wurde bei den örtlichen Staatsorganen der V.-Plan geschaffen, der u.a. eine Zusammenfassung der einzelnen Planteile im Handelssektor bringt. Er ist Bestandteil des Volkswirtschaftsplanes und umfaßt schwerpunktmäßig die vier Planteile: Nahrungsgüter, Industriewaren, Reparaturen und Dienstleistungen. Die Produktionsaufkommen aus Industrie, Handwerk und Landwirtschaft werden darin der Anforderung des Handels unter Berücksichtigung des vorhandenen Transportraumes gegenübergestellt und abgestimmt. In letzter Zeit ist es allerdings um den Versorgungsplan ruhig geworden. Es ist anzunehmen, daß die Erwartungen nicht erfüllt wurden. Mit Neuordnung der Aufgaben der Kreise in der V. der Bevölkerung kommt ihm auch keine ausschlaggebende Bedeutung mehr zu, er wurde aber offiziell noch nicht außer Kraft gesetzt. Ob es mit Hilfe des Neuen ökonomischen Systems gelingt, mit dem erhofften Aufschwung der Grundstoff- und Produktionsmittelindustrie auch die Produktion von Konsumgütern anzukurbeln, hängt von einer größeren Produktivität der Wirtschaft ab und zum anderen, ob neben dem Export auch der Bevölkerung ein größerer Teil des Aufkommens in guter Qualität zugebilligt wird.
Eine reale Forderung an das Regime bezieht sich auf eine bessere Bereitstellung von Baumaterialien für den noch privaten Hausbesitz, da sonst die verlangten Maßnahmen zur Werterhaltung des Grundbesitzes nicht gewährleistet sind. Inwieweit sich die bisherige Vernachlässigung gerade des privaten Hausbesitzes wieder gutmachen läßt, bleibt abzuwarten, zumal die Besitzer zu einem großen Teil Rentner sind, die nicht in der Lage sind, die erforderlichen finanziellen Mittel aufzubringen Wiederholte Verkaufsangebote in der sowjetzonalen Presse, die weit unter dem Einheitswert liegen und teilweise noch nicht einmal 50 v. H. ausmachen, bestätigen diese bedauerliche Tatsache.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1966: S. 503–505
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