
Zivilprozeß (1966)
Siehe auch die Jahre 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1969 1975 1979 1985
Die im Perspektivplan des Justizministeriums (Justizreform) vorgesehene neue Z.-Ordnung, die am 1. 1. 1963 in Kraft treten sollte, ist noch nicht einmal im Entwurf vorgelegt worden. Für die Ausarbeitung der neuen ZPO ist 1963 wiederum eine Kommission eingesetzt worden (Zivilgesetzbuch). Die bisher noch gültige deutsche ZPO ist durch neue gesetzliche Bestimmungen und durch die gerichtliche Praxis grundlegend verändert worden. Die wichtigsten Neuerungen brachten das Gerichtsverfassungsgesetz vom 2. 10. 1952 (Gerichtsverfassung) und die im Anschluß hieran ergangene Angleichungsverordnung.
Nach dem neuen Gerichtsverfassungsgesetz vom 17. 4. 1963 ist das Kreisgericht (KG) in erster Instanz für alle Zivil- und Familiensachen (Familienrecht) zuständig, wenn nicht der Bezirksstaatsanwalt die Verhandlung vor dem Bezirksgericht (BG) beantragt oder der Direktor [S. 554]des BG die Sache an das BG heranzieht. Das BG ist außerdem Berufungsinstanz und Kassationsgericht (Kassation) für die Entscheidungen der KG. Ein weiteres Rechtsmittel gibt es nicht. Über Berufungen gegen erstinstanzliche Urteile des BG entscheidet das Oberste Gericht, das außerdem ebenfalls Kassationsgericht ist. Alle vermögensrechtlichen Streitigkeiten zwischen sozialistischen Betrieben und sämtliche Streitfälle bei der Gestaltung und Erfüllung von Verträgen im Rahmen des Vertragssystems fallen in die Zuständigkeit des staatlichen ➝Vertragsgerichts. Mit der fortschreitenden Sozialisierung der Wirtschaft (Landwirtschaftliche ➝Produktionsgenossenschaften, Handwerk) und dem ständigen Rückgang des Anteils der privaten Betriebe an der Produktion (Privatwirtschaft) und des Privathandels an den Gesamthandelsumsätzen (Handel) hat daher die Zahl der Z. in den letzten Jahren ständig abgenommen. Ein großer Teil der Zivilverfahren sind Mietstreitigkeiten. 1962 waren es 22,8 v. H. aller anhängigen Z., in Ostberlin im 4. Quartal 1963 sogar 43,9 v. H.
Die Zivilkammern des Kreisgerichts und die erstinstanzlichen Zivilsenate des Bezirksgerichts sind mit einem Berufsrichter als Vorsitzendem und zwei mit vollen richterlichen Befugnissen versehenen Schöffen besetzt.
Die Aufgaben des früheren Rechtspflegers insbesondere im Mahnverfahren und in der Zwangsvollstreckung sind dem Sekretär des Gerichts übertragen worden (§§ 28 ff. der Angleichungs-VO).
Für alle Verfahren in erster Instanz gelten gemäß § 38 der Angleichungs-VO die Bestimmungen der §§ 495 ff. der ZPO. Vor dem Bezirksgericht findet jedoch keine Güteverhandlung statt. Ein Verfahren vor dem Einzelrichter gibt es in erster Instanz nicht.
Neu geregelt ist das Verfahren in Ehesachen durch die Eheverfahrensordnung vom 7. 2. 1956.
Anwaltsvertretung ist in allen Berufungsverfahren notwendig. Das Gericht kann jedoch von der Vorschrift des Anwaltszwanges befreien. VEB können sich im Anwaltsprozeß durch eigene Angestellte vertreten lassen. (Rechtsanwaltschaft)
Zur Wahrung der sozialistischen Gesetzlichkeit in der Rechtsprechung und zur Sicherung der staatlichen und gesellschaftlichen Interessen hat der Staatsanwalt das Recht, in Zivil- und Familienrechtsverfahren durch Teilnahme an den Verhandlungen, Einreichung von Schriftsätzen und Rechtsgutachten mitzuwirken. Der Staatsanwalt kann selbständig Klage erheben (ausgenommen in Eheverfahren) und Anträge stellen. Neben der Möglichkeit, die Kassation rechtskräftiger Entscheidungen zu beantragen, hat er das Recht, erstinstanzliche Urteile mit dem Protest anzufechten (§§ 22 bis 24 des „Gesetzes über die Staatsanwaltschaft der DDR“ vom 17. 4. 1963).
Über die gesetzgeberischen Maßnahmen hinaus sind die formell weiter geltenden Vorschriften der Z.-Ordnung mit einem „neuen Inhalt“ erfüllt worden. Ausgehend von den im § 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes niedergelegten Aufgaben der Rechtsprechung (Rechtswesen), sind der Verhandlungs- und der Verfügungsgrundsatz, auf denen der deutsche Z. beruht, beseitigt worden. („Die noch geltenden alten Normen sind kein Hindernis dafür, die Zivilverfahren in sozialistischer Weise durchzuführen“, Nathan, Neue Justiz 1959, S. 592). Die Gerichte haben von sich aus die objektive Wahrheit zu ermitteln. Sie sind dabei nicht an die Beweisanträge der Parteien gebunden. Es darf keine Anerkenntnis- und Versäumnisurteile oder Vergleiche geben, die nicht im Einklang mit der Rechts- und Gesellschaftsordnung der „DDR“ stehen. Durch den neuen „sozialistischen Arbeitsstil“ wird das Gericht auch im Z. zu einem „aktiv handelnden Staatsorgan, das mit seiner rechtsprechenden Tätigkeit staatliche Leistungsfunktionen verwirklicht, indem es in enger Zusammenarbeit mit den örtlichen Organen aktiv zur Lösung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Hauptaufgabe beiträgt“. Das Gericht bestimmt selbst den Umfang der Untersuchungen und deckt dadurch „die gesellschaftlichen Hintergründe der auftretenden Konflikte auf und beseitigt die hemmenden Ursachen selbst oder mit Hilfe der örtlichen Organe und des Staatsanwaltes“. Zur Erhöhung der erzieherischen Wirkung des Z. sollen geeignete Verhandlungen vor „erweiterter Öffentlichkeit“ durchgeführt werden (Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung, Schauprozeß). Schon vor dem eigentlichen Z. ist eine „gesellschaftliche Tätigkeit zur Beseitigung des Konfliktes und seiner Ursachen“ zu entfalten. Hierbei sind neue Formen zu entwickeln, durch die „die gesellschaftlichen Kräfte in noch größerem Umfange in die Lösung ziviler Rechtsstreitigkeiten einbezogen und so die Werktätigen befähigt werden, ihre Angelegenheiten selbst im Prozeß der gegenseitigen gesellschaftlichen Erziehung zu lösen“. Kleinere zivilrechtliche Streitigkeiten wegen Geldforderungen bis zur Höhe von etwa 500,– DM, wegen Erfüllung von rechtsverbindlich festgestellten Unterhaltspflichten und andere Streitigkeiten des täglichen Lebens mit einem einfachen Sachverhalt sind von den Konfliktkommissionen und den Schiedskommissionen zur gütlichen Beilegung zu behandeln (gesellschaftliche Gerichte).
Flüchtlingen darf das Armenrecht nicht bewilligt werden. Sie sind nicht mehr legitimiert, über ihr in der SBZ gelegenes Vermögen Prozesse zu führen.
Literaturangaben
- Rosenthal, Walther, Richard Lange, und Arwed Blomeyer: Die Justiz in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. 4., überarb. Aufl. (BB) 1959. 206 S.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1966: S. 553–554