DDR von A-Z, Band 1966

Ärzte (1966)

 

 

Siehe auch die Jahre 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1969 1975 1979


 

Niederlassung von Ä. in freier Praxis wurde 1949 auf seltene Ausnahmefälle beschränkt. Man versuchte den Ä. die haupt- oder „nebenberufliche“ Tätigkeit in Polikliniken und Ambulatorien durch Privilegien schmackhaft zu machen. Anfang 1960 waren von rd. 11.700 Ä. noch rd. 3.200 in eigener Praxis niedergelassen, davon etwa die Hälfte über 65 Jahre alt, fast alle daneben an öffentlichen Einrichtungen, vor allem im Betriebsgesundheitswesen, tätig. Der Anteil der freien Praxen an den Behandlungsfällen betrug aber noch 1959 mehr als 50 v. H., mit der Folge höchster Anspannung der Arbeitskraft der Ä. Die Einschränkung der beruflichen Unabhängigkeit, Schwierigkeiten in der Erziehung der eigenen Kinder veranlaßten viele Ä. [S. 42]trotz guter Einnahmen zur Abwanderung, besonders seit 1957. Dadurch entstanden Ende 1958 krisenhafte Schwierigkeiten in der ärztlichen Versorgung, zumal in ländlichen Gebieten.

 

Die Zulassungen zum Medizinstudium (1950: 500) wurden stark gesteigert (1961: 2.250); neue klinische Ausbildungsstätten (Medizinische Akademien) wurden geschaffen. Aber die Zahl der Neuapprobationen betrug, infolge des Ausscheidens Ungeeigneter und der Abwanderung von Studenten in die BRD, auch 1961 nur 1.275. Immerhin war der Neuzugang höher als der Verlust durch Abwanderung und Lebensalter. Bedenklich wurde der Mangel an berufserfahrenen Ä. Auch weitete das Regime die ärztlichen Aufgaben rücksichtslos aus. Ein großer Teil der jungen Ä. wurde in die militärischen Einrichtungen gezogen. Rund ein Viertel der Ä. ist ausschließlich mit Verwaltungsaufgaben befaßt. Wenn auch Anfang 1961 nominell auf 1 A. ebensoviel Einwohner kamen wie 1939, so bedeutete dies doch, daß die ärztliche Versorgung der Bevölkerung auf die Hälfte abgesunken war. Versucht wurde, die angespannte Lage durch Heranziehung von Ä. aus Satellitenländern mit hohem Bestand an Ä. (CSSR, Ungarn, Polen) zu entlasten. Es blieb bei wenigen Hundert mit meist nur kurzen Vertragszeiten. Auch der Versuch einer Entlastung durch Arzthelfer blieb unergiebig.

 

Im Sept. 1958 entschloß sich das ZK, die Linie der Zentralisation ambulanter ärztlicher Behandlung in Polikliniken und Ambulatorien, die dem Modell der SU entsprach, preiszugeben, ähnlich der CSSR die Tätigkeit der Ä. durch die Einrichtung von Staatlichen Praxen aufzulockern und damit einem Teil der Ä. eine gewisse Selbständigkeit zu belassen. Die Ärzteflucht hielt jedoch an. Das Regime sah sich veranlaßt, die Altersversorgung der freipraktizierenden Ä. zu verbessern. Im „Perspektivplan“ Juli 1960 wurde den „Ä. in eigener Praxis“ weitere freie Berufsausübung zugesichert und im „Kommuniqué des Politbüros zur Verbesserung der Lage der Ä.“ (Dez. 1960) „langjährig erfahrenen Ä. und Zahnärzten“ die Praxisausübung in den Staatl. Einrichtungen in eigener Verantwortung („Halbstaatliche Praxis“) und selbst die neue Niederlassung in eigener Praxis (Änderung der Niederlassungsordnung von 1949 am 15. 2. 1961), ja sogar die Weiterführung der Praxis durch ihre Nachkommen zugestanden. Dazu traten Erleichterungen und Privilegien wie die Erlaubnis der Behandlung auf Kosten des Kranken (auch wenn er der Sozialversicherung angehört). Ein „Bund Deutscher Ä., Zahnärzte und Apotheker“ wurde als Berufsorganisation angekündigt, jedoch bisher nicht gebildet. Die Titel „Medizinalrat“ und „Sanitätsrat“ und neue Auszeichnungen wurden eingeführt.

 

Zu solchen Zugeständnissen besteht seit der Abschnürung gegen die BRD am 13. 8. 1961. keine Notwendigkeit mehr, wenn auch die Ä., Zahnärzte und Apotheker bisher noch manchen Vorzug genießen. Die Zahl der Ä. belief sich Anfang 1965 auf rd. 15.600 (davon waren weniger als 2.500 „in eigener Praxis“, also frei niedergelassen, tätig). Der Zugang liegt mit knapp 1800 pro Jahr nicht mehr wesentlich unter den Neuzulassungen zum Studium, der Nettozuwachs infolge der großen Zahl alter Ä. bei etwa 1.200. Die angestrebte Verdoppelung der Zahl der Ä. von 1960 bis 1970 ist daher schwerlich erreichbar, doch ist das Plansoll für 1965 mit 1 A. auf 1.000 Einw. erreicht worden (in der BRD weniger als 700 Einw.).

 

Das Ziel der Verstaatlichung aller ärztlichen Tätigkeit ist von der Krise unberührt geblieben. Ä. und Zahnärzte sollen künftig in einem System fest abgegrenzter „Versorgungsbereiche“ arbeiten (Bereichsarztsystem), unter Einbeziehung auch jener Ä., die bisher noch eine eigene Praxis führen dürfen. Alle ambulanten Behandlungen sollen in Staffelung von Staatlichen (auch „Halbstaatlichen“ wie „eigenen“) Praxen über Ambulatorien zu übergeordneten Polikliniken erfolgen, unter der zentralen Steuerung und Überwachung durch zentrale Bezirkspoliklinik und Betriebspoliklinik.

 

Die ärztliche Ausbildung hatte frühzeitig das Ziel des allseitig gebildeten A. westlicher Prägung aufgegeben und die Spezialisierung bereits mit dem Ende des Studiums beginnen lassen wollen. Für einen Praktischen Arzt ließ diese Spezialisierung keinen Raum. Nach langen parteiinternen Richtungskämpfen fiel dennoch die Entscheidung für die Beibehaltung des Praktischen A. Das Programm des Gesundheitswesens (Perspektivplan 1960) setzt für das Grundgefüge der ambulanten Behandlung. voraus, daß ein beträchtlicher Teil der Ä. als Praktischer A. tätig bleibt. Eine Studienreform befindet sich in Vorbereitung. Praktische Ausbildung soll künftig nahezu die Hälfte des medizin. Studiums ausmachen und den Wegfall des „Pflichtassistentenjahres“ ermöglichen (Gewinn eines Jahrgangs approbierter Ä.!). An die Approbation schließt sich dann aber für jeden A. eine weitere Ausbildungsstufe zum „Facharzt“ an, sei es auch zum „Facharzt Praktischer Arzt“, für den es seit 1961 ein festes „Berufsbild“ mit dreijähriger Ausbildungsdauer gibt. Facharztausbildung jeder Sparte ist nur noch auf besonderen „Ausbildungsstellen“ in eigens zugelassenen Krankenhäusern und Polikliniken zulässig; diese Stellen sind kontingentiert, so daß der Zugang zu allen Fachsparten gelenkt werden kann. 55 v. H. der neu zugehenden Ä. sollen künftig Praktischer A. werden.

 

Die Ausbildung der Fachärzte ist seit 1952 in ein festes System (nach dem Muster der SU) gebracht, die Zahl der Fachrichtungen von 12 auf 29 erhöht worden (Facharztordnung von 1956); weitere sind in Vorbereitung (Jugendarzt, Sportarzt u.a.).

 

Der Facharztausbildung werden künftig feste Ausbildungspläne zugrundeliegen. Die (seit 1952 „staatliche“) Anerkennung setzt Ablegung einer Prüfung voraus. Auch nach dieser sollen alle Ärzte einer („postgraduellen“) Weiterbildung unterliegen, die obligatorisch werden soll (Akademie für Ärztliche Fortbildung), um den Bedarf an hochspezialisierten Kräften zu decken.

 

Literaturangaben

  • Weiss, Wilhelm: Das Gesundheitswesen in der sowjetischen Besatzungszone. 3., erw., von Erwin Jahn völlig umgearb. Aufl. (BB) 1957. Teil I (Text) 98 S., Teil II (Anlagen) 189 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1966: S. 41–42


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.