
Gaststättengewerbe (1966)
Siehe auch die Jahre 1965 1969 1975 1979
Gaststätten- und Beherbungsgewerbe rechnen zum Handel und werden dort statistisch erfaßt. In der Entwicklung und der Warenzuteilung war das G. den gleichen gesetzlichen Regelungen und Sozialisierungsmaßnahmen wie der Handel unterworfen. Das G., zu dem die verschiedenen Speisegaststätten, Betriebsgaststätten, Unterhaltungsgaststätten, Cafes, Bars, Weinrestaurants, Hotels, Werkküchen, Mensen und ähnliche Einrichtungen zählen, ist Bestandteil des Versorgungssystems und hat daneben noch zur kulturpolitischen Erziehung der Bevölkerung beizutragen. Unterstellt ist es dem Ministerium für Handel und Versorgung. Die Mitropa dagegen untersteht dem Ministerium für Verkehrswesen. Ihr obliegt die gastronomische Betreuung im Reiseverkehr. Gefördert werden in den Saisonzeiten von Partei und Regime die Gaststätten für den Feriendienst des FDGB, an erster Stelle die Vertragsheime.
[S. 159]Die Gaststätten machen vielfach in Aufmachung und auch in der Reichhaltigkeit der Speisekarten einen guten Eindruck, doch steht vielfach von jedem Gericht nur eine begrenzte Anzahl zur Verfügung.
Um den Aufbau des Sozialismus voranzutreiben, wurde das Zonenregime zwangsläufig auf den Ausbau der Gaststätten und des Gaststättennetzes gestoßen. Es handelt sich nicht nur um eine Verbesserung im Angebot preiswerter Speisen, die in ihrer Vielfalt und Qualität jedoch nicht das Niveau der BRD erreichen, sondern vielmehr um eine Entlastung der Hausfrauen von wenig produktiver Hausarbeit, wie es die sowjetzonale Presse ausdrückt. Es geht dem System um einen zusätzlichen Arbeitseinsatz der Frauen, der sich bis 1970 anteilmäßig an der weiblichen Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter weiter erhöhen und rd. 70 v. H. überschreiten soll (Frauenarbeit). Deshalb propagiert man auch fertige und halbfertige Speisen zum Verkauf über die Straße. Die politische und kulturelle Aufgabe besteht zudem darin, bei ansteigender Freizeit durch Arbeitszeitverkürzung die Bevölkerung in den Gaststätten zur entsprechenden „Betreuung“ unter Kontrolle zu halten.
Es wird eine Kapazität von 65.000 Betten in den Hotels genannt, von denen allerdings ein großer Teil überaltert ist. Wegen der Lage auf dem Baumarkt und der Unterbindung der Privatinitiative konnte man jedoch den Anforderungen an Neubauten für den steigenden Touristenverkehr nicht voll gerecht werden und beschränkte sich auf Neubauten in Ostberlin, der Messestadt Leipzig und einigen anderen industriell bedeutenden Städten. Um einen stärkeren Devisenstrom in die SBZ zu lenken, bemühte man sich um Erweiterung des Hotelnetzes nach internationalem Maßstab. In Magdeburg besteht ein „Transithotel“, das Reisende aus der BRD mit Aufenthaltsgenehmigung für die Zone auf drei Tage ohne zusätzliche Genehmigung aufnehmen darf. Systembedingt genießen Gaststätten und Hotels von HO und Konsum Sonderstellung.
Private Gaststätten, die dem Regime bedeutsam erscheinen, werden mehr und mehr zum Abschluß von Kommissionsverträgen oder zur Aufnahme von Staatsbeteiligungen gedrängt. Nach sowjetzonalen Angaben entfielen Ende 1964 von insgesamt 33.155 Gaststätten und Hotels 28 v. H. auf Betriebe mit Kommissionsverträgen oder Staatsbeteiligungen und 20 v. H. auf Privatbetriebe, die gegenüber dem Vorjahr einen Rückgang von 2,6 v. H. aufweisen. Große Verschiebungen werden sich darin auch nicht mehr ergeben, da der Hauptteil der Privatbetriebe zu den Kleinbetrieben gehört, während die für das Regime wichtigen bereits sozialisiert wurden. Da so gut wie keine neuen Konzessionen erteilt werden, kommt der Zeitpunkt, an dem diese Privatbetriebe durch Überalterung der Inhaber ausscheiden. Der Anteil der Selbstbedienungsgaststätten hat sich 1964 mit 573 gegenüber 571 (1963) trotz starker Propaganda nur unwesentlich verändert. Die Konsumgenossenschaften sollen als Beitrag zum Ausgleich zwischen Stadt und Land aus den „Dorfschänken“ Kulturzentren schaffen.
Im Neuen Ökonomischen System wurde im G. eine Spitzenorganisation geschaffen, die „Vereinigung Interhotel“, der ein wissenschaftlich-ökonomischer Rat zur Durchführung der gestellten Aufgaben zur Seite steht. Zweck dieser zentralen Organisation ist, auch im G. ein leitendes Organ ähnlich den VVB zu bilden, dem zunächst zwölf Spitzenhotels mit internationalem Niveau angehören.
Die Mitropa, volkseigener Betrieb unter dem alten Namen und dem Ministerium für Verkehr unterstellt, unterhält neben dem rollenden Material nur in den größeren Städten eigene Bahnhofsgaststätten sowie einige Autobahnraststätten. Im Zuge der Perspektivplanung ist jedoch bis 1970 auch der Ausbau dieses Netzes vorgesehen, der zu Lasten der Konsumgenossenschaften gehen wird, die bis heute die kleineren Bahnhofsgaststätten bewirtschaftet haben.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1966: S. 158–159
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