DDR von A-Z, Band 1966

Gesellschaftliche Erziehung (1966)

 

 

Siehe auch die Jahre 1960 1962 1963 1965 1969 1975 1979


 

Die Beschlüsse des V. und VI. Parteitages der [S. 168]SED gipfelten darin, in der Bevölkerung die sozialistische Bewußtseinsbildung zu verstärken. Dem soll die Erziehung durch das Kollektiv dienen, und zwar in den Parteien und Massenorganisationen, im Betrieb und in der Einwohnerversammlung. Der GE. wird vor allem große Bedeutung im Kampf gegen die Kriminalität beigemessen. An den notwendigen Auseinandersetzungen mit einem straffällig gewordenen Bürger soll sich nicht nur das Gericht, sondern ein möglichst großes Kollektiv beteiligen. Dessen Einschaltung sei wegen der in der Auseinandersetzung herrschenden „Atmosphäre der Unduldsamkeit“ von größerem erzieherischem Einfluß, als wenn lediglich das Gericht in Tätigkeit trete (Streit in „Neue Justiz“ 1959, S. 37).

 

Der Rechtspflegeerlaß des Staatsrates vom 4. 4. 1963 ordnet an, daß die Gerichte in Strafverfahren Vertreter von sozialistischen Brigaden, Hausgemeinschaften oder anderen Kollektiven der Werktätigen zur Teilnahme an der Hauptverhandlung laden sollen. Der Vertreter des Kollektivs hat die Auffassung des Kollektivs zur Tat und zur Persönlichkeit des Angeklagten darzulegen. Ein solcher Vertreter kann nur von dem Kollektiv beauftragt werden, dem der Angeklagte angehört oder angehört hat. Gewerkschaftsleitungen, Genossenschaftsvorstände, ständige Kommissionen, denen der Angeklagte nicht angehört, können keinen Vertreter des Kollektivs, gegebenenfalls aber einen Gesellschaftlichen Ankläger oder Verteidiger beauftragen. Die Aussagen des Vertreters des Kollektivs sind Beweismittel im Sinne der Strafprozeßordnung. Anträge zur Schuld- und Straffrage kann der Vertreter des Kollektivs nicht stellen, aber ihm ist in der Hauptverhandlung Gelegenheit zu geben, sich zu Tatkomplexen und Zeugen- bzw. Sachverständigenaussagen zu äußern. Damit wird das Kollektiv unmittelbar in die Hauptverhandlung einbezogen. Diese Einbeziehung darf nach dem Beschluß des Präsidiums des OG vom 21. 4. 1965 („Neue Justiz“ 1965, S. 337) nur dann unterbleiben, wenn die Sicherheit des Staates oder die Geheimhaltung bestimmter Tatsachen es erfordern. Im Anschluß an ein Strafverfahren, das mit Bedingter Verurteilung, öffentlichem Tadel, Geldstrafe oder Einstellung des Verfahrens enden kann (Strafpolitik), „ist die begonnene erzieherische Einwirkung durch gesellschaftliche Kräfte fortzusetzen“ („Neue Justiz“ 1961, S. 331). Hier tritt also die außergerichtliche GE. neben die Erziehung durch das Gericht. Diese GE. soll im Betrieb, im Wohnbereich oder in der Produktionsgenossenschaft, der der Täter angehört, organisiert werden. Der Schwerpunkt soll in der Erziehungsarbeit innerhalb der sozialistischen ➝Brigaden liegen. Wenn eine Strafe ohne Freiheitsentzug verhängt wird, kann das Gericht dem Vorschlag eines sozialistischen Kollektivs entsprechen und die Übernahme einer gesellschaftlichen ➝Bürgschaft durch das Kollektiv für den Verurteilten bestätigen. Zur Erhöhung der erzieherischen Wirkung einer bedingten Verurteilung kann das Gericht den Verurteilten verpflichten, seinen bisherigen oder einen ihm zugewiesenen Arbeitsplatz nicht zu wechseln (§ 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung strafrechtlicher Bestimmungen vom 17. 4. 1963 GBl. I, S. 65). Eine eigenständige Form der GE. ist den Konfliktkommissionen und Schiedskommissionen übertragen, die damit bereits zu Gesellschaftlichen Gerichten geworden sind.


 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1966: S. 167–168


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.