Marxismus-Leninismus (1966)
Siehe auch:
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1. Theorie und Praxis, Parteimäßigkeit der Theorie
Die europäischen Philosophen suchen seit den Griechen die Wahrheit zu erkennen. Dagegen sagt Marx: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern“ (Kommun. Manifest). Marx und Engels haben ihre Analyse des Kapitalismus zugleich mit der Zielsetzung unternommen, die Aufstellung sozialer Gesetzmäßigkeiten dem revolutionären Handeln dienstbar zu machen. Dabei gehen sie davon aus, daß die ökonomischen Verhältnisse die wesentliche Triebkraft und mithin den Schlüssel für alle gesellschaftlichen Entwicklungen, spontane wie bewußt manipulierbare, darstellen: „Die Gesamtheit der Produktionsverhältnisse bildet die … reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen“ (Einl. zur „Kritik der politischen Ökonomie“). Auf dieser Linie hat sich der Marxismus zum Leninismus (und Stalinismus) weiterentwickelt. Alle theoretischen Streitigkeiten der Bolschewisten werden stets in dem Sinne entschieden, daß die Theorie mit der jeweils gebotenen revolutionären Praxis in Übereinstimmung stehen muß. Ebenso gilt aber auch das Gegenteil: Weil die Theorie revolutionär ist, kann die revolutionäre Praxis auf die Theorie begründet werden. „Ohne revolutionäre Theorie kann es keine revolutionäre Bewegung geben“ (Lenin). Marx hat dabei von Hegel die dialektische Methode der Widersprüche und des revolutionären Sprunges als des formalen Entwicklungsprinzips der Geschichte übernommen; anders als Hegel setzt er aber an die Stelle des Geistes die Materie im Sinn der Produktivkräfte als Motor bzw. Substrat der Entwicklung an. Er erklärt die Bewegung der Dinge nicht „von oben“, vom Bewußtsein, sondern „von unten“, vom „Materiellen“ her. Seine Theorie ist also zugleich dialektisch und materialistisch. Die „Erklärung von oben“, die rein geistige, an „objektiven“ Werten und Wahrheiten orientierte, auf Erkenntnis abgestellte traditionelle Philosophie und Wissenschaft wird dabei als den „parteilichen“ Standpunkt der Bourgeoisie vertretende und angeblich rechtfertigen wollende Pseudo-Wissenschaft (Objektivismus) abgelehnt. Nur die Marxisten hätten in ihrer Theorie die wahre „höchste“ Wissenschaft, zu der alle frühere Wissenschaft bestenfalls — nunmehr überholt — Vorstufe sei.
Zugrunde liegt dabei die These, daß die materialistische Lehre zugleich die den Interessen des Proletariats korrespondierende Philosophie sei, da diesem auf Grund der Gesetze der materiellen Entwicklung die Zukunft gehören müsse. So soll sich aus den Interessen des Proletariats auch zwangsläufig ergeben, daß es, um möglichst schnell und effektiv an die Macht zu kommen, ausführlich den Materialismus studieren und sich nach den von ihm gewiesenen Regeln verhalten müsse. Daß sie sich nach diesen Lehren richtet, gibt der für ihre Auslegung allein zuständigen bolschewistischen Partei ihre in Anspruch genommene rationale Würde. Sie bestimmt mittels der Theorie die Linie und damit die Richtschnur für parteiliches Verhalten, womit zugleich alle abweichenden Meinungen (Abweichungen) politisch wie wissenschaftlich gebrandmarkt sind.
2. Bourgeoisie und Proletariat. Klassenkampf
Unter dem Kapitalismus versteht Marx die auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln beruhende Wirtschaftsweise. Erst im Zeitalter der „großen Industrie“ (d.h. der Maschinenindustrie) habe der Kapitalismus seine moderne Form erreicht. Diese höchste Erscheinungsform des Kapitalismus sei zugleich seine letzte. Denn der Zustand der Gesellschaft sei unter dem Kapitalismus derartig unversöhnlich gegensätzlich (antagonistisch), daß er sich notwendig auflösen und in einen anderen Zustand übergehen müsse. Die Klasse derer, die keinen Anteil an den Produktionsmitteln besitzen und nur ihre Arbeitskraft zu Markte tragen, und die Klasse derer, die über alle Produktionsmittel einschließlich dieser Arbeitskraft verfügen, also einerseits Proletariat und andererseits Bourgeoisie, stehen sich, sagte Marx, in unversöhnlichem Kampf gegenüber. In der industriellen Gesellschaft gelange dieser Klassenkampf (Historischer Materialismus) auf seinen Höhepunkt.
An sich sei die Bourgeoisie positiv und notwendig, denn sie sei fortschrittlich (progressiv), ja revolutionär in der Geschichte der Menschheit gewesen und habe die [S. 300]Zivilisation entscheidend gefördert. Doch sei der Kapitalismus ein durchdachtes System der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Indem sich aber der Kapitalismus entwickle, bringe er nicht nur Maschinen und Waren in immer größeren Mengen hervor, sondern er erzeuge auch das Heer des Proletariats, das er um seinen Lohn betrüge, indem er ihm zugleich die letzte Reserve an Arbeitskraft auspresse. „Mit der Entwicklung der großen Industrie wird also unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst hinweggezogen, worauf sie produziert und die Produkte sich aneignet. Sie produziert vor allem ihren eigenen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich“ (Kommunistisches Manifest). Zunächst sahen Marx und Engels nur den von Krisen geschüttelten Konkurrenz-Kapitalismus des 19. Jahrhunderts vor sich und warteten von Jahr zu Jahr auf die endgültige letzte „Handelskrise“, die das Proletariat in den Besitz der Produktionsmittel bringen sollte. Aus dem Schicksal der Kommune von Paris (d.h. der Herrschaft des sozialistischen Gemeinderats in Paris von März bis Mai 1871) und deren blutigem Ende zogen sie die Lehre, daß die Bourgeoisie nur durch Gewalt und unter Zerschlagung der bürgerlichen Institutionen enteignet werden könne: „Die Arbeiterklasse kann nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und diese für ihre eigenen Zwecke in Bewegung setzen“ (Adresse des Generalrats).
3. Materialistische Geschichtsauffassung
Die auf den Begriffen Kapitalismus, Bourgeoisie, Proletariat und Klassenkampf aufgebaute Theorie wurde von Marx und Engels den vorhandenen sozialistischen Theorien als „kommunistisch“ entgegengesetzt. Sie nannte die älteren, aus einer unklaren Sehnsucht nach einer allgemeinen Umgestaltung der Gesellschaft hervorgegangenen Theorien, die nur unzulängliche ökonomische Vorschläge und moralische Forderungen brachten, utopistisch (Utopie). Die eigene Theorie dagegen, die auf eine ökonomische Analyse der kapitalistischen Gesellschaft gegründet war, nannten sie wissenschaftlich. Die Formel für ihre Zielsetzung haben Marx und Engels jedoch dem älteren Sozialismus entnommen: Jeder solle nach seinen Fähigkeiten produzieren und nach seinen Bedürfnissen genießen.
Der Wissenschaftsanspruch der marxistischen Theorie in ihrer vor allem durch Engels kodifizierten Form beruht darauf, daß sie aus einer einheitlichen „materialistischen“ Geschichtsauffassung hervorgeht, die die Auffassung vertritt, daß jedem politischen und geistigen Ereignis sein Platz in einem allumfassenden gesetzhaft notwendigen Geschehen angewiesen werden könne. Rechtsverhältnisse und Staatsformen, Wissenschaft, Philosophie und Kunst seien (Marx) nicht aus der „sogenannten allgemeinen Entwicklung des menschlichen Geistes“ zu begreifen, sondern wurzelten in den „materiellen Lebensverhältnissen“. Die Arbeit des Menschen, die tägliche Produktion und Reproduktion seines materiellen Daseins, seiner Basis, sei nicht ein nebensächliches Geschäft, sondern in der Tat die Grundlage seiner ganzen Existenz. Um diese Existenz materiell produzieren zu können, müsse sich aber der Mensch in Verhältnisse der Abhängigkeit begeben. „Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt“ (Einl. z. Kritik d. pol. Ökonomie).
Die Revolution, die zur klassenlosen Gesellschaft führen soll, könne weder durch den bloßen guten Willen der Proletarier herbeigeführt noch durch den bösen Willen der Bourgeoisie verhindert werden. In den Verhältnissen selber stecke die Dialektik, die den Untergang der alten Klasse und den Aufstieg des Proletariats herbeiführe. Nicht um die Verwirklichung von „Idealen“ oder von wirtschaftlichen „Programmen“ handele es sich, sondern um die Vollstreckung dessen, was in der antagonistischen Struktur der kapitalistischen Gesellschaft angelegt sei.
4. Staat und Revolution
1864 haben Marx und Engels in London die „Internationale Arbeiterassoziation“ gegründet, die später den Namen der I. Internationale erhielt. Die nach deren Auflösung gegründete II. Internationale suchte das revolutionäre Element aus dem Marxismus zu entfernen und aus der Lehre von Marx und Engels ein evolutionäres, [S. 301]rein „ökonomisches“ System zu machen. Ihre Politik bestand darin, die Lage der Arbeiter zu verbessern und sich für demokratische Regierungsreformen einzusetzen. Die Formel für diesen Revisionismus (Abweichungen) gab der deutsche Sozialdemokrat Eduard Bernstein mit den Worten: „Der Weg ist alles, das Ziel ist nichts.“ In die Theorie strömten idealistische, vor allem Kantische, Elemente ein. Man zog es mehr und mehr vor, nicht mehr von der materialistischen, sondern von der ökonomischen Geschichtsauffassung zu reden.
Gegen diese Bemühungen der II. Internationale kämpfte Lenin, der spätere Begründer der III. Internationale (Kommunistische Internationale = Komintern). Seine für die Entwicklung des Marxismus in Rußland entscheidende Abrechnung mit dem Revisionismus (Bolschewismus) gab Lenin vor allem in seiner Abhandlung „Staat und Revolution“, die er 1917 vor der Oktoberrevolution verfaßte. Darin wird unter einseitiger Auslegung von Marx und Engels gezeigt, daß der Prozeß, der zur klassenlosen Gesellschaft (Historischer Materialismus) führt, den revolutionären Terror als notwendiges Moment in sich einschließt. Die Lehre von der Dialektik, von dem in „Sprüngen“ sich vorwärts bewegenden geschichtlichen Prozeß, wird von Lenin wieder in den Mittelpunkt der revolutionären Theorie gerückt, naohdem sie vom Revisionismus als eine hegelianisierende Schwäche Marx' abgetan worden war. Alle kompromißhaften Auffassungen wurden von Lenin rücksichtslos als „opportunistisch“ ausgemerzt (Opportunismus).
Die marxistische Lehre vom Staat, so behauptet Lenin, sei durch den Revisionismus entstellt worden. Erst nach der sozialistischen Revolution „stirbt der Staat ab“. Der bürgerliche Staat schlafe nicht von selber ein, wie der Opportunismus der Sozialdemokraten gelehrt habe, er müsse von den Proletariern beseitigt werden. „Die Ablösung des bürgerlichen Staates durch den proletarischen ist ohne gewaltsame Revolution unmöglich“ (Lenin, Ausg. Werke, Moskau 1947, Bd. II, S. 173). Da jeder Staat eine Diktatur sei, bedeutet Diktatur des Proletariats nichts anderes als den Übergangs-Staat des Proletariats, der dazu bestimmt ist, den Staat der Bourgeoisie abzulösen.
Der entscheidende Motor der revolutionären Umgestaltung ist für Lenin die straff organisierte, aus einer aktiven Minderheit (zunächst den sog. „Berufsrevolutionären“) bestehende proletarische Partei, die als „Avantgarde der Arbeiterklasse“ in diese erst das revolutionäre Bewußtsein hineinträgt, sie organisiert und über sie hinaus (Bündnispolitik) eine Fülle weiterer Gruppen dem revolutionären Anliegen dienstbar macht. Die Diktatur des Proletariats wird von Lenin lediglich als erste Phase der kommun. Gesellschaft aufgefaßt. In dieser Phase, „die gewöhnlich Sozialismus genannt wird“, bestehe zwar schon das Gemeineigentum in bezug auf die Produktionsmittel, das bürgerliche Recht sei aber noch nicht ganz abgeschafft. Kommunismus sei das nicht. „Solange es einen Staat gibt, gibt es keine Freiheit. Wenn es Freiheit geben wird, wird es keinen Staat geben“ („Staat und Revolution“, Ausg. W. II, S. 230 u. 231). Die klassenlose Gesellschaft ist die Gesellschaft der Freiheit. Wenn die Arbeiter selber die Großproduktion organisieren, dann entsteht — mit dem Absterben jedes Vorgesetztenwesens und Beamtentums — eine neue Ordnung, eine „Ordnung ohne Gänsefüßchen“, als deren Vorbild von Lenin nach dem Vorgang eines deutschen Sozialdemokraten die Postverwaltung angeführt wird („Staat u. Revolution“, Ausg. W. II, S. 195). Die Funktionen der Aufsichts- und Rechenschaftsablegung, meint Lenin, würden mit der Zeit von selbst fortfallen. „In unserem Streben zum Sozialismus sind wir überzeugt, daß er in den Kommunismus hinüberwachsen wird, und im Zusammenhang damit jede Notwendigkeit der Gewaltanwendung gegen Menschen überhaupt … verschwinden wird, denn die Menschen werden sich gewöhnen, die elementaren Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens ohne Gewalt und ohne Unterordnung einzuhalten“ („Staat und Revolution“, Ausg. W. II, S. 220). Ist die erste Phase vorüber, dann soll die sozialistische Gesellschaft klassenlos und damit staatenlos werden. Es wird deutlich, daß die Utopie von einer staatsfreien Gesellschaft von Lenin ebenso festgehalten wird wie von Marx und Engels. Auch nach der Oktoberrevolution hat sich bei Lenin in dieser Hinsicht nichts geändert; doch sah er, daß die Klassen noch „jahrelang“ bestehenbleiben würden und demzufolge eine lange Phase der Parteidiktatur nötig sei (Ausg. W. II, S. 691).
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5. Die Umgestaltung der Theorie seit Lenins Tod
a) Die Ära Stalin
Die Probleme, denen Stalin sich 1924 bei Lenins Tod gegenübersah, ergaben sich aus der Situation: Sozialismus in einem Lande, und zwar in einem überwiegenden Agrarlande, dessen erste Anfänge einer Industrieproduktion über das Stadium des Frühkapitalismus kaum hinausgewachsen waren — ein Umstand, der Lenin bei der Durchführung der russischen Revolution deswegen wenig irritiert hatte, weil er 1917, in der Endphase des 1. Weltkrieges, fest damit gerechnet hatte, daß die Revolution von Rußland kurzfristig auf das hochindustrialisierte Mitteleuropa übergreifen würde. In der SU fehlten also die wichtigsten, von Marx und Engels geforderte Voraussetzungen für die Einführung des Sozialismus: der Hochstand der Industrialisierung und die Masse des Proletariats. Praxis und Theorie mußten daher einer neuen Lage angepaßt werden, wobei das Verhältnis zum nichtbolschewistischen oder antibolschewistischen Ausland und damit die Frage der Instrumente zur Selbstbehauptung gegenüber dieser übrigen Welt Schlüsselfunktion erhielt. Diese Umgestaltung der Theorie, die Hand in Hand mit einer gewaltsamen Umstellung der sowjet. Wirtschaft und Gesellschaft, der Beseitigung der innerpolitischen Gegner Stalins und dem Aufbau einer großen Militärmacht ging, wurde durch Stalin in zwei Schüben durchgeführt — 1934–1938 und 1947–1950, wobei, entsprechend der damaligen Lage der UdSSR, 1934 das Prinzip des proletarischen ➝Internationalismus der revolutionären Bewegung (Komintern) den nationalen und patriotischen Belangen der SU und der KPdSU nachgeordnet wurde. Nach der Errichtung der bolschewistischen Herrschaft in den osteuropäischen Volksdemokratien wurde sodann nach dem 2. Weltkrieg das parteiliche Lehrgebäude durch die Lehre Stalins von der kalten „Revolution von oben“ ergänzt. (Stalinismus, Linguistik-Briefe)
b) Umbau der Theorie nach Stalins Tod
Nach Stalins Tod, vor allem seit dem XX. Parteitag der KPdSU (Anfang 1956) und neu bekräftigt durch den XXII. Parteitag (Oktober 1961), ist nach parteioffizieller Version eine Rückkehr zur „reinen Lehre Lenins“ erfolgt. Indes sei der M.-L. „schöpferisch weiterzuentwickeln“. Doch kann von einem vollkommenen Bruch mit der Ideologie der Ära Stalin nicht die Rede sein. Die Betonung der Rolle der Staatsmacht ist für die Jahrzehnte der Vollendung des Sozialismus (in den Volksdemokratien) bzw. des „Aufbaus des Kommunismus“ (in der UdSSR) erhalten geblieben. Doch sollen daneben die Gewerkschaftsorgane als partei-kontrollierte Instrumente der „Selbsttätigkeit“ der Massen aufgewertet werden. Die bolschewistische Partei werde mit dem Beginn des „Aufbaus des Kommunismus“ zur Partei des Volkes, behält aber ihre Vormachtstellung voll bei.
Die Repressionsgewalt wurde lediglich dadurch abgeschwächt, daß — unter Verdammung der These Stalins von der fortschreitenden Verschärfung des Klassenkampfes auch innerhalb der sozialistischen Weltzone — für die bolschewistischen Länder ein Abbau des innerstaatlichen Terrors (Wiederherstellung der „demokratischen Gesetzlichkeit“) postuliert wurde. Offenbar geht die Tendenz — in Fortsetzung des im Frühjahr 1953 von Malenkow proklamierten „Neuen Kurses“ — dahin, die Volksmassen bei Aufrechterhaltung von Partei-, Staats- und Militärgewalt stärker und psychologisch einfühlsamer für das Regime zu aktivieren. Die Revision (Reformkommunismus) beruht einmal auf einer neuen Einschätzung der Weltlage — und zwar vor allem angesichts des Nukleargleichgewichts der zwei Weltmächte (Koexistenz, Nationaldemokratie, Lager) sowie auf gleichzeitig entstandenen vielfältigen technisch-ökonomischen Zwängen (Wissenschaftlich-technische Revolution). Sie greift erheblich in das Verhältnis von Herrschaft und Gesellschaft, den Stil der parteilichen Willensbildung (Kollektive Führung, Personenkult) und das Verhältnis der bolschewistischen Parteien und Staaten zueinander (Polyzentrismus, Ostblock) ein. Dabei bleibt das Prinzip des Demokratischen Zentralismus als Norm der Willensbildung ebenso erhalten wie die weltrevolutionäre Zielsetzung. Lediglich mit veränderter Einschätzung der Weltlage hat sich die Taktik gewandelt. Die Ablösung Chruschtschows im Nov. 1964 hat diesen Prozeß keineswegs gestoppt. Seine vollen theoretischen Konsequenzen zieht man einstweilen nicht.
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c) Der chinesisch-sowjetische Konflikt
Seit Mitte der 50er Jahre, insbesondere seit 1959, ist es in diesem Zusammenhang zu einer stetig verstärkten Spannung und Auseinandersetzung des von Moskau geführten Gros der kommunistischen Parteien mit der mitgliedermäßig etwa gleichstarken Minderheit von Parteien gekommen, die unter Führung von Mao Tse-tung die Politik der aktiven Koexistenz ablehnen, die Weltrevolution weiterhin durch direkte, vom Gesamt-Lager zu tragende Aktionen in den nicht-kommunistischen und insbesondere unterentwickelten Ländern forcieren wollen, der Moskauer Führung und dem Ostblock Verrat an der Revolution und ein Paktieren mit dem internationalen Klassenfeind vorwerfen, wohingegen sie selbst die reine Lehre des M.-L. bewahrten. Diese weitgehend aus dem unterschiedlichen Stand der zivilisatorischen Entwicklung sowie aus Hegemonialmotiven rührenden Gegensätze führten bereits 1960 zum Abzug der sowjetischen Entwicklungshelfer aus China, konnten auf der im Nov. 1960 folgenden Konferenz aller damaligen kommunistischen Parteien nur mühsam überbrückt werden und haben sich in der Folgezeit, auch nach der Ablösung Chruschtschows, weiter bis hin zu dem im Nov. 1965 von Peking erhobenen Vorwurf eines „antagonistischen Gegensatzes“ zwischen dem von China vertretenen M.-L. und der Parteilinie des von Moskau geführten Blocks verstärkt. Die SED-Führung steht dabei, auf Grund der machtpolitischen Lage wie der technologischen Sachzwänge, eindeutig auf der sowjetischen Seite.
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- Brzezinski, Zbigniew K.: Der Sowjetblock — Einheit und Konflikt (a. d. Amerik.). Köln 1962, Kiepenheuer und Witsch. 581 S.
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- Unrecht als System, Bd. II — Dokumente über planmäßige Rechtsverletzungen im sowjetischen Besatzungsgebiet 1952 bis 1954. (BMG) 1955. 293 S. Eine englische, eine französische und eine spanische Ausgabe bringen die in Bd. I zusammengestellten Dokumente.
- Unrecht als System, Bd. III — Dokumente über planmäßige Rechtsverletzungen im sowjetischen Besatzungsgebiet 1954 bis 1958. (BMG) 1958. 284 S.
- Unrecht als System, Bd. IV … 1958 bis 1961 (BMG) 1962. 291 S.
- Boettcher, Erik: Die sowjetische Wirtschaftspolitik am Scheidewege. Tübingen 1959, Mohr. 323 S.
- Stolz, Otto: Sozialistische Errungenschaften für den Arbeiter? 4., erw. Aufl. (BMG) 1960. 79 S.
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Fundstelle: SBZ von A bis Z. Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1966: S. 299–303