Realismus (1966)
Siehe auch:
- Realismus, sozialistischer: 1969
1. Gemäß der westlichen Tradition jene Weltanschauung und insbesondere Erkenntnislehre, die die Welt als etwas unabhängig vom menschlichen Bewußtsein Existierendes auffaßt (Gegensatz: Idealismus). Der Marxismus einschließlich seiner Weiterbildung durch Lenin (Marxismus-Leninismus) ist insofern eindeutiger R., obwohl man diesen Begriff nicht gern verwendet und statt seiner den enger gefaßten und sachlich fragwürdigen des Materialismus (Dialektischer Materialismus) gebraucht.
2. R. in der Kunst soviel wie „Wirklichkeitstreue“. Die kommun. Terminologie unterscheidet zwischen dem kritischen R., den man in den Werken bürgerlicher Künstler und Schriftsteller mit gesellschaftskritischem Inhalt (z. B. bei den Malern Menzel, Repin, den Schriftstellern Balzac, Tolstoi, Thomas Mann) zu finden glaubt, und dem sozialistischen R., der im Statut des Sowjet. Schriftstellerverbandes definiert wird als „wahrheitsgetreue, historisch-konkrete Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung“. D.h. die Künstler und Schriftsteller sollen die Wirklichkeit nicht darstellen, wie sie ist, sondern wie sie sich nach dem Wunsch der Partei entwickeln soll („Sozialistische Perspektive“).
Der sozialistische R. übernimmt mit dieser Aufgabe eine propagandistische Funktion, ist also weder gesellschaftskritisch noch, wie es seinem Namen nach anzunehmen wäre, realistisch. Er ist überhaupt keine ästhetische, sondern eine politische Kategorie und mit verschiedenen Stilen vereinbar, vorausgesetzt, daß einige Grundprinzipien eingehalten werden wie Parteilichkeit, Volkstümlichkeit, Zeitnähe, Optimismus usw. Das ZK der SED forderte am 27. 10. 1955 von den Künstlern, sie sollten „unter Führung der Partei Erzieher der Massen sein und sie durch ihre auf der Grundlage des sozialistischen Realismus geschaffenen Werke zu höheren Leistungen auf allen Gebieten des gesellschaftlichen [S. 380]Lebens begeistern“. Im Bericht des ZK an den VI. Parteitag der SED wird von den Künstlern wiederum „enge Verbindung mit dem Leben der Werktätigen und die Meisterung der Methode des sozialistischen R.“ gefordert, obwohl deren Anwendung „nicht ohne Widersprüche und theoretische Auseinandersetzungen“ vor sich gegangen sei. Als politische Kategorie erweitert oder verengt sich der Begriff des sozialistischen R. je nach dem Charakter des gerade herrschenden Kurses; der Stalinismus ließ der Kunst so gut wie keine, das Tauwetter etwas mehr Freiheit. (Bildende Kunst, Literatur, Theater)
Literaturangaben
- Balluseck, Lothar von: Kultura, Kunst und Literatur in der sowjetischen Besatzungszone (Rote Weißbücher 7). Köln 1952, Kiepenheuer und Witsch. 133 S.
- Balluseck, Lothar von: Dichter im Dienst — der sozialistische Realismus in der deutschen Literatur. 2., erw. Aufl., Wiesbaden 1963, Limes-Verlag. 288 S. m. zahlr. Abb.
- Balluseck, Lothar von: Zur Lage der bildenden Kunst in der sowjetischen Besatzungszone. 3., erw. Aufl. (BB) 1953. 130 S., 15 Abb. u. 18 Anlagen.
- Rühle, Jürgen: Das gefesselte Theater — vom Revolutionstheater zum sozialistischen Realismus. Köln 1957, Kiepenheuer und Witsch. 457 S. m. 16 Abb.
- Rühle, Jürgen: Literatur und Revolution. Die Schriftsteller und der Kommunismus. Köln 1960, Kiepenheuer und Witsch. 576 S., 72 Abb.
- Rühle, Jürgen: Die Schriftsteller und der Kommunismus in Deutschland (Auszüge aus „Literatur und Revolution“ und „Das gefesselte Theater“ nebst Beitr. von Sabine Brandt). Köln 1960, Kiepenheuer und Witsch. 272 S.
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1966: S. 379–380
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