Reformkommunismus (1966)
[S. 383]In der Sache die seit Malenkow und besonders ab 1956/62 in den industriell hochentwickelten kommun. Ländern, also im — europäischen — Sowjetblock entwickelte Herrschafts-, Sozial- und Bildungspraxis. Bedingt einmal durch das sich anbahnende Nuklear-Patt (Koexistenz), vor allem aber auch durch einen Produktionsstand, der aus verschiedenen Gründen nur noch durch Hochspezialisierung der Arbeitskraft und weitgehende Mechanisierung, Chemisierung und Automation der Produktion weiter ausbaubar ist („Zweite Revolution“ — analog zur Entwicklung im hochindustrialisierten Westen), ist eine unabsehbare Entwicklung in Gang gebracht worden, die die traditionelle volitiv-moralische Komponente revolutionärer Bewußtseinsbildung zugunsten sehr speziellen Fachwissens und damit der empirisch-rationalen Komponente in Frage stellt (Erziehungs- und Bildungswesen). Damit ist zugleich Führungsanspruch wie Leitungsstil der Partei problematisch geworden, ohne daß das die Verstärkung demokratischer Elemente zu bedeuten braucht. Aber Versachlichung, z. T. Ansätze zur Liberalisierung machen sich ebenso wie Ansätze einer Konsumentenideologie und sonstige konservierende Züge der Wohlstandsgesellschaft zwangsläufig bemerkbar bzw. deuten sich an. Auch die SED-Führung und die Führung der KPdSU nach Chruschtschow haben wesentliche Elemente dieser Entwicklung in sich aufnehmen und weiter ausbauen müssen, auch wenn man sich dagegen sperrt, das Lehrgebäude des Marxismus-Leninismus, wie sachlich nötig, von hier aus neu zu durchdenken. Die hier gründende Kritik der chinesischen Dogmatiker erscheint im wesentlichen berechtigt. (Polyzentrismus, Liberman-Diskussion, Neues ökonomisches System, Gulaschkommunismus, Revisionismus)
Fundstelle: SBZ von A bis Z. Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1966: S. 383
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