Spaltung und Wiedervereinigung Deutschlands (1966)
1. Zur Vorgeschichte der Spaltung (1941--1945)
Einige Erklärungen und Konferenzen sind wichtig zur Vorgeschichte der Sp. Deutschlands und der unrechtmäßigen Abtrennung der Gebiete jenseits der Oder und Neiße, deren fast ausschließlich deutsche Bevölkerung von den kommun. Regierungen der SU und Polens vertrieben wurde. Sie lassen erkennen, wieweit bedeutsame, für verbindlich erachtete Abmachungen nach dem April 1945 verwirklicht wurden. — Roosevelt und Churchill legten am 14. 8. 1941 ihre Kriegsziele in der Atlantik-Charta fest, der die übrigen Verbündeten, u.a. die SU, am 24. 9. 1941 beitraten. Die Staaten der Anti-Hitler-Koalition versicherten in dieser Charta: „Ihre Länder erstreben keinerlei Gebiets- oder sonstige Vergrößerung. Sie wünschen keine Gebietsveränderungen, die nicht mit den frei zum Ausdruck gebrachten Wünschen der betreffenden Völker übereinstimmen.“
Auf ihrer Konferenz in Teheran (Nov. 1943) erörterten die Regierungschefs der USA, Großbritanniens und der SU grundsätzlich die Zerstückelung Deutschlands in 4 bis 5 Staaten, ohne Rücksicht auf den Willen des deutschen Volkes. Stalin forderte, ohne damals Widerspruch zu finden, Polen solle bis zur Oder reichen. Doch billigte er im einzelnen nicht die Grenzen der Staaten, in die die Westmächte das befreite Deutschland aufspalten wollten.
Auf ihrem Treffen in Jalta (Febr. 1945), das auch als Krimkonferenz bezeichnet wird, bestätigten die Regierungschefs ihren Plan zur Sp. Deutschlands, ohne Einzelheiten zu vereinbaren. Auch Roosevelt und Churchill äußerten die Absicht, auf dem Friedenskongreß Polen ― für die Abtretung des poln. Staatsgebietes östl. der Curzon-Linie — durch deutsches Gebiet zu entschädigen. Beide setzten dabei voraus, daß Polen und die übrigen Länder Mittel- und Osteuropas auch innenpolitisch ihre Freiheit und eine parlamentarisch-demokratische Regierungsform wiedererhielten. (Beide setzten sich darüber hinweg, daß Polen östl. der Curzon-Linie 1939 zwar rd. 11,5 Mill. Einwohner hatte, von denen aber nur 2,5 Mill. poln. Volkszugehörigkeit waren.)
Im März 1945 verzichtete Stalin gleich Churchill darauf, die Zerstückelung Deutschlands zu verlangen. Auch Stalin ließ diesen Gedanken fallen, denn er befürchtete, seinen Anspruch auf Reparationen und Mitregierung des Ruhrgebietes, aber auch die langfristig geplante Bolschewisierung ganz Deutschlands zu gefährden.
2. Getarnte Spaltung durch SU und SED (1945--1949)
Das Potsdamer Abkommen (Besatzungspolitik) forderte nur „Dezentralisation“, behandelte Deutschland jedoch als staatliche Einheit. Immer wieder behauptet das Regime der SBZ, Deutschland sei nach 1945 von den Westmächten und politischen Kreisen Westdeutschlands gespalten worden. Bei seiner Wahl zum Präsidenten der Republik betonte Wilhelm ➝Pieck am 11. 10. 1949 vor der Volkskammer: „Von den westlichen Besatzungsmächten … wurde Deutschland gespalten“, doch „niemals wird die Spaltung Deutschlands … von der DDR anerkannt werden“. (Dok. z. Außenpol. d. DDR, Bd. I, [Ost-]Berlin 1955, S. 15 f.). Das — ZK der SED behauptete zum „10. Jahrestag der Gründung der DDR“ (7. 10. 1959), es hätten „die mit dem ausländischen Imperialismus verbündeten reaktionären imperialistischen Kreise in Westdeutschland die Spaltung Deutschlands“ bewerkstelligt.
Die tatsächliche Entwicklung widerlegt diese Behauptungen: Bereits am 25. 7. 1945 schuf die SMAD in ihrer Zone elf deutsche Zentralverwaltungen, die von Anfang an gewisse Weisungsrechte gegenüber den 5 Landesverwaltungen hatten und sich bald — als Werkzeuge der SMAD — zu zentralen Regierungsstellen über die ganze SBZ erhoben. Der im Aug. 1946 eingesetzten „Deutschen Verwaltung des Innern“ wurden die Polizeien der 5 Länder untergeordnet. So leitete die SMAD die verwaltungsmäßige Sp. Deutschlands schon vor dem Herbst 1946 ein. In den westlichen Besatzungszonen dagegen wurden bis zu dieser Zeit oberhalb der Länder keine starken zentralen deutschen Verwaltungen geschaffen, vor allem wurde die Polizei (außer in Frankreichs Zone) nicht einmal landesweise zentralisiert. Der „Länderrat“ der amerikanischen Zone wie auch der „Zonenbeirat“ und der „Wirtschaftsbeirat“ der amerikanischen Zone wie auch der „Zonenbeirat“ und der „Wirtschaftsbeirat“ der brit. Zone erhielten nicht die politischen Rechte einer deutschen zentralen Verwaltung. (Einzelne techn. [S. 437]deutsche Verwaltungen auf Zonenebene, die es seit Dez. 1945 in der brit. und seit Jan. 1946 in der amerikan. Zone gab, wurden — anders als in der SBZ — nicht durch zentrale Polizei-Verwaltungen ergänzt.)
Einschneidender noch war die wirtschaftliche, soziale und allgemein politische Sp., die die Sowjets schon früh vollzogen: Sie zwangen der SBZ schon 1945/46 kommunistische Veränderungen auf, die denen der Westzonen entgegengesetzt waren (Bodenreform, Enteignung). Auch als die USA und England gegen den Willen Frankreichs am 1. 1. 1947 ihre Zonen nach langem Zögern vereinigten, geschah dies nur in wirtschaftlicher Hinsicht. Von einer politischen Zentralverwaltung war keine Rede. Die SMAD jedoch gab am 14. 6. 1947 der Zentralverwaltung der SBZ die Bezeichnung DWK und ansatzweise gewisse Vollmachten einer wirklichen Zentralregierung.
Dieser „DWK“ gehörten auch die zentralen Deutschen Verwaltungen für Inneres (Polizei), Justiz, Volksbildung und Gesundheitswesen an, obwohl sie dem Namen nach selbständig waren. — Im April 1947 scheiterte die Moskauer Viererkonferenz, weil die Westmächte der SU weder die „demokratisch-antifaschistische“ (d.h. in Wirklichkeit kommun.) Ordnung für Westdeutschland, Reparationen aus laufender Produktion noch Vier-Mächte-Kontrolle der Ruhr zubilligen konnten. USA und England schufen deshalb (wieder ohne Frankreich) am 25. 6. 1947 einen „Exekutivrat“, d.h. eine Wirtschaftsverwaltung, für die Zweierzone. Im Gegensatz zur DWK hatte er nur wirtschaftliche Vollmachten. Daran änderte seine Umbenennung in „Verwaltungsrat“ (9. 2. 1948) nichts.
3. Offene Spaltung durch SU und SED
Der nächste Schritt der SU zur Sp. war der Ausbau der DWK am 9. 3. 1948. Die Westmächte antworteten mit Besprechungen über die Vorbereitungen eines Dreizonen-Notstaates (23. 2. bis 3. 6. 1948). Diese Abwehrhandlung nahm die SU als Vorwand, um den Kontrollrat zu verlassen (20. 3. 1948). Sie schloß sich von der schon allzu lange verzögerten Währungsreform aus (24. 7.) und errichtete die Blockade gegen Berlin (West), wo die Währungsreform durchgeführt worden war. So begann die SU die Sp. Berlins, die von der SED am 30. 11. 1948 fortgeführt wurde.
Angesichts der planmäßigen Spaltung, die SU und SED seit 1945 betrieben, wurde die Bundesrepublik Deutschland (BRD) in Notwehr gegründet (8. 5. 1949). Dies wurde in echten geheimen Mehrlistenwahlen am 14. 8. 1949 von 48 Mill. (d.h. von fast ¾ des deutschen Volkes) gebilligt. Doch nur aus allgemeinen manipulierten Scheinwahlen ging in der SBZ am 15. und 16. 5. der 3. Deutsche Volkskongreß hervor. Der von ihm „gewählte“ 2. Deutsche Volksrat rief am 7. 10. die „DDR“ aus, ohne eine demokratisch-parlamentarische Legitimation zu haben. Dieser Schritt bestätigte nur formell die im Juli 1945 begonnene Erzwingung eines separaten mitteldeutschen Staates. Er geschah allein aus taktischen und propagandistischen Gründen erst nach Errichtung der BRD, obwohl SU und SED wider die geschichtlichen Tatsachen behaupten, die „DDR“ sei die Antwort auf den 8. 5. 1949.
4. Scheinbare Wiedervereinigungsangebote der SU und SED (1950--1954)
Seit dem 7. 10. 1949 ist der Komplex der W. der Hauptgegenstand der innerdeutschen Auseinandersetzung. Als einzige aus freien Wahlen hervorgegangene und rechtsstaatlich handelnde Regierung Deutschlands beansprucht die Bundesregierung, für ganz Deutschland zu sprechen. Sie sieht freie gesamtdeutsche Wahlen als unabdingbare Voraussetzung der W. an. Sie kann jedoch die SU und die Westmächte von der Verpflichtung für die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands nicht entlasten. Der Bundestag ermächtigte sie am 14. 9. 1950, Schritte zur Durchführung freier, allgemeiner, gleicher, geheimer und direkter Wahlen zu einem gesamtdeutschen Parlament bei den Besatzungsmächten zu tun.
Die SBZ-„Regierung“ dagegen wollte bereits in ihrer programmatischen Äußerung zur W. vom 25. 10. 1950 an den Anfang aller Schritte zur W. ein paritätisches Gremium, einen „Gesamtdeutschen Konstituierenden Rat“, setzen, obwohl die Bevölkerung der SBZ nur ¼ des ganzen deutschen Volkes beträgt. Sie übernahm außerdem von der SU den Begriff des „einheitlichen, friedliebenden, demokratischen Staates“, [S. 438]der in den weiteren Erörterungen nicht etwa nur als Propaganda-Losung auftrat, sondern mit von Jahr zu Jahr zunehmender Deutlichkeit das politische Leitbild eines Gesamtdeutschlands im kommun. Sinn der Arbeiter-und-Bauern-Macht bezeichnete.
Mag das paritätische Gremium nun „Gesamtdeutscher Konstituierender Rat“ heißen oder in späteren Vorschlägen „Gesamtdeutscher Rat“, „Gesamtdeutsche Beratungen“, „Gesamtdeutsche souveräne demokratische und friedliebende Regierung“: stets soll es dem Regime der SBZ die Anerkennung als gleichberechtigter Staat und als „Demokratie“ einbringen. — Käme es zu gesamtdeutschen Wahlen, sollte ein solches Gremium die „Bedingungen vorbereiten“ (Brief Grotewohls vom 30. 11. 1950). Als solche Bedingungen wurden u.a. der Abzug aller Besatzungstruppen, die Beteiligung der Massenorganisationen an den Wahlen, die Ausschaltung des Einflusses der „Monopole“ genannt; gelegentlich wurde das Verfahren der sowjetzonalen Wahlen als vorbildlich bezeichnet. Wann immer in der Folgezeit die SU oder die SED-Regierung freie Wahlen als Schritt zur W. anzunehmen scheinen (z. B. Note der SU vom 23. 7. 1952, Genfer Direktiven vom 23. 7. 1955), müssen diese „Bedingungen“ in Betracht gezogen werden. — Jeden Beitrag der BRD zur Zusammenarbeit mit den freien Staaten und zur Abwehrrüstung der NATO verdächtigten die SU und die SBZ als „Verrat“ an der W., obschon z. B. der „Generalvertrag“ vom 23. 10. 1954 (in § 10) die Möglichkeit offenließ, im Fall der W. das Verhältnis Gesamtdeutschlands zur NATO neu zu regeln.
5. Fehlschlag der Genfer Gipfelkonferenz 1955
Auf der Konferenz der Ministerpräsidenten der Vier Mächte im Juli 1955 in Genf täuschte die SU zunächst Entgegenkommen vor. Bulganin unterzeichnete am 23. 7. namens der SU die Richtlinien der Regierungschefs an die Außenminister, in denen es heißt: „Die Regierungschefs sind in Erkenntnis ihrer gemeinsamen Verantwortung für die Regelung des deutschen Problems und der Wiedervereinigung Deutschlands mittels freier Wahlen übereingekommen, daß die Lösung der deutschen Frage und die Wiedervereinigung Deutschlands im Einklang mit den nationalen Interessen des deutschen Volkes und den Interessen der europäischen Sicherheit herbeigeführt werden soll.“
Von dieser Verpflichtung sagte sich die SU am 4. 8. 1955 los. Sie erklärte es für entscheidend, 1. daß „auf dem Gebiet Deutschlands zwei selbständige Staaten entstanden“ seien — die „DDR“ und die „Deutsche Bundesrepublik“; 2. daß „sich in diesen beiden Staaten ihrem Wesen nach verschiedene gesellschaftliche und wirtschaftliche Systeme herausgebildet haben“. Man dürfe deshalb Deutschland „nicht durch eine mechanische Verbindung seiner beiden Teile vereinigen“, d.h. durch freie geheime Wahlen eine Nationalversammlung bilden. Die W. sei nur möglich „auf dem Wege der Zusammenarbeit der DDR und der Deutschen Bundesrepublik“. Die SU betonte, die W. sei erst nach Schaffung eines „wirksamen Systems der kollektiven Sicherheit in Europa“ zulässig. Die Folgen der Sp. wurden von der SU nun als innerdeutsche Angelegenheit bezeichnet, die die „beiden deutschen Staaten“ unter sich zu regeln hätten. Damit ermöglichten es KPdSU und Sowjetregierung dem Regime der SBZ, freie geheime Wahlen mit der Scheinbegründung abzulehnen (so am 1. 11. 1955), „daß die antidemokratischen und militaristischen Kreise in Deutschland oftmals ihre Pläne mit Hilfe von Wahlen verwirklichten … Derartige Wahlen brauchen die Monopolisten und Junker heute, um die Herrschaft der Militaristen in einem einheitlichen Deutschland wiederherzustellen“. Die „Regierung “der SBZ erklärte gleichzeitig, „daß keine Wiedervereinigung Deutschlands möglich ist, die auf Kosten der sozialen, politischen und kulturellen Errungenschaften der werktätigen Menschen der DDR gehen würde. Ebenso klar ist, daß es bei der Unterschiedlichkeit der Entwicklung im Westen und Osten Deutschlands keinen mechanischen Zusammenschluß der gegenwärtig bestehenden beiden deutschen Staaten geben kann.“
Die SU und das Regime der SBZ sträubten sich 1955 und seither dagegen, die W. durch geheime Wahlen einzuleiten. Sie wußten und wissen, daß die Bevölkerung Mitteldeutschlands den scheindemokratischen Staatskapitalismus in geheimen Wahlen ablehnen würde. Die seitherige Haltung der SU und der SBZ zur Deutschlandfrage zeigt, daß sie sich nicht mehr um Wiedervereinigung im allgemeinen Sinne be[S. 439]mühen, sondern eine weitgespannte, machtstrategische Deutschlandpolitik treiben. Dem Regime der SED geht es dabei wesentlich um die Bolschewisierung auch des westlichen Teils von Deutschland, der Bundesrepublik (BRD).
6. Der Vorschlag für eine „Konföderation“ (1956--1958)
Das SED-Regime erklärte in einer „Regierungserklärung“ am 29. 8. 1956, die „DDR“ repräsentiere „die Kräfte des Friedens und des Fortschritts in Deutschland“. Dieser Anspruch wiegt schwerer als die einleitende Behauptung, daß „auf deutschem Territorium zwei deutsche Staaten bestehen“.
In Verfolg des sowjetzonalen Totalitätsanspruches schlug Ulbricht am 30. 1. 1957 (auf der 30. Tagung des ZK der SED) einen deutschen Staatenbund vor: Wenn, so sagte er, in Westdeutschland durch eine Niederlage der Regierungspartei und „Stärkung des Aktionswillens der Arbeiterklasse eine neue Lage geschaffen wird dann ist es möglich, zu einer Vereinbarung beider deutscher Regierungen zu kommen … einen Gesamtdeutschen Rat, der sich paritätisch aus Vertretern beider deutscher Staaten zusammensetzt, zu bilden. Die Mitglieder des Rates sollten in beiden Teilen Deutschlands auf Grund der geltenden Wahlgesetze gewählt werden … Der Gesamtdeutsche Rat würde die Funktionen einer Regierung der deutschen Konföderation ausüben und Maßnahmen vorbereiten, wie die Herstellung einer einheitlichen Verwaltung“. (Das heißt, die SBZ, die mit dem Sowjetsektor Berlins nur etwa 17 Mill. Einwohner hat, sollte in der Konföderation ebenso stark vertreten sein wie die BRD, die mit West-Berlin schon 1957 rund 52 Mill. zählte.)
Im Zusammenhang mit Rapackis Plan für eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa schlug die „Regierung“ der SBZ am 26. 7. 1957 der Bundesregierung vor, eine „Konföderation“ beider Staaten zu bilden, bei der das bisherige Verfahren zur Bildung der Parlamente und der Regierungen nicht geändert werden sollte. (Die „DDR“ würde danach also eine Volksdemokratie unter SED-Herrschaft bleiben, die mit den erprobten Methoden des Sowjetkommunismus zunächst die Volksdemokratisierung, später Bolschewisierung der vom freien Westen getrennten und daher wehrlosen BRD betreiben könnte.) Erläuternd behauptete das SED-Regime gleichzeitig: „Auf dem Territorium Deutschlands bestehen … zwei Staaten, von denen der eine ein hochkapitalistisches, imperialistisches und militaristisches Gepräge trägt, während der andere Staat in seinem Gesellschafts- und Wirtschaftsleben die Grundlagen des Sozialismus entwickelt hat und weiterhin zum Sozialismus strebt. Unter solchen Umständen können diese beiden Staaten nicht mechanisch von außen durch gesamtdeutsche Wahlen in einen Staat zusammengefügt werden.“
Maßgeblich für die Deutschlandpolitik der nächsten Jahre war der Beschluß des V. Parteitages der SED vom 16. 7. 1958. Dort heißt es (in § I, 5) über die Stellung der SBZ zur BRD: „Die DDR und ihre sozialistischen Errungenschaften werden niemals ein Objekt des Schachers sein. Fest verbunden mit der SU und dem ganzen sozialistischen Lager sind die Arbeiter-und-Bauern-Macht des deutschen Volkes und ihre sozialistischen Errungenschaften für immer unantastbar.“ Die SED forderte fast völlige Entwaffnung beider Teile Deutschlands, um — gestützt auf die übermächtigen, in nächster Nähe bereitstehenden Kräfte des Sowjetblocks — die BRD in die Hand zu bekommen. Daran schloß sie (in § III, 2) die Behauptung: „Die DDR ist der rechtmäßige souveräne deutsche Staat. In ihm wurden im Sinne der Potsdamer Beschlüsse der drei Großmächte die Lehren des zweiten Weltkrieges gezogen, die Wurzeln des Faschismus beseitigt und die Grundlagen für eine friedliche Entwicklung geschaffen.“
Unter Milderung der taktischen Formeln, unter Verzicht auf eine offen „sozialistische“ (d.h. staatskapitalistische) Zielsetzung bezeichnete die SED (in § VI, 4) eine „Volksaktion“ aller werktätigen Kräfte in der BRD als notwendig. Sie gab vor, „unter den Verhältnissen in Westdeutschland die Schaffung einer bürgerlich-demokratischen Ordnung, die auf imperialistische Bestrebungen und Forderungen verzichtet, als den realen Weg zur Sicherung des Friedens und zur Wiedervereinigung zu betrachten“, und gab ein Hauptstichwort für ihre Vorstellungen von der W., indem sie erklärte: „Die größte und stärkste Kraft in Deutschland ist die deutsche Arbeiterklasse. Sie trägt eine große nationale Verantwortung. Wenn sie sich einigt, ist sie in der Lage, [S. 440]alle anderen friedliebenden Kräfte um sich zu sammeln und die brennenden Probleme der Nation zu lösen.“ — In dieser Form drückte sich die „weiche“ Taktik aus, die in dieser Zeit von der SU angewandt wurde.
Vorschläge dieser Art wiederholen sich seit 1958 in allen Äußerungen der SED und des SBZ-Regimes zur Frage der W. Sie sind oft verbunden mit der Forderung nach Souveränität der SBZ, nach Abrüstung, nach Austritt der BRD aus der NATO und nach einem Friedensvertrag sowjetischer Planung.
7. Koexistenz-Vorschläge --- Sperrmauer in Berlin (1959--1961)
Für die Art, in der die SBZ ihre Deutschlandpolitik während und nach der mißglückten Genfer Außenministertagung von 1959 betrieb, war die Regierungserklärung vom 9. 8. 1959 bezeichnend. Es werde, so hieß es, „in Zukunft keine Gespräche über deutsche Probleme ohne die direkte Mitwirkung der DDR geben. Die Teilnahme der DDR an der Genfer Sechsmächtekonferenz bedeutet ihre De-facto-Anerkennung durch die Westmächte.“
Der amtlichen Propagierung dieser These wie auch der heimlichen Infiltration dieser Gedanken diente eine wichtige Richtlinie: Das ZK der SED veröffentlichte am 17. 4. 1960 den „Deutschlandplan des Volkes — Offener Brief an die Arbeiterschaft Westdeutschlands“, der in riesiger Auflage verbreitet wurde. — Die SED verzichtete darin scheinbar auf revolutionäre Lösungen. Sie täuschte vor, sie wolle nur ehrliche Bündnispolitik treiben, um den Frieden zu sichern und eine „demokratische“ Entwicklung in Westdeutschland wiederherzustellen. Derart sprach die SED (mit ihr auch FDGB, FDJ und Nationale Front) nicht nur „sozialdemokratische, christliche und parteilose Arbeiter“ an, sondern auch den Mittelstand: „ehrliche Patrioten“ in Stadt und Land, ja sogar „fortschrittliche Unternehmer“. Die SED betonte, vor allem müsse „der westdeutsche Militarismus ausgeschaltet“ werden. Dann würde ein nationaler Kompromiß zwischen den Deutschen hüben und drüben und zwischen „beiden deutschen Staaten“ zustande kommen. Hier legte die SED wieder den Köder einer „Konföderation, eines deutschen Staatenbundes“, um die BRD aus der NATO herauszulösen. — Die SED behauptete unter Verfälschung der Wahrheit, die BRD werde diktatorisch regiert, während die „DDR“ eine wirkliche Demokratie sei. Die Partei Ulbrichts wolle den „unterdrückten“ Westdeutschen dazu verhelfen, „daß in Westdeutschland … wenigstens eine bürgerlich-demokratische Ordnung geschaffen würde, die den Krieg ablehnt und in der die Spielregeln der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie geachtet werden“.
Am 4. 10. 1960 führte Ulbricht in einer regierungsamtlichen Erklärung, die er als „Vorsitzender des Staatsrates“ abgab, diese taktische Linie im wesentlichen fort. Doch schob er die „Rettung des Friedens“ in den Vordergrund, da sich die Aussichten auf raschen, auch atomaren Ausbau der in vieler Beziehung zu schwachen Verteidigungsmacht der NATO mehrten. Man dürfe, so meinte er (in Teil I), „nur einen solchen deutschen Staat als rechtmäßig anerkennen, der den Friedenswillen des deutschen Volkes vertritt, in dem der Friede eine feste Heimstatt hat, in dem die Interessen der deutschen Nation oberstes Gesetz sind: Der rechtmäßige deutsche Staat ist die DDR. Es wird die Zeit kommen, daß auch in Westdeutschland die Friedenskräfte bestimmen und Westdeutschland als friedlicher Staat bezeichnet werden kann. Dann wird die Wiedervereinigung Deutschlands bald möglich sein“.
Am 6. 7. 1961 beschloß die „Volkskammer“ einen „Deutschen Friedensplan“. Im Sinne des sowjetischen Friedensvertrags-Entwurfs vom 10. 1. 1959 forderte dieser Plan 1. die Anerkennung der Souveränität der „DDR“ und der Oder-Neiße-Linie; 2. sah er die Wehrlosmachung der BRD und deren kalte „Demokratisierung“ (d.h. Sowjetisierung) auf dem Wege einer Konföderation vor. Die „DDR“ wolle so „im Bewußtsein ihrer nationalen Verantwortung“ alles tun, um Deutschlands „beiden Staaten“ die „Wiedervereinigung in einem friedliebenden, demokratischen und neutralen Staat“ zu erleichtern. — In Wirklichkeit aber errichtete das SED-Regime kurz darauf, auf Anweisung der SU, die Mauer in Berlin und schnürte Mitteldeutschland völlig von der BRD ab.
Die Vortäuschung, die Deutschlandpolitik der SED sei nur auf Frieden und gewaltloses Nebeneinander (Koexistenz) angelegt, erfüllte auch die Rede, die Ulbricht am 28. 11. 1961 vor dem ZK der SED hielt. Dort rief er den westdeutschen Arbeitern zu: [S. 441]„Es gibt nur einen Weg: Die Aktionsgemeinschaft der Arbeitsgemeinschaft, der Zusammenschluß aller friedliebenden Kräfte und die Herstellung normaler Beziehungen zur DDR, der Bastion des Friedens in Deutschland. Die friedliche Lösung der nationalen Frage des deutschen Volkes setzt die friedliche Koexistenz zwischen den beiden deutschen Staaten voraus.“
8. Nationales Dokument — Bürgerkriegs-Strategie für Westdeutschland (1962)
Breit ausgeführt wurde — als die SU ihre Methode wieder verschärft hatte — die Deutschlandpolitik des SED-Regimes am 23. 3. 1962 in dem „Nationalen Dokument“. Seine Überschrift lautet: „Die geschichtliche Aufgabe der Deutschen Demokratischen Republik und die Zukunft Deutschlands“. Diese 48seitige Broschüre wurde auf der 15. Tagung des ZK der SED beschlossen, danach am 25. 3. vom „Nationalrat der Nationalen Front“ bestätigt und veröffentlicht. Nur formelle Bedeutung hatte es, daß diese nationalgeschichtlich frisierte, im Kern kommunistisch-klassenkämpferische Propagandaschrift am 17. 6. vom „Nationalkongreß der Nationalen Front“ verabschiedet wurde. — Wichtig aber ist, daß das ZK dieses „Dokument“ schon am 30. 3. 1962 für die gesamte Parteiarbeit der in der BRD verbotenen KPD als verbindlich erklärte (s. „Neues Deutschland“ vom 31. 3. 1962, S. 2); und daß 2. der Minister für Volksbildung, Alfred ➝Lemmnitz, am 2. 4. die Anweisung gab, „den Lehrern sofort und umfassende Anleitung und Hilfe für die Behandlung des Nationalen Dokuments im Unterricht zu geben“ (s. „Deutsche Lehrerzeitung“ vom 6. 4. 1962).
Weit schärfer als der „Deutschlandplan“ (April 1960) wendet sich das Dokument (in Teil II) gegen „die in Westdeutschland herrschenden Kräfte“ (d.h. die Parteien des Bundestages). Ihre NATO-Politik beweise, so behauptet die SED, „daß sie auf eine nationalstaatliche souveräne und friedliche Existenz des deutschen Volkes überhaupt verzichten“. In der „DDR“, so heißt es (in Teil I), „regiert das Volk — Kommunisten und Nichtkommunisten, Christen und Atheisten — vereint in der Nationalen Front des demokratischen Deutschland und im Block der demokratischen Parteien“. Die Zukunft des deutschen Volkes, so wird (in Teil III) breit dargelegt, liege bei der SED, bei „der vereinigten Arbeiterklasse — unterstützt von allen antifaschistischen und demokratischen Kräften“. Mit der Behauptung, die BRD sei von „imperialistischen und militaristischen Kräften … beherrscht“, sucht die SED (in Teil I) die BRD zu verleumden. Von der SBZ aber wird (in Teil II) gesagt, daß sie als „der sozialistische deutsche Staat die Zukunft der ganzen Nation verkörpert“. Für die Übergangszeit wird (in Teil VI) gefordert: Friedensvertrag (im Sinne des Sowjetentwurfs von 1959), „Konföderation der beiden deutschen Staaten“ und „Koexistenz“. — Der sozialistische, bald auch kommunistische Aufbau in der SBZ soll (nach Teil IV) in naher Zukunft auch in Westdeutschland eintreten: Er setzt „das große Beispiel, das es auch den westdeutschen Werktätigen erleichtern wird, den richtigen Weg zu gehen, sich der Herrschaft der Militaristen und Großkapitalisten zu entledigen, sich eine wahre demokratische Ordnung zu erkämpfen und aus eigener Erkenntnis den Weg zum Sozialismus zu beschreiten“. Damit gibt das Dokument im Sinne der weitgeplanten, doppelbödigen Deutschland-Politik der SED und der SBZ — die Losung der Einmischung und des Bürgerkrieges aus.
9. Parteiprogramm der SED bekräftigt Deutschlandpolitik (1963--1964)
Diese Taktik wird auch in dem Parteiprogramm vertreten, das sich die SED im Jan. 1963 gab. Die Politik der 3 großen Parteien Westdeutschlands, so wird in Teil 1, I und vor allem 1, III behauptet, habe dazu geführt, daß „der westdeutsche Staat … ein zutiefst antinationaler Staat ist, der von den machtpolitischen Zielsetzungen des westdeutschen Imperialismus und der mit ihm verflochtenen internationalen besonders amerikanischen Finanzgruppen geprägt ist“. Die SED fordert, es müsse „zur Überwindung von Imperialismus und Militarismus in Westdeutschland … die Einheitsfront der sozialdemokratischen, kommunistischen, christlichen und parteilosen Arbeiter verwirklicht“ werden. Als „konsequenteste antiimperialistische und nationale Kraft in Westdeutschland“ wird die KPD bezeichnet. Dieser Hinweis wird durch den eindeutigen Satz ergänzt: „Voraussetzung eines friedlichen demo[S. 442]kratischen Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus ist auch in Westdeutschland die Schaffung demokratischer Verhältnisse.“
In Teil 1, IV des Programms heißt es zu der Forderung einer Konföderation zwischen der Bundesrepublik, der „Freien Stadt West-Berlin“ und der SBZ: „Die SED hält unverrückbar an ihrem Ziel der Wiederherstellung der nationalen Einheit Deutschlands, an der Überwindung der von den imperialistischen Westmächten im Komplott mit dem westdeutschen Monopolkapital vollzogenen Spaltung, fest.“ Ergänzend verlangt in Teil 2, V, 2 die SED „die sozialistische Nationalkultur als die Erfüllung der humanistischen Kultur des deutschen Volkes“. Wieder werden der BRD Vorschläge für Koexistenz, friedlichen Wettbewerb und Demokratisierung gemacht. Aber der Kern und die Endabsicht dieser friedlich klingenden Vorschläge werden in Teil 3, Abs. 15 sichtbar: „Die Werktätigen der DDR geben mit der umfassenden Verwirklichung des Sozialismus ein Beispiel für die Werktätigen Westdeutschlands. Sie sind Pioniere einer glücklichen Zukunft der ganzen deutschen Nation.“
Auf dem Boden dieser Ziele des Parteiprogramms der SED stand Ulbricht, als er als Vorsitzender des Staatsrates am 31. 7. 1963 eine Erklärung vor der Volkskammer abgab. — Diese (in Teil I) für das Ringen um die W. wichtige Erklärung enthält eine scharfe Absage gegen demokratische Selbstbestimmung und geheime Wahlen — vor allem in dem Satz: „Die deutsche Wiedervereinigung kann nur in der Vereinigung der beiden deutschen Staaten durch ihre Verständigung bestehen.“ Wichtig ist der anschließende Versuch, das Problem der Flucht aus der SBZ zu verharmlosen und die Flüchtlinge für die Politik der SBZ einzuspannen. Dazu heißt es: „In Westdeutschland leben gegenwärtig viele Bürger der DDR… Sie sind … — überwiegend waren es Gründe persönlicher oder familiärer Natur — nach Westdeutschland gegangen … Sie alle sind auch heute noch Bürger der DDR… abgesehen von jenen, die auf ihren Antrag hin von der Regierung der DDR aus der Staatsbürgerschaft entlassen worden sind. Sie haben also eine Treuepflicht gegenüber der DDR.“
Diese Deutschlandpolitik führte die SED und damit das Regime der SBZ auch 1964 fort. Ulbricht richtete am 26. 5. 1964 einen Brief an den Bundeskanzler, in dem er forderte: „Verzicht der westdeutschen Bundesrepublik auf Revanchepolitik, auf atomare Rüstung einschließlich der Beteiligung an einer multilateralen Atomrüstung der NATO, die Abrüstung und die Verständigung über einen Friedensvertrag … freie Verhandlungen der Regierungen der deutschen Staaten …“ Dahinter steht der Plan, Westdeutschland wehrlos zu machen und es auf dem Wege der Koexistenz zu überwältigen.
Vor diesem Hintergrund muß das Kapitel „Der Weg zur deutschen W.“ gelesen werden, das sich in dem Ende 1964 veröffentlichten amtl. Handbuch „DDR — 300 Fragen — 300 Antworten“ (6. Aufl.) findet. Im Lichte der Bürgerkriegs-Strategie der SED/KPD muß z. B. folgender Satz (S. 98) gewertet werden: Es „kann der Weg zur Überwindung der Spaltung Deutschlands nur über gleichberechtigte und von ausländischer Bevormundung freie Verhandlungen zwischen den Vertretern beider deutscher Staaten … und über die Bildung einer deutschen Konföderation führen“.
10. Ulbricht: „Wir sind ... für die Wiedervereinigung“ (1965)
Im Jahre 1965 brachten SED und Regime ihre Auffassung von der W. verstärkt zum Ausdruck. Die 8. Vollsitzung des ZK der SED betonte am 12. Februar, ein wiedervereinigtes Deutschland dürfe „nur ein sozialistisches Deutschland“ sein. Seinen Anspruch, für das gesamte deutsche Volk — einschließlich seines bundesrepublikanischen Teiles — zu sprechen, äußerte das Regime besonders heftig zum 8. 5., zum 20. „Tag der Befreiung“. Das Politbüro der SED verfaßte ein „Manifest an das deutsche Volk und an die Völker und Regierungen der Welt“, das aus propagandistischen Gründen am 5. 5. von Volkskammer, Staatsrat, Ministerrat und Nationaler Front „beschlossen“ wurde.
Das Manifest vom 5. 5. 1965 entfaltet die Geschichtsfälschungen des auf lange Sicht revolutionär gemeinten „Nationalen Dokumentes“ von 1962. Das Manifest sucht wieder einmal die Schuld an der Sp. Deutschlands den Westmächten und den [S. 443]Politikern Westdeutschlands zuzuschieben. Deshalb behauptet es, wie zum Hohn auf die wirkliche Lage: „Wir haben in der DDR, also dort, wo die Werktätigen das Heft in der Hand haben, die Grundsätze der Anti-Hitler-Koalition für die Gestaltung der deutschen Nachkriegsverhältnisse konsequent entwickelt.“
In der BRD aber, so behauptet das Manifest weiter, hätten wieder revanchistische Imperialisten, (so verunglimpft es die drei Parteien des Bundestages) die Macht erlangt. Diese „Imperialisten“, so wird argumentiert, „konnten es sich zunutze machen, daß sich die Westmächte, vor allem die USA-Imperialisten, von der gemeinsam festgelegten Politik der Anti-Hitler-Koalition losgesagt hatten“. — Damit unterstellt die SED in zynischer Weise den damaligen Staatsmännern der Westmächte, sie hätten in Wirklichkeit 1939–1945 für die Zwecke des Bolschewismus gekämpft. Diesen Anwurf gegen die seinerzeitigen Verbündeten der SU ergänzt das Manifest durch die Erklärung: „Weil wir die Sachwalter der Interessen der ganzen deutschen Nation sind, kämpfen wir für die nationale Einigung eines solchen Deutschland, in dem es keine Reaktion, sondern nur sozialen und kulturellen Fortschritt in einer echten Demokratie gibt.“
Dieser offensiven Propaganda gegen die Bundesrepublik dienten weitere Erklärungen. So äußerte Ulbricht am 24. 6. auf der 10. Vollsitzung des ZK: „Unsere Gegner sagen uns nach, wir seien Anhänger einer Zweistaatentheorie. Wie dumm ist doch solche Behauptung. … Ich betone, wir waren, wir sind und bleiben für die Wiedervereinigung Deutschlands zu einem friedliebenden Staat.“ Seine weiteren Darlegungen zeigten, daß die SED die Bundesrepublik stufenweise nach dem Vorbild der SBZ umgestalten will. — Sehr deutlich sagte Ulbricht am 23. 9. bei einem „offiziellen Freundschaftsbesuch“ in Moskau: „Wir sprechen für das ganze friedliebende Deutschland, für alle friedliebenden Deutschen, auch für diejenigen, die heute noch jenseits unserer Staatsgrenzen in der westdeutschen Bundesrepublik oder auf dem besonderen Territorium West-Berlin leben.“ — Wieder meldete das kommunistische Regime der SBZ seinen Totalitäts-Anspruch für ganz Deutschland an.
Um seine Vorschläge für eine Politik der angeblich friedlichen und demokratischen Koexistenz und für eine Konföderation propagandistisch zu vertreten, errichtete das Regime der SBZ am 18. 12. 1965 das Staatssekretariat für gesamtdeutsche Fragen.
Der Deutschlandpolitik der SED dient die Infiltration, die sie gegen die BRD betreibt und betreiben läßt.
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Die Sp. Deutschlands und die Unterstellung der deutschen Ostgebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie unter polnische bzw. sowjetische Verwaltung verursachten Unklarheiten der Namensschreibung. Für Orte und Gebiete abgetrennter Teile Deutschlands sollten grundsätzlich die alten deutschen Namen verwendet werden. Nur wenn davon z. B. die Zustellung von Sendungen abhängt, wäre zweckmäßig neben dem alten den neuen Namen anzugeben (z. B. Chemnitz/Karl-Marx-Stadt, Breslau/Wroclaw). Die ostwärts der Oder-Neiße-Linie liegenden Gebiete sind am besten als „Deutsche Ostgebiete“ oder „Ostdeutschland“ zu bezeichnen, Ostberlin als „Sowjetsektor Berlins“. Näheres ist den „Kartenrichtlinien“ des Bundesmin. f. gesamtdt. Fragen, abgedr. im „Gemeinsamen Ministerialblatt“ Nr. 6 v. 14. 2. 1961, ferner den „Bezeichnungsrichtlinien“ des Ministeriums vom 1. 2. 1961 zu entnehmen.
Literaturangaben
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Fundstelle: SBZ von A bis Z. Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1966: S. 436–443