DDR von A-Z, Band 1966

Strafvollzug (1966)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1969 1975 1979 1985


 

Auf Grund einer VO vom 16. 11. 1950 (GBl. S. 1165) ist der St. auf das Ministerium des Innern, also auf die Polizei, übergegangen. Bis zum 1. 1. 1956 wurden die Angelegenheiten des St. u. der Strafvollstreckung unter Aufsicht des Präsidiums der Volkspolizei von den Bezirksbehörden der VP bearbeitet. Seitdem ist die Hauptverwaltung St. mit den Bezirksverwaltungen unmittelbar dem Ministerium des Innern unterstellt. Leiter des gesamten St. ist der Gen.-Major Mayer. Durch die 1. DB. vom 23. 12. 1950 (MinBl. S. 215) zur VO vom 16. 11. 1950 wurden die größeren Strafanstalten, durch die 2. DB. vom 5. 5. 1952 (MinBl. S. 47) alle restlichen Justizhaftanstalten, Justizjugendhäuser u. Haftkrankenhäuser dem Ministerium des Innern unterstellt. Damit trat der bisher im St. vertretene Erziehungsgedanke völlig in den Hintergrund. Einen praktischen Unterschied im St. zwischen Zuchthaus- u. Gefängnisstrafe gibt es nicht mehr.

 

Die Aufsicht über die Durchführung des St. ist der Staatsanwaltschaft übertragen (§ 27 ff. StAGes. vom 17. 4. 1963 — GBl. I, S. 57), die überwachen soll, daß „a) die Umerziehung der Strafgefangenen auf der Grundlage kollektiver, gesellschaftlich nützlicher Arbeit und politisch-kultureller Einwirkung erfolgt; b) die für arbeitende Strafgefangene festgelegte Regelung der Arbeitszeit, des Arbeitsschutzes, der Entlohnung und der Freizeit strikt eingehalten wird; c) die gesetzlichen Bestimmungen des Gesundheitsschutzes eingehalten werden“ (§ 30 StAGes.). Arreststrafen und sonstige Disziplinarmaßnahmen sind von den mit der Aufsicht über den St. beauftragten Staatsanwälten („Haftstaatsanwälte“) zu überprüfen. Beschwerden und Gesuche von Strafgefangenen sind innerhalb von zwei Wochen nach Eingang bei der Staatsanwaltschaft zu beantworten. Durch die Übertragung des St. auf die Polizei wurde angestrebt, die Arbeitskraft der Gefangenen in möglichst großem Umfange auszubeuten, so vor allem in Haftarbeitslagern. Durch die „VO über den Arbeitseinsatz von Strafgefangenen“ vom 10. 6. 1954 (GBl. S. 567) wurde „das Ministerium des Innern ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Generalstaatsanwalt der DDR, dem Ministerium der Justiz, dem Ministerium der Finanzen den Arbeitseinsatz von Strafgefangenen in eigener Zuständigkeit neu zu regeln“. Damit hat die Volkspolizei — das Referat „Produktion“ in den Bezirksverwaltungen St. — eine Generalvollmacht zur Festsetzung der Arbeitsbedingungen für Strafgefangene u. der Vergünstigungen erhalten. Die nach dem Staatsanwaltschaftsgesetz (§ 28) erforderliche Zustimmung des Generalstaatsanwalts zu Anweisungen des Ministeriums des Innern zur Durchführung des St. wird stets erteilt.

 

Mit dem Erlaß über die grundsätzlichen Aufgaben und die Arbeitsweise der Organe der Rechtspflege vom 4. 4. 1963 (GBl. I, S. 21) ordnete der Staatsrat eine Umorganisation des St. an, für die die notwendigen Voraussetzungen bis zum 1. 1. 1963 zu schaffen waren. Seitdem gibt es drei verschiedene Vollzugsarten (Kategorie I–III), die sich durch die Ordnungs- und Disziplinarbestimmungen, die Formen der [S. 472]Organisation und der Art der Arbeit sowie die politisch-kulturelle Erziehung unterscheiden. In die schwerste Kategorie I kommen „Staatsfeinde“ und Rückfalltäter mit über 3 Jahren und sonstige Verurteilte mit mehr als 5 Jahren Freiheitsstrafe, in die Kategorie II „Staatsfeinde“ und Rückfalltäter mit Freiheitsstrafen bis zu 3 Jahren und andere Verurteilte mit Strafen von 2–5 Jahren, in die Kategorie III Strafgefangene, die nicht wegen „feindlicher Einstellung“ oder wegen einer Rückfallstraftat zu Freiheitsstrafen bis zu 3 Jahren verurteilt sind. Strafgefangene können bei einwandfreier Führung u. guten Arbeitsleistungen in eine leichtere Kategorie, bei negativer Einstellung und schlechter Arbeit in eine schwerere Kategorie überwiesen werden. Eine unterschiedliche Behandlung politischer Häftlinge und kriminell Verurteilter, etwa in der Form einer zusammengefaßten Unterbringung oder gar einer Privilegierung der politischen Gefangenen gibt es nicht.

 

Seit Sommer 1955 wurde nach und nach in den großen Strafanstalten die Regelung eingeführt, daß die Gefangenen keine Lebensmittelpakete von ihren Angehörigen mehr erhalten durften. Es durfte den Gefangenen zunächst aber noch Geld geschickt werden, für das sie sich in den HO-Verkaufsstellen in den Strafanstalten die dort vorhandenen Lebens- u. Genußmittel kaufen konnten. Dann wurde auch diese zusätzliche Hilfe mehr und mehr eingeschränkt, bis im Dez. 1962 wieder eine gewisse Lockerung ein trat. Jetzt kann dem Gefangenen bei guter Führung und Erfüllung der Arbeitsnorm gestattet werden, zu Weihnachten und zum Geburtstag ein Lebensmittelpaket von seinen Angehörigen zu empfangen. Verschiedentlich ist auch der Empfang eines zusätzlichen Paketes mit Obst oder Kosmetika erlaubt. Die Angehörigen dürfen den Gefangenen in jedem Vierteljahr einmal besuchen. Bei diesem Besuch darf Obst mitgebracht werden. Zu Weihnachten darf (und soll!) der Gefangene ein Geschenkpäckchen an seine Angehörigen schicken. Monatlich darf der Gefangene der Kategorien I und II je einen Brief von grundsätzlich 20 Zeilen schreiben und empfangen und zusätzlich eine Postkarte empfangen; der Gefangene der Kategorie III darf zwei Briefe schreiben und empfangen sowie eine Postkarte empfangen.

 

Obwohl die „VO über Kosten im Strafverfahren“ vom 15. 3. 1956 (GBl. S. 273) ausdrücklich vorschreibt, daß Kosten, die beim Vollzug einer Freiheitsstrafe entstehen (Haftkosten), nicht mehr erhoben werden, werden den arbeitenden Gefangenen sehr erhebliche Abzüge vom Arbeitslohn für „Unterkunft, Verpflegung und Bewachung“ gemacht, die bis zu 75 v. H. des Arbeitslohnes erreichen.

 

Nach der Entlassung aus der Strafhaft soll der Entlassene schnell in das „gesellschaftliche Leben“ wieder eingegliedert werden (VO vom 11. 7. 1963 — GBl. II, S. 561). Verantwortlich für die Wiedereingliederung sind die Räte der Städte, Stadtbezirke und Gemeinden. Bereits vor der Entlassung ist dem Strafgefangenen ein Arbeitsplatz bereitzustellen, der seiner beruflichen Qualifikation, seinen Fähigkeiten sowie den gesellschaftlichen Erfordernissen entspricht. Der Arbeitseinsatz soll in der Regel in dem früheren Betrieb erfolgen. Im Arbeitskollektiv soll der im St. begonnene Umerziehungsprozeß fortgesetzt werden. In der Praxis treten, wie zahlreiche Berichte zeigen, gerade bei der Eingliederung entlassener Strafgefangener immer wieder große Schwierigkeiten auf, da von den Betriebsleitern pp. andererseits auch eine ständige „Wachsamkeit“ verlangt wird, die sie gegen die Wiederbeschäftigung von straffällig gewordenen Menschen mißtrauisch sein läßt. (Rechtswesen)

 

Literaturangaben

  • Rosenthal, Walther, Richard Lange, und Arwed Blomeyer: Die Justiz in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. 4., überarb. Aufl. (BB) 1959. 206 S.

 

Fundstelle: SBZ von A bis Z. Zehnte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1966: S. 471–472


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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