
Berufsausbildung (1969)
Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1975 1979
a) Die B. wird durch die Erfordernisse der Wirtschaftsplanung bestimmt und unterliegt umfassenden gesetzlichen Bestimmungen. Alljährlich ergeht eine Anordnung über die Durchführung des Planes „Berufsausbildung“, der eindeutig die volkseigenen Betriebe bevorzugt. Die Schulabgänger werden durch eine besondere Werbekampagne beeinflußt, die von der Wirtschaftsleitung gewünschten Berufe zu ergreifen. Wichtigstes Mittel der Berufslenkung ist die Registrierpflicht für alle Lehr- und Arbeitserträge mit Schülern, Jugendlichen und Studienbewerbern bei dem jeweiligen Amt für Arbeit und Berufsberatung. Berufsausbildungsverträgen mit Handwerkern oder selbständigen Gewerbetreibenden wird vielfach die Genehmigung versagt.
Ziel der B. ist, in möglichst kurzer Zeit qualifizierte Arbeitskräfte heranzubilden. Die B. soll „zugleich feste weltanschauliche sowie politisch-moralische Überzeugungen entwickeln“, die Lehrlinge also im Sinne der SED erziehen. Die Lehrausbilder sollen die Jugendlichen in die sozialistische ➝Gemeinschaftsarbeit einführen. Die gesetzlichen Bestimmungen über die B. wurden in dem im Febr. 1965 in Kraft getretenen „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ zusammengefaßt und zum Teil neu geregelt. Dieses Gesetz betrifft alle Ebenen der Bildung und Ausbildung von der Normalschule über die Berufsausbildung bis hin zu den Hochschulen und Universitäten. Die B. wird darin einheitlich geregelt. (In der BRD gibt es für die verschiedenen Berufsgruppen — also gewerbliche Lehrlinge der Industrie, Handwerkslehrlinge, kaufmänn. Lehrlinge usw. — voneinander abweichende Regelungen.) Die B. baut auf der Normalschule auf und ist eng mit ihr verbunden. Zwar sind viele Regelungen des neuen „Bildungsgesetzes“ noch bloßes Programm, aber an dessen Realisierung wird gearbeitet. Diesem Programm zufolge beginnt eine allgemeine Einführung in das Berufsleben bereits im 7. Schuljahr der Normalschule, der zehnklassigen „Polytechnischen Oberschule“. Diese Berufseinführung in der 7. und 8. Klasse ist überwiegend theoretischer Art und wird ergänzt durch Werkunterricht und praktische Tätigkeit in einem Betrieb. Für die praktische Unterweisung ist wöchentlich ein Unterrichtstag vorgesehen. Diese Unterweisungen werden getrennt für die Berufsrichtungen Industrie und Landwirtschaft veranstaltet. Teil des polytechnischen Unterrichts soll die Weckung von Neigungen und Eignungen für einen bestimmten Beruf sein, um die Berufsentscheidung der Schüler und Eltern zu erleichtern.
Vom 9. Schuljahr ab erfolgt neben dem allgemeinbildenden Unterricht eine theoretische und praktische berufliche Grundausbildung, letztere in Verbindung mit einem Betrieb. Auch dabei handelt es sich noch nicht um die Ausbildung für einen bestimmten Beruf. Während des 9. und 10. Schuljahrs sollen vielmehr die Grundlagen für jeweils mehrere verwandte Berufe vermittelt werden, z. B. für „Metallarbeiter“ oder „Elektriker“. Erst nach Abschluß der zehnklassigen Normalschule folgt die B. in einem ganz bestimmten Beruf in einem Lehrbetrieb. Die praktische Lehrzeit beträgt dann in der Regel nur noch zwei Jahre. Während der Lehrzeit besuchen die Lehrlinge die Berufsschule.
Durch dieses Ausbildungssystem sollen künftig rund vier Fünftel der in Lehrberufen ausgebildeten Jugendlichen nach Vollendung des 17. Lebensjahres ins Berufsleben eintreten. (Auch in der BRD treten die Jugendlichen in diesem Alter ins Berufsleben, und zwar nach in der Regel 8jährigem Volksschulbesuch und anschließender dreijähriger Lehrzeit. In der BRD werden jedoch noch ungefähr 60 v. H. der gewerblichen Lehrlinge in Handwerksbetrieben ausgebildet, in der „DDR“ sind es nur noch rund 10 v. H.)
Von einem kleinen Teil der Schüler — den offensichtlich geringer begabten — wird der Abschluß der Normalschule nach dem 10. Schuljahr nicht verlangt. Man rechnet dabei mit etwa 15 v. H. der Schüler, die nach dem 8. Schuljahr die Schule verlassen und anschließend eine zwei- bis dreijährige Betriebslehre mit gleichzeitigem Besuch einer Berufsschule aufnehmen.
Die praktische B. in den Betrieben erfolgt nach einheitlichen, aber für die verschiedenen Berufe doch weitestgehend spezialisierten Vorschriften, die in einer amtlichen Berufssystematik und in den für die meisten Lehrberufe vorliegenden allgemeinverbindlichen Berufsbildern niedergelegt sind. Darin worden Ausbildungsziele und die zu vermittelnden Fertigkeiten genau beschrieben.
Geeignete Schüler haben die Möglichkeit, [S. 98]im Anschluß an die 10. Klasse der Normalschule in die „Erweiterte Oberschule“ einzutreten. Nach weiteren zwei Schuljahren wird dort das Abitur abgelegt.
Bis Ende 1966 bestand die Absicht, an den „Erweiterten Oberschulen“ den Schülern in Verbindung mit Lehrbetrieben auch eine Facharbeiterausbildung zu vermitteln. Das Abitur sollte nach diesen Plänen gleichzeitig mit der Facharbeiterprüfung abgelegt werden. Von dieser Absicht ist man wieder abgekommen. Die versuchsweise Einführung der Koppelung von Abitur mit Facharbeiterprüfung hat sich nicht bewährt. Die schulische Ausbildung kam dabei zu kurz. Die Vorbereitung auf die Facharbeiterprüfung an den „Erweiterten Oberschulen“ fällt ab Sept. 1969 wieder weg. Die Schüler erhalten dann nach neuen Lehrplänen auch auf den „Erweiterten Oberschulen“ nur einen allgemein-berufsvorbereitenden Unterricht.
Auch für den polytechnischen Unterricht der 7.–10. Klassen der Normalschulen sind neue Lehrpläne (ab 1. Sept. 1968) vorgesehen, da die bisherigen Erfahrungen auf absinkende Schulleistungen hinwiesen. Es hat sich gezeigt, daß die zu weitgehende Übernahme von Aufgaben der B. durch die Schule den Charakter der allgemeinbildenden Schule zu stark verändert. Hinzu kamen organisatorische Probleme, die sich aus der engen Zusammenarbeit zwischen Schule und Betrieben ergaben. Ab Sept. 1967 werden die neuen Lehrpläne auch für die Normalschule, die Polytechnische Oberschule, eine stärkere Betonung der allgemein-berufsvorbereitenden Elemente enthalten. Die neuen Lehrpläne sollen neue berufliche Grundlagenfächer enthalten, insbesondere Grundlagen der Datenverarbeitung, der Betriebsmeß-, Steuer- und Regelungstechnik und der Elektronik. Auch Grundfragen der Kybernetik sollen einbezogen werden.
Die Einführung eines neuen Typs der Ausbildungsberufe, des Grundberufs, soll ebenfalls schrittweise ab Sept. 1968 erfolgen. Zunächst sind folgende Grundberufe vorgesehen: Facharbeiter für Datenverarbeitung, Baufacharbeiter, Metallurge für Stahlerzeugung, Metallurge für Stahlformung, Zerspanungsfacharbeiter. Für die herkömmlichen Ausbildungsberufe, die ihre volkswirtschaftliche Bedeutung beibehalten, werden die Berufsbilder überarbeitet unter Einbeziehung der modernen Technik und Technologie und der neuesten Erkenntnisse der Pädagogik. Programmierter Unterrichts wird angestrebt.
Im Rahmen des Systems der B. gibt es einige zusätzliche Einrichtungen: Spezialschulen und Spezialklassen für besonders Begabte, für den Nachwuchs an Führungskräften in Wirtschaft, Wissenschaft, Sport und Kultur; Sonderschulen für Körperbehinderte und Beschädigte verschiedener Art; Einrichtungen für die berufliche Weiterbildung Erwachsener (Qualifizierung, Fernstudium, Betriebsakademien).
Nach einem Ministerratsbeschluß vom Mai 1964 waren der Staatlichen Plankommission die Planung und Leitung der B. übertragen worden. Durch einen neuen Ministerratsbeschluß vom 22. 12. 1965 ist die Zuständigkeit der Staatl. Plankommission auf das Staatl. Amt für Berufsausbildung übertragen worden.
Eine (Mitte 1968) in Vorbereitung befindliche neue gesetzliche Regelung macht die Betriebe und die VVB für die Durchführung der B. und die Weiterbildung Berufstätiger verantwortlich. Auffällig an der neuen Verordnung ist, daß die Lehrlinge wieder stärker als in den letzten Jahren „klassenmäßig“ erzogen werden sollen. Sie sollen „zur festen Freundschaft mit der Sowjetunion, zum proletarischen Internationalismus … sowie zur konsequenten Klassenauseinandersetzung mit dem westdeutschen Imperialismus erzogen werden“ („Tribüne“, Ostberlin, vom 4. 4. 1968).
Literaturangaben
- Haas, Gerhard, und Alfred Leutwein: Die rechtliche und soziale Lage der Arbeitnehmer in der sowjetischen Besatzungszone. 5., erw. Aufl. (BB) 1959. Teil I (Text) 264 S., Teil II (Anlagen) 162 S.
b) Wie das gesamte Erziehungswesen dient auch die B. in der Landwirtschaft, unabhängig von wirtschaftlich-technischen Zielen, der „sozialistischen Umbildung des Bewußtseins“. Die Fachausbildung gewann aber in letzter Zeit aus pragmatischen Gründen sehr stark an Bedeutung. Gegenwärtig ist die landwirtschaftliche B. starken Veränderungen hinsichtlich Inhalts und Dauer unterworfen.
1) Mit Einführung der Zehnklassenschule wird für alle landwirtschaftlichen Lehrberufe dieser Schulabschluß vorausgesetzt. Der Abschluß kann auch während der Lehrzeit in bestimmten Berufsschulen erreicht werden. Bis 1965 war die B. stark spezialisiert. Seit dieser Zeit wird für bestimmte Berufsgruppen eine gemeinsame „Grundausbildung“ durchgeführt. Die „Spezialausbildung“ erfolgt erst während der zweiten Hälfte der Lehrzeit. Die Dauer der Lehrlingsausbildung ist von der Vorbildung abhängig. Für die wichtigsten landwirtschaftlichen Berufe ergibt sich folgende Lehrzeit: zweijährige Ausbildung für Abgänger der zehnten Klasse (ein Jahr Grundausbildung, ein Jahr Spezialausbildung); Grundausbildung in der neunten und zehnten Klasse der Oberschule, anschließend einjährige Spezialausbildung; vierjährige Berufsausbildung in den Erweiterten Oberschulen (zwei Jahre Grund-, zwei Jahre Spezialausbildung) bei gleichzeitigem Erwerb des Abiturs; dreijährige Ausbildung für Abgänger der achten Klasse (in der Berufsschule werden die letzten zwei Jahre der zehnklassigen Oberschule nachgeholt); dreijährige Ausbildung mit Abiturabschluß für Abgänger der zehnten Klasse.
2) Meisterausbildung erfolgt in zwei Formen: in geschlossenen Lehrgängen an Abteilungen der landwirtschaftlichen Fachschulen (5 Monate) und im Fachschulabendstudium (2 Jahre). Die Meisterlehrgänge können auch unter Leitung einer Fachschule an Dorfakademien und Winterschulen durchgeführt werden. Voraussetzungen der Teilnahme sind abgeschlossene Lehrlingsausbildung und mindestens fünfjährige praktische Tätigkeit. Die Meisterausbildung ist ebenfalls weitgehend spezialisiert.
(3) Fachschulausbildung zum „Staatlich geprüften Landwirt“ erfolgt in einem dreijährigen kombinierten Studium (Direkt- und Fernstudium gekoppelt) oder in einem vierjährigen Fernstudium. Während des kombinierten Studiums sind die Studenten vorwiegend im Sommerhalbjahr auf ausgesuchten Landwirtschaftsbetrieben tätig und studieren im Fernstudium. Voraussetzung für die Zulassung sind der Abschluß der 10. Klasse, Facharbeiterbrief und einjährige praktische Tätigkeit. Das Studium [S. 99]spezialisiert sich im dritten Studienjahr in die Fachrichtungen Betriebsökonomie und Produktionstechnik (Feld- und Viehwirtschaft). Außer in der Landwirtschaft kann ein dreijähriges Ingenieur (Fachschul-) Studium noch in den Fachrichtungen Landtechnik, Finanzwirtschaft (Landwirtschaft), Saat- und Pflanzgut, Pflanzenschutz, Gartenbau, Veterinärmedizin (2 Jahre), Forstwirtschaft, Finanzwirtschaft (Forstwirtschaft), Binnenfischerei, Gärungs- und Getränketechnologie, Gemüseverarbeitende Industrie, Back- und Süßwaren, Öl- und Margarineherstellung, Getreideverarbeitung, Milchverarbeitende Industrie und Fleischindustrie erfolgen.
4) Hochschulstudium der Landwirtschaft ist an den Universitäten Berlin, Rostock, Halle, Leipzig und Jena als kombiniertes Studium, Fern- und Abendstudium möglich. Das kombinierte Studium wurde aus dem Direktstudium entwickelt, dauert fünf Jahre und endet mit dem akademischen Grad Diplomlandwirt. Das Studium am Hochschulort wechselt mit praktischen Arbeiten im landwirtschaftlichen Betrieb. In dieser Zeit wird ein Fernstudium durchgeführt. Nach einer dreijährigen Grundausbildung erfolgt eine Spezialisierung in den Richtungen Feld- und Viehwirtschaft. Außer an den genannten Universitäten kann der akademische Grad eines Diplomlandwirtes auch an der Hochschule für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft Bernburg in einem vierjährigen kombinierten Studium erworben werden. Eine Spezialisierung erfolgt im vierten Studienjahr in den Richtungen Agrarökonomie, Pflanzliche und Tierische Produktion. Diese Hochschulausbildung ist besonders für Absolventen der Fach- und Ingenieurschulen geeignet. Die Ausbildung eines Diplom-Betriebswirtschaftlers erfolgt an der Hochschule für Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften in Meißen und dauert im Direktstudium zweieinhalb Jahre.
Für das Hochschulstudium sind das Abitur oder der erfolgreiche Abschluß einer Fachschule sowie der Facharbeiterbrief Voraussetzung.
5) Die Erwachsenenbildung (Erwachsenenqualifizierung) im landwirtschaftlichen Bereich erfolgt, außer an den bisher genannten Institutionen, an Dorfakademien, Volkshochschulen und den 1958 wieder eingerichteten Winterschulen. Außer allgemeinbildenden Kursen werden auch Lehrgänge zur Ausbildung von Spezialisten für Bereiche innerhalb der Landwirtschaft durchgeführt. Für ältere Landwirte besteht sogar die Möglichkeit, einen Facharbeiterbrief zu erwerben.
Literaturangaben
- Merkel, Konrad, und Eduard Schuhans: Die Agrarwirtschaft in Mitteldeutschland — Sozialisierung und Produktionsergebnisse. (BB) 2., erw. Aufl. 1959. 200 S. m. 53 Tab.
Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 97–99