
Bewußtsein, Sozialistisches (1969)
Siehe auch:
Auf die Ideologie des Marxismus-Leninismus gegründeter Begriff, der die verstandesmäßig erarbeitete Einsicht in die angeblich gesetzmäßig „fortschrittliche“ Politik der kommun. Parteien und Regierungen im Übergangsstadium des Sozialismus auf dem Wege zum Kommunismus bezeichnen soll. SB. wird für unabdingbar erklärt, um den von Marx und Engels als Historischen Materialismus erkannten, angeblich unausweichlichen Prozeß der Weltgeschichte durch die Mitwirkung der Massen möglichst schnell seinem Endziel, dem Kommunismus, zuzutreiben.
Die Entwicklung eines SB. zielt auf die Wandlung und schließliche Fixierung des ganzen Menschen im Sinne einer bejahenden geistigen und seelischen Haltung zu seiner sozialistischen Umwelt. Vielfältige Methoden sollen die Bürger derart formen, daß sie den ihnen vorgeschriebenen Denkstil annehmen und zu Urteilen und Entschlüssen kommen, die den Zielen der Herrschenden entsprechen. (Gesellschaftliche Erziehung)
Unter dem Einfluß der marxistischen These, daß Denken und Handeln ausschließlich durch die Umwelteinflüsse geprägt und mit ihnen gewandelt würden, glaubte die kommun. Führung lange Zeit an einen schnellen Erfolg ihrer Bemühungen zur Bildung eines SB. Durch das Zusammenwirken von für die Kommunisten neuen Erkenntnissen in der Psychologie mit Erfahrungen aus der SU wie aus Mitteldeutschland hat sich aber seit etwa 1960 die Einsicht durchgesetzt, daß es auf jeden Fall ein langwieriger Prozeß sein wird. In allen kommunistischen Ländern ist die Ideologie das wichtigste Instrument zur Entwicklung eines SB. Sorgfältig dosierte Kenntnisse über diese Ideologie zu verbreiten, ist Aufgabe aller Institutionen zur Schulung, insbesondere der Kader. Der Verbreitung der Ideologie dienen aber auch das Erziehungs- und Bildungswesen, die Presse, der Rundfunk und das Fernsehen sowie im weiteren Sinne alle Arten von Agitation und Propaganda. Aber auch Kunst und Literatur, das Filmwesen und die Produktionspropaganda sollen zur Bildung eines SB. beitragen.
Die kommun. Bemühungen sind ihrem Wesen nach ausschließlich. Sie schirmen darum die von ihnen Erfaßten gegen Einflüsse anderer geistiger Herkunft ab, vermeiden echte Diskussion und verhalten sich kritikfeindlich und intolerant.
Erfolge oder Mißerfolge sind nicht einheitlich zu beurteilen. Zwar ist es der SED bisher nicht gelungen, die kommun. Lehre in der Bevölkerung Wurzel schlagen zu lassen oder doch deren Vertrauen in die „Perspektiven“ ihrer Herrschafts- und Wirtschaftsordnung zu gewinnen. Indessen hat die lang andauernde und nur sporadisch durch Informationen von außen durchbrochene Beeinflussung der Bevölkerung in gewissem Grade einen anderen Denkstil und andere politische Kategorien aufprägen können. Da viele Menschen politische Begriffe überhaupt nur noch nach kommun. Definitionen kennen, bewegen sie sich in kommun. Kategorien auch dann, wenn sie gegen das Regime Stellung beziehen.
Folge dieser SB. ist auch, daß die Politisierung des gesamten Lebens hingenommen, ihr Fehlen im Westen u. U. als Schwäche empfunden wird. So kann den Bemühungen um ein SB. im ganzen eine beträchtliche, wenngleich in mancher Hinsicht nicht be[S. 119]absichtigte Wirkung nicht abgesprochen werden.
Außer den genannten, im Sinne des Regimes mindestens z. T. positiven Folgen sind mindestens zwei weitere Tendenzen festzustellen: 1. In geistig aktiven und selbständigen Bevölkerungsgruppen aller Schichten, offenbar besonders in der Jugend, verstärkt sich die Neigung, sich abseits der offiziellen Bemühungen um ein SB. ein eigenes Bild von den wünschenswerten Eigenschaften einer sozialistischen Gesellschaft zu verschaffen. 2. Zweifellos große, wenn auch schwer bestimmbare Schichten reagieren in ihrem seelischen Konflikt zwischen innerer Ablehnung und Ergebung in ihr Schicksal mit einer Mischung von Resignation und unbestimmter Hoffnung auf eine Wende zum Besseren.
Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 118–119
Bewährung, Verurteilung auf | A, B, C, D, E, F, G, H, I, J, K, L, M, N, O, P, Q, R, S, T, U, V, W, Z | Bezirk |