
Einzelhandelsverkaufspreis (EVP) (1969)
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Die EVP, auch Endverbraucherpreise genannt, setzen sich im Prinzip aus dem Industrieabgabepreis plus Groß- und Einzelhandelsspanne zusammen. Die Preishöhe der Waren basiert in der Regel auf den „gesellschaftlich notwendigen Selbstkosten“ (Durchschnittskosten) der Erzeugnisse und einem von den Preisbehörden zentral festgesetzten Kalkulationsposten (Preisbestandteil) „Reineinkommen“ (Wertpreisbildung). Dabei entsprechen die für die Festsetzung des Industrieabgabepreises maßgeblichen Kosten nicht dem tatsächlichen Werteverzehr bei der Produktion des Erzeugnisses, sondern stellen ein Konglomerat normativer Kostenbestandteile dar. Im Plan- oder Festpreissystem der „DDR“ wurden für den allergrößten Teil der Konsumgüter einheitliche EVP festgelegt. Abweichungen vom Prinzip des einheitlichen Festpreises auf der Basis des Warenwertes (Wertpreisbildung) sind möglich auf Grund politischer, insbesondere sozialpolitischer, verbrauchslenkender und produktionsstimulierender Gesichtspunkte, wobei die Berücksichtigung des Angebotes und der Nachfrage eine besondere Rolle spielt. Allerdings werden derartige Einflüsse nicht erst bei der Festlegung der EVP, sondern bereits bei der Bestimmung der Industrieabgabepreise berücksichtigt.
Vom „Prinzip der Einheitlichkeit“ der EVP abweichende Preise sind die „Kalkulationspreise“, die auf den Kosten- und Gewinnkalkulationen einzelner Produzenten beruhen. Kalkulationspreise gelten z. B. für Spielwaren, Schmuck und in Einzelfertigung hergestellte Konsumgüter. Für Saisonerzeugnisse, wie Obst und Gemüse, werden von den Preisbehörden zeitlich differenzierte EVP bestimmt, oder man überläßt die Preisbildung den Vereinbarungen der Volkseigenen Erfassungs- und Aufkaufbetriebe mit dem Handel (Vereinbarungspreise). Um den Absatz technisch überholter oder modisch veralteter Güter (Ladenhüter) anzuregen, können EVP festgesetzt werden, die nur eine bestimmte Zeit oder für eine bestimmte Warenmenge Gültigkeit haben (Schlußverkaufspreise).
Im Zuge der Reform des Wirtschaftssystems ab 1963/64 wurde in der „DDR“ in den Jahren 1964 bis 1967 eine umfassende Revision der Industrieabgabepreise durchgeführt. Die Wirtschaftsführung erreichte durch Kürzungen der Produktions- und Dienstleistungsabgabe und durch rigorose Kosten- und Preiskontrollen, daß, obwohl die Betriebs- und Industrieabgabepreise im allgemeinen anstiegen, das Preisniveau für industrielle Konsumgüter, Nahrungsmittel und Dienstleistungen nur sehr leicht stieg. Vornehmlich bei Haushaltswaren, Qualitäts- und Luxusartikeln und bei Neubaumieten wurden Erhöhungen der EVP vorgenommen (Exquisit-Verkaufsstellen). Schon vor der Industriepreisreform (ab 1964) war ein stetiges leichtes Ansteigen des Preisindex auf dem Konsumgütermarkt festzustellen gewesen. Modische Änderungen, die Verwendung geeigneterer Materialien, Qualitätsverbesserungen sowie die Einstellung der Produktion und Herausnahme von Artikeln mit niedrigen Preislagen und geringem Stückgewinn aus dem angebotenen Sortiment führten unter Ausnutzung der Lücken in der Preisgesetzgebung zu einer schleichenden Preiserhöhung. Allerdings suchten die staatlichen Kontrollinstanzen stets allen kostenmäßig nicht gerechtfertigten Preismanipulationen der Produzenten durch strenge Kalkulationsprüfungen auf die Spur zu kommen. Die Wirtschaftsführung der „DDR“ preist bei gleichzeitigem Verweis auf die vorgenommenen Einkommenserhöhungen die Stabilität der EVP als eine der Maßnahmen zur stetigen Verbesserung des Lebensstandards.
Die behördlich festgelegten EVP dürfen vom staatlichen und genossenschaftlichen Handel weder über- noch unterschritten werden. Von privaten Einzelhandelsbetrieben dürfen sie nicht überschritten, können jedoch unterschritten werden, soweit in den Preisverordnungen nichts anderes bestimmt ist. Für die Festsetzung der EVP trägt im Rahmen der vom Ministerrat beschlossenen Preisbildungsbefugnisse das Ministerium für Handel und Versorgung die Verantwortung.
Ein Vergleich der Endverbraucherpreise in der „DDR“ und in der BRD ergibt, daß die Preise für Grundnahrungsmittel, Heizmaterial, Strom, Gas, Wasser und für Dienstleistungen aller Art (Verkehrsleistungen, Mieten, kommunale Dienste, Handwerksleistungen) im allgemeinen unter denen in der BRD liegen. Dagegen sind investive Verbrauchsgüter, Güter des gehobenen Lebensbedarfs und Importwaren in Mitteldeutschland wesentlich teurer als in Westdeutschland.
Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 165