
Filmwesen (1969)
Siehe auch:
Im Sinne der Worte Stalins: „Der Film ist das gewaltigste Mittel zur Einwirkung auf die Massen. Wir müssen ihn in die Hand bekommen“, wird das F. von den Kommunisten als ein Hauptinstrument der Bewußtseinsbildung, der Agitation und Propaganda betrachtet und behandelt. In den ersten Jahren nach 1945 beherrschte eine sowjetische Filmverleihgesellschaft, die Sovexportfilm, das Filmgeschäft in der SBZ (Verleih, Import und Theater); die SED und der von ihr gesteuerte Staatsapparat übernahmen die Ansätze eines Filmmonopols und bauten es systematisch aus.
Seit Okt. 1958 lag die Steuerung des F. bei [S. 205]der VVB Film, die dem Ministerium für Kultur unterstand; im März 1962 trat an deren Stelle eine Hauptverwaltung Film dieses Ministeriums (Leiter und stellv. Kulturminister bis Febr. 1966 Günter Witt, seitdem Dr. Wilfried Maass). Zu den von der VVB Film gelenkten Betrieben und Instituten gehörten nicht nur die fünf Studios der DEFA, die das Filmherstellungsmonopol innehat, einige weitere volkseigene technische Betriebe, der VEB Progress Film-Vertrieb, der VEB DEFA-Außenhandel (beide ebenfalls als Monopole arbeitend), sondern auch das Staatliche Filmarchiv, die Deutsche Hochschule für Filmkunst (Rektor Prof. Dr. Konrad Schwalbe) mit der Ingenieurschule für Filmtechnik in Babelsberg sowie die Zentralschule für Lichtspielwesen in Neustrelitz (mit Außenstelle in Wernigerode) für Theaterleiter, Filmvorführer und „Meister der Wiedergabetechnik“.
Die Lage der monopolisierten und staatlich dirigierten Filmproduktion zwischen den ideologischen Anforderungen auf der einen Seite und dem Auftrag, das Publikum zu unterhalten und die Theater zu füllen, auf der anderen ist prekär und ein Anlaß zu immer wiederkehrenden Krisen und Auseinandersetzungen. 1958 riefen besonders die Ausstrahlungen des Neorealismus die SED auf den Plan; eine von ihr einberufene Filmkonferenz (Juli 1958), von Abusch als „Kampfkonferenz für die Höherentwicklung unserer sozialistischen Filmkunst“ bezeichnet, forderte im Anschluß an Empfehlungen der Kulturkommission beim ZK die Rückkehr zur „schöpferischen Methode des sozialistischen ➝Realismus. In den Jahren 1965/66 entstand infolge des verschärften kulturpolitischen Kurses, der durch das 11. Plenum des ZK der SED eingeleitet worden war, eine neue ideologische Krise für das Filmschaffen, die zu erheblichen Eingriffen in die Planung und Produktion, Veränderungen bei den leitenden „Kadern“, Selbstkritiken und vor allem zur Gründung des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden führte.
Die ideologische Linie des mitteldeutschen Spielfilms muß sich aber neuerdings nicht nur gegen den Westen, sondern auch gegen die undoktrinäre Entwicklung und das beachtliche Niveau östlicher, vor allem polnischer und tschechischer Produktionen, behaupten, von denen manche auch aus ideologischen Gründen durch die zuständigen Gremien der SED abgelehnt werden.
Verband der Film- und Fernsehschaffenden
Der Verband wurde am 21./22. 1. 1967 gegründet und trat an die Stelle des Clubs der Filmschaffenden. Im Entwurf der Grundsätze für die ideologisch-politische Orientierung des Verbandes wurden die „Rückschläge und Fehlleistungen“ seit 1962 auf „vermeidbare ideologische Fehler“ zurückgeführt; vor allem seien verschiedene Mitarbeiter „gewollt oder ungewollt auf die destruktive Ebene einer skeptizistischen Weltbetrachtung abgeglitten“. Der Verband will „parteiliche und volksverbundene, künstlerisch überzeugende Auseinandersetzung mit dem Werden und Wachsen sozialistischer Menschen zur Hauptlinie des DEFA-Spielfilmschaffens“ machen. Der Verband soll also die kulturpolitische Linie der SED bei den Filmschaffenden in ähnlicher Weise durchsetzen wie die „gesellschaftlichen“ Verbände der Schriftsteller, bildenden Künstler, Komponisten; Präsident wurde der Dokumentarfilmregisseur Andrew Thorndike, Vizepräsident der Regisseur Michael Tschesno-Hell.
DEFA.
Die DEFA (ursprünglich Deutsche Film-A.G., jetzt Deutsche Filmgesellschaft m.b.H., von der SMAD lizenziert am 17. 5. 1946) übt das staatliche Filmherstellungsmonopol aus und verfügt in Babelsberg bei Potsdam über das größte Ateliergelände Europas. In 20 Jahren ihres Bestehens produzierte sie rd. 300 Spielfilme, 100 Fernsehfilme, rd. 1.500 populärwissenschaftliche Filme und über 100 Trickfilme, außerdem in regelmäßiger Folge die Wochenschau „Der Augenzeuge“ und politisch-satirische Kurzfilme, die unter der Spitzmarke „Das Stacheltier“ laufen. In den DEFA-Ateliers werden außerdem in großem Umfange ausländische Filme und Fernsehspiele synchronisiert. Die Spielfilmproduktion schwankte zwischen 6 und 28 Filmen im Jahr; in diesen Schwankungen spiegeln sich vor allem politisch-ideologische Schwierigkeiten wider. 1965 wurden 15 Spielfilme hergestellt, doch mußten infolge der Verhärtung des kulturpolitischen Kurses der SED um die Jahreswende 1965/66 nicht weniger als zehn Filme im Werte von etwa 10 Mill. M abgesetzt werden; von den Regisseuren übte Prof. Kurt Maetzig, der zu den ursprünglichen Lizenzträgern und führenden Regisseuren der DEFA gehört, Selbstkritik. 1966 brachte die DEFA nur 9 Spielfilme, außerdem 19 Dokumentarfilme, 12 Trick- und 25 populärwissenschaftliche Filme heraus. 1967 waren 14 Spielfilme im Atelier, 14 weitere geplant. Zu den Filmen, an denen sich die Kritik der SED im Jahr 1965 besonders entzündete, gehörten „Das Kaninchen bin ich“ (Regie Kurt Maetzig nach einem Szenarium von Manfred Bieler), „Denk bloß nicht, ich heule“ (Regie Frank Vogel, Drehbuch Manfred Freitag und Joachim Nestler) und „Der Frühling braucht Zeit“ (Regie Günter Stahnke, am Drehbuch beteiligt H. O. Lauterbach und Konrad Schwalbe, der Rektor der Filmhochschule). Die gesteuerte Diskussion der Schwächen und Mängel des Filmschaffens, die meist in dem Vorwurf des „Skeptizismus“ kulminiert, zog sich über viele Monate hin.
Von gesamtdeutschen Beziehungen auf dem Gebiet der Filmproduktion kann z. Z. kaum die Rede sein; immerhin drehte die DEFA einen Film „Irrlicht und Feuer“ nach dem gleichnamigen Roman des im Ruhrgebiet ansässigen Autors Max von der Grün und leistete dem Hamburger Produzenten Walter Koppel technische Hilfe bei Außenaufnahmen in Mecklenburg für einen Film nach Ehm Welks Roman „Die Heiden von Kummorow“.
Filmtheater.
Fast alle Filmtheater in der „DDR“ wurden entschädigungslos enteignet; die volkseigenen (Volkseigentum) sind zum kleineren Teil im VEB Filmtheater, zum weitaus größeren in den „Volkseigenen Kreislichtspielbetrieben“ zusammengefaßt. 1966 gab es 924 (1961: 1.327) stationäre Theater und 853 Dorfkinos, und es fanden im ganzen 1,1 Mill. Vorstellungen mit rd. 99 Mill. Besuchern statt (1962 noch rd. 2 Mill. Vorstellungen mit rd. 191 Mill. Be[S. 206]suchern). Der Rückgang der Zahlen der Theater, Vorstellungen und Besucher entspricht der allgemeinen, vor allem durch die Ausbreitung des Fernsehens bestimmten Tendenz. Einen beträchtlichen Teil des Programms der Theater bilden selbstverständlich ausländische Filme, unter denen die des Ostblocks an Zahl, diejenigen westlicher Provenienz im Kassenerfolg an der Spitze zu stehen scheinen. Die Frequenz wie auch die Auswertung „fortschrittlicher“ Filme soll durch Filmaktivs oder Besucherräte („kontrollierende Organe der Arbeiterklasse“) unterstützt werden. Obschon nicht wenige Filme mitteldeutscher Produktion zum Vertrieb in der BRD zugelassen werden, hat das Publikum doch nur selten Gelegenheit, solche zu sehen, weil die zugelassenen Spielfilme seinen Ansprüchen häufig nicht genügen oder die dem Alltagsleben der Menschen drüben entnommenen Probleme ihm fremd sind. Tendenziöse Einschläge selbst bei scheinbar unverfänglichen Themen beeinträchtigen auch den angestrebten Export in die Länder des Westens.
Zeitschriften: „film, Wissenschaftliche Mitteilungen“, „Filmspiegel“, „Filmkurier“.
Literaturangaben
- Kersten, Heinz: Das Filmwesen in der Sowjetischen Besatzungszone. 3., erw. Aufl. (BB) 1962. Teil I (Text) 405 S. m. 43 Abb. u. 9 Tab., Teil II (Anlagen) 164 S.
Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 204–206