DDR von A-Z, Band 1969

Grundrechte, Sozialistische (1969)

 

 

Siehe auch:


 

Die G. haben sich nach kommunistischer Lehre in der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung in SG., auch sozialistische Persönlichkeitsrechte genannt, verwandelt.

 

Sie sind nicht als Rechte des einzelnen [S. 260]gegenüber dem Staat konzipiert. „Die sozialistische Gesellschaft bedarf nicht der verlogenen bürgerlichen Fiktion von einer staatsfreien Sphäre, die durch die Bürgerrechte gesichert sein soll. Der Staat ist das Machtinstrument der Werktätigen selbst, sie brauchen nicht vor der Macht geschützt zu werden, die sie selbst revolutionär geschaffen haben und nach ihrem Willen und in ihrem Interesse ausüben“ (Poppe, Sozialistische Demokratie, Ausgabe 9/1968 vom 9. 2. 1968). Die G. seien zu Rechtsnormen geworden, die aktiv die Persönlichkeit, den sozialistischen Menschen formten, das heißt zu Persönlichkeitsrechten würden. Mit der Entwicklung des sozialistischen Eigentums, der Überwindung der Ausbeutung der Arbeitskraft könne jeder unmittelbar an der Gestaltung der neuen Gesellschaft mitschaffen (Hilde Benjamin, Neues Deutschland, Nr. 215 vom 9. 9. 1958). Die sozialistischen Persönlichkeitsrechte werden daher vorwiegend als Gestaltungsrechte begriffen (Haney, Staat und Recht, 1962, S. 117/118). Sie „orientierten“ verbindlich auch die Verwirklichung der Persönlichkeit, die auf der Einsicht der Notwendigkeit beruhende Herrschaft über die Menschen, über sich selbst und über die Natur (Klenner, Studien über die Grundrechte, Ostberlin 1964, S. 64). Die SG. verkörperten die organische Verbindung von Individuum und Gemeinschaft, brächten das sozialistische Mit- und Füreinander zur Geltung und seien alles andere als Rechte zur Abkapselung und zu einem gegen die Gesellschaft oder einzelne Mitglieder gerichteten Verhalten (Büchner/Uhder — Poppe — Schüsseler, Staat und Recht, 1966, S. 563).

 

Die SG. werden als Einheit mit den sozialistischen Grundpflichten begriffen. „Die Gesellschaft kann den einzelnen nur schützen, wenn er ihren Bestand schützt und festigt. Sie kann die Ansprüche des einzelnen nur mit den Mitteln befriedigen, die er für das gesellschaftliche Wohl mit erarbeitet hat.“ Deshalb scheute sich der Verfassungsentwurf auch nicht, in Verbindung mit großartigen Rechten einige unverzichtbare Pflichten der Bürger herauszuarbeiten“, schrieb Poppe a.a.O. zum Entwurf der Verfassung von 1968.

 

Die Verfassung von 1968 formuliert die G. und Grundpflichten der Bürger in der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung der „DDR“. Die Bürger haben die gleichen Rechte und Pflichten und sind vor dem Gesetz gleich. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau wird besonders betont. Die Förderung der Frauen und der Jugendlichen in ihrer gesellschaftlichen und beruflichen Entwicklung durch Gesellschaft und Staat wird besonders hervorgehoben. Als grundlegend werden das Recht auf und die Pflicht zur Mitgestaltung (Art. 21 der Verf.), das Recht auf und die Pflicht zur Arbeit (Art. 24) (Arbeitspolitik), so wie das Recht auf Bildung und die Pflicht der Jugendlichen, einen Beruf zu erlernen (Art. 25) (Erziehungs- und Bildungswesen) angesehen. Zu den Grundpflichten gehört auch die Pflicht zum Dienst und zu Leistungen für die Verteidigung der „DDR“ (Art. 23 Abs. 1 der Verf.).

 

Das Recht zur Mitgestaltung wird in Art. 21 nicht schlechthin gewährt, sondern zur Gestaltung des Lebens der „sozialistischen Gemeinschaft und des sozialistischen Staates“. Da die sozialistische Gemeinschaft (Gesellschaft) und der sozialistische Staat unter Führung der SED, also unter der Suprematie dieser Partei stehen, kann das Recht auf Mitgestaltung nur so ausgeübt werden, wie die SED das verlangt. Das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung können nur innerhalb der Grenzen ausgeübt werden, die die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung zieht. Das ergibt sich daraus, daß nach Art. 2 Abs. 2 der Verf. in der „DDR“ der Grundsatz der Planung und Leitung aller gesellschaftlichen Bereiche gilt.

 

Die Freiheitsrechte werden nur innerhalb der durch die Verfassung gezogenen Grenzen gewährt, sind also ebenfalls durch die Planung und Leitung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung unter Führung der SED beschränkt. So wird das Recht auf freie und öffentliche Meinungsäußerung nur „den Grundsätzen dieser Verfassung gemäß“ (Art. 27), das Versammlungsrecht nur „im Rahmen der Grundsätze und Ziele der Verfassung“ (Art. 28), das Vereinigungsrecht nur „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen und Zielen der Verfassung“ (Art. 29) garantiert. Auf gesetzlicher Grundlage sind einschränkbar der Schutz der Persönlichkeit und die Freiheit jedes Bürgers (Art. 30) und das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 31 der Verf.). (Das Recht auf Freizügigkeit Freizügigkeit.) Gewissens- und Glaubensfreiheit sind in Art. 20 Abs. 2 zwar ohne Schranken proklamiert. Indessen finden auch sie ihre Begrenzung durch die der Verfassung immanenten Schranken, die durch die Leitung und Planung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung unter der Führung der SED, gesetzt sind.

 

Die sozialen G. sind weit ausgebaut. Es werden proklamiert das Recht auf Freizeit und Erholung (Art. 34), das Recht auf Schutz der Gesundheit und der Arbeitskraft (Art. 35), das Recht auf Fürsorge der Gesellschaft im Alter und bei Invalidität (Art. 36) und das Recht auf Wohnraum und auf Unverletzbarkeit der Wohnung (Art. 37). Ehe, Familie und Mutterschaft werden unter den besonderen Schutz des Staates gestellt (Art. 38).

 

Die Verfassung gibt im einzelnen an, wie das Recht auf Arbeit, das Recht auf Bildung und die anderen sozialen G. verwirklicht werden sollen. Die Mittel dazu sind wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen des Staates sowie die Bereitstellung von Bildungseinrichtungen durch den Staat.

 

Außerhalb des Kapitels über die G. und Grundpflichten der Bürger werden durch Art. 11 das persönliche Eigentum der Bürger und das Erbrecht gewährleistet sowie die Rechte von Urhebern und Erfindern unter den Schutz des sozialistischen Staates gestellt. Indessen dürfen der Gebrauch des Eigentums sowie von Urheber- und Erfinderrechten den Interessen der Gesellschaft nicht zuwiderlaufen.

 

Einen Schutz der G. durch eine Verwaltungsgerichtsbarkeit oder eine Verfassungsgerichtsbarkeit besteht nicht.

 

Die Verfassung von 1968 kennt weder ein Streikrecht (Streik), noch das Auswanderungsrecht, noch das Recht auf freie Berufswahl.

 

Literaturangaben

  • Mampel, Siegfried: Die Entwicklung der Verfassungsordnung in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands von 1945 bis 1963 (Sonderdr. a. d. Jahrb. d. öffentl. Rechts, Bd. 13) Tübingen 1964. 125 S.
  • Mampel, Siegfried: Die Verfassung der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Text u. Kommentar. 2., neubearb. u. erg. Aufl., Frankfurt a. M. 1966, Alfred Metzner. 516 S.
  • Mampel, Siegfried: Die Volksdemokratische Ordnung in Mitteldeutschland. Texte zur verfassungsrechtlichen Situation. 3., neubearb. Aufl., Frankfurt a. M. 1967, Alfred Metzner. 175 S.
  • Müller-Römer, Dietrich: Die Grundrechte in Mitteldeutschland (Abhandlungen des Bundesinstituts zur Erforschung des Marxismus-Leninismus, Bd. 9). Köln 1965, Verlag Wissenschaft und Politik. 256 S.

 

Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 259–260


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.