
Handwerk (1969)
Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1975 1979 1985
In der „DDR“ gilt als privater H.-Betrieb derjenige Betrieb, in dem eine im Verzeichnis der H.-Berufe (8. DB zum Gesetz zur Förderung des H. vom 27. 11. 1957) aufgeführte Tätigkeit ausgeübt wird; der Inhaber muß die Meisterprüfung abgelegt haben und in die H.-Rolle eingetragen sein. Außerdem gelten als private H.-Betriebe (auch Kleinindustriebetriebe genannt) diejenigen Betriebe, deren Inhaber in die Gewerberolle, die ebenfalls von den Handwerkskammern geführt wird, eingetragen sind. Die Beschäftigtenzahl für beide Betriebsformen ist auf 10 Arbeitnehmer begrenzt.
Bis zum Erlaß des „Gesetzes zur Förderung des H.“ vom 9. 8. 1950 blieb das H. in den ersten Nachkriegsjahren von stärkeren Eingriffen verschont, da man nach der Enteignungswelle im industriellen Sektor auf die Initiative und das Leistungspotential des H. zur Wiederbelebung der Konsumgüterversorgung angewiesen war. Mit dem neuen Gesetz setzten die Bestrebungen zur Eingliederung in die sozialistisch geplante und gelenkte Wirtschaft ein.
Alle Betriebe mit mehr als 10 Beschäftigten oder mit einem Umsatz, der zu mehr als 50 v. H. aus Handelsumsätzen bestand, wurden aus der H.-Rolle gestrichen und an die Industrie- und Handelskammern überwiesen, wo sie einer erheblich stärkeren steuerlichen Belastung ausgesetzt waren. Das H. wurde in das Vertragssystem einbezogen, als Zulieferer an die VEW gebunden und damit in den freien Dispositionen stark eingeengt. Gleichzeitig wurden die Preise durch H.-Preisanordnungen geregelt. Für das Dienstleistungs-H. bestehen Regelleistungspreise, die bindend sind.
Die Bildung von Einkaufs- und Liefergenossenschaften (ELG) wurde stark gefördert. Diese Genossenschaften, die nicht als sozialistische Genossenschaften anerkannt sind, dienen dazu, die privaten H.-Betriebe in die Planung einzubeziehen. Da die ELG zum großen Teil als zentrale Material- und Auftragsverteiler fungieren und vorteilhaftere Kreditbedingungen erhalten, müssen fast sämtliche privaten H.-Betriebe Mitglied einer ELG sein.
Vor dem Krieg gab es auf dem Gebiet der „DDR“ ca. 322.000 H.-Betriebe mit rd. 980.000 Beschäftigten. Die Entwicklung seit 1950 zeigt folgende Tabelle:
Der prozentual höchste Anteil an den Leistungen wird vom Nahrungs- und Genußmittel-H. (1967 38 v. H.), sowie mit Abstand vom Maschinenbau- und vom Bau-H. (mit ca. 15 bzw. 13,5 v. H. im Jahre 1967) erbracht. Im Jahre 1967 ist erstmals seit 17 Jahren ein geringfügiger Anstieg der Beschäftigtenzahl zu verzeichnen.
Die Proklamierung der Produktionsgenossenschaften des H. (PGH) auf dem Sozialisierungsparteitag der SED im Jahre 1952 bildete den Auftakt zur Kollektivierung des H. Bis zum Jahre 1955 blieben die PGH fast völlig bedeutungslos, da sich kaum private Handwerker zum Zusammenschluß bereiterklärten. Erst 1956 setzte mit wirtschaftlichem und politischem Druck eine verstärkte Kollektivierungskampagne ein, die 1958 ihren Höhepunkt erreichte. Die [S. 268]Vollkollektivierung auch im H. wurde im Hinblick auf die zu befürchtenden Versorgungsschwierigkeiten vorerst zurückgestellt.
Im Gegensatz zu westlichen Genossenschaften sind die PGH nach dem Muster der Gewerbegenossenschaften in der SU, ebenso wie die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG), mehr oder minder durch ökonomischen oder politischen Druck entstandene Zusammenschlüsse von ehemals selbständigen Betrieben mit dem Ziel, einen einheitlichen Betrieb zu bilden, der voll in das staatliche Planungssystem einbezogen ist. Ein durch gesetzliche Regelung verbindlich festgelegtes Musterstatut vom 18. 8. 1955 engt den Spielraum, innerhalb dessen sich die PGH eine eigene Satzung geben können, auf ein Minimum ein. Mitglieder einer PGH sind nicht nur ehemals selbständige Handwerker und Inhaber von Kleinindustriebetrieben, sondern auch Gesellen, Nichthandwerker, wie Ingenieure, Techniker, Heimarbeiter und mithelfende Familienangehörige. Lehrlinge können vom 15. Lebensjahr ab als Kandidaten aufgenommen werden.
Ähnlich wie bei den LPG gibt es auch bei den PGH verschiedene Typen — Stufen genannt. In der Stufe 1 wird noch mit eigenen Produktionsmitteln in eigenen Werkstätten produziert. Für die Benutzung der privaten Produktionsmittel wird zwischen dem Eigentümer und der PGH eine Nutzungsgebühr vereinbart. In der Stufe 2, der „höheren Stufe“, geht das Eigentum an Maschinen, Werkzeugen, Produktions- und Lagerräumen durch Verkauf auf die PGH über. Die Bezahlung erfolgt nach amtlich festgelegten Taxpreisen. Den Gewinn teilen die Mitglieder der PGH nach dem Leistungsprinzip auf. Lohnarbeiter dürfen nur mit Genehmigung des Kreises und nur in Höhe bis zu 10 v. H. der Mitglieder beschäftigt werden.
Der ehemals selbständige Handwerker verliert durch den Eintritt in eine PHG völlig seine Dispositionsfreiheit. Ein späterer Austritt ist kaum möglich; da eine Rückkehr zur „kapitalistischen“ Produktionsweise nicht erwünscht ist, wird nur in den seltensten Fällen eine neue Gewerbegenehmigung erteilt. Zudem kann sich die Werterstattung für die eingebrachten Maschinen und Werkzeuge je nach PGH-Stufe mehrere Jahre hinziehen.
Der Anteil der Leistungen der PGH am Gesamt-H. betrug 1967 fast 45 v. H., die Beschäftigtenzahl der PGH einschließlich Lohnarbeitern rd. 229.700.
Die Zahl der Lehrlinge betrug 1967 rd. 23.700 gegenüber rd. 32.400 im privaten H. Von den 4.279 PGH im Jahre 1967 waren 2.997 (70 v. H.) PGH der Stufe 2. In den letzten Jahren werden als wichtigste Kooperations- und Koordinationsform der PGH die Arbeitsgemeinschaften der Produktionsgenossenschaften (AGP) propagiert. Eine bessere Auslastung des privaten H. und der PGH wird insbesondere auf dem Reparatur- und Dienstleistungssektor durch die Einbeziehung in die Erzeugnisgruppen, deren ökonomische Führungsorgane die VVB des jeweiligen Industriezweiges sind, erwartet. Neben Rationalisierungseffekten ist das Ziel der Einbeziehung in die Erzeugnisgruppenarbeit und in die sogenannten sozialistischen Kooperationsgemeinschaften zwischen PGH und privatem H. hauptsächlich eine stärkere Einflußnahme auf das private H.
Nach wie vor sind für die Bevölkerung die Leistungen auf dem Reparatursektor nicht ausreichend. Da die behördlich festgelegten Preise für Reparaturen niedriger sind als für andere H.-Leistungen, ist für die PGH die Ausführung von Reparaturen weniger attraktiv. Deshalb liegt die Hauptlast immer noch beim privaten H. (1967 betrug der Anteil rd. 64 v. H.). Im Jahre 1966 war die Zuwachsrate trotz steigender Nachfrage nach Reparaturen, insbesondere auf Grund der zunehmenden Versorgung mit technischen Industriewaren, erstmalig sogar rückläufig.
Durch den Abschluß der Industriepreisreform wirken sich nun auch für die H.-Betriebe und PGH die neu festgesetzten und von den größten Kostenverzerrungen bereinigten Preise aus. Mehrkosten, die sich, bedingt durch die Preisreform, bei der Verarbeitung von teurer gewordenen Rohstoffen und anderen Materialien ergeben, dürfen nicht auf die Konsumenten abgewälzt werden, andererseits sollen aber; weder die Einkommen der Handwerker beeinflußt, noch die Versorgung der Bevölkerung eingeschränkt werden. In 48 Anordnungen ist daher der Ausgleich von Preisdifferenzen für die verschiedenen H.-Zweige festgelegt. Danach werden Mehrkosten durch die Verarbeitung verteuerter Materialien bei ausschließlicher Leistung an Konsumenten von den Finanzabt. der Räte der Kreise erstattet. Mehrkosten, die für Zulieferarbeiten an die Industrie entstehen, werden an den Auftraggeber weitergegeben. Die Auswirkungen der neu festgesetzten Preise für das H. spiegeln sich in den Leistungssteigerungen für 1967 wider. Die oben stehenden Tabellen zeigen sowohl bei den PGH als. auch im privaten H. wesentlich stärkeren Zuwachs als in den früheren Jahren. Diese Zahlen enthalten aber bereits die neuen Preise, die z. B. allein auf dem Bausektor nach offiziellen Angaben jetzt 30 v. H. höher liegen. Da die Preissteigerungen in den anderen Bereichen z. T. nicht bekannt sind, lassen sich die Zahlen von 1967 denjenigen der vorangegangenen Jahre sehr schwer gegenüberstellen. Zusätzliche Gewinne, die durch die Verarbeitung von billiger gewordenen Materialien und den Verkauf zum konstanten Konsumentenpreis entstehen, müssen von [S. 269]den Handwerkern an den Rat des Kreises abgeführt werden.
Literaturangaben
- Plönies, Bartho: Die Sowjetisierung des mitteldeutschen Handwerks. Ein Bericht über die Lage des Handwerks in der sowjetischen Zone. 2., erg. Aufl. (BB) 1953. 136 S. m. 19 Anlagen.
Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 267–269
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