DDR von A-Z, Band 1969

Jugendforschung (1969)

 

 

Siehe auch die Jahre 1975 1979 1985


 

Die Bezeichnung J. umfaßt den Komplex der in Zusammenarbeit von Soziologen, Psychologen, Pädagogen, Juristen (Kriminologen), Medizinern (Sport- und Arbeitsmedizinern) und Vertretern anderer Wissenschaftsdisziplinen durchgeführten Untersuchungen über Einstellung und Verhalten der Jugendlichen im Bereich von Schule und Ausbildung, Beruf und Betrieb, Familie und Freizeit unter besonderer Berücksichtigung des politisch-ideologischen Aspektes, über die Einschätzung der Jugend durch die Umwelt und ihr Verhältnis zur älteren Generation.

 

Kennzeichnend für die J. ist ihre dezidierte Praxisbezogenheit. Auf dem dialektischen und historischen Materialismus als Grundlage ihrer Theoriebildung aufbauend, wird sie nicht als nur diagnostizierende, sondern als eine verändernde, d.h. „auf Steuerung und Entwicklung des Verhaltens gerichtete Forschungsdisziplin“ (W. Friedrich in: „Jugendforschung“, H. 1/2, 1967, S. 11) verstanden. Ihrem pragmatisch-therapeutischen Charakter gemäß, soll sie sich an den jugendpolitischen Zielsetzungen der SED orientieren und diese durchsetzen helfen. Die auf dem VI. Parteitag der SED im Jan. 1963 erhobene Forderung nach Intensivierung der soziologischen Forschung fand hinsichtlich der Jugend ihre verbindliche Normierung im § 17 des Jugendgesetzes vom 8. 5. 1964, der die Staats- und Wirtschaftsorgane dazu verpflichtet, für die wissenschaftliche Erforschung der sich aus „der Teilnahme der Jugend am sozialistischen Aufbau ergebenden Probleme“ und die Überführung der Forschungsergebnisse in die erzieherische Praxis zu sorgen. Seitdem haben Jugend Soziologie und Jugendpsychologie einen beachtlichen Aufschwung genommen. Vor diesem Zeitpunkt galt das offizielle Interesse im wesentlichen der pädagogischen Forschung bzw. der pädagogischen Psychologie.

 

Wissenschaftliches Zentrum der „marxistischen“ J. ist das 1966 in Leipzig gegründete Zentralinstitut für J. (GBl. II, S. 463). Wie der bereits 1964 gebildete Wissenschaftliche Beirat für J. ist es — mit spezifizierteren Aufgabenstellungen und Kompetenzen — beratendes, unterstützendes und koordinierendes Organ des Amtes für Jugendfragen beim Ministerrat.

 

Unter Mitwirkung des Zentralrates der FDJ und vom Jugendgesetz sowie vom Beschluß des Staatsrates vom 31. 3. 1967 „Jugend und Sozialismus“ ausgehend, wurden im Ministerratsbeschluß vom 26. 2. 1968 (GBl. II, S. 97) Funktion und Schwerpunkte der J. erstmals zusammenfassend präzisiert und die Verantwortlichkeiten festgelegt. Ziel der J. ist es danach, an Hand einer noch weitgehend zu erarbeitenden „sozialistischen“ Theorie des Jugendalters die Gesetzmäßigkeiten und Bedingungen der Persönlichkeits- und Bewußtseinsentwicklung der Jugendlichen zu erforschen und Erziehungsmethoden zu erproben und weiter zu vermitteln.

 

Verantwortlich für die T. innerhalb ihrer Aufgabenbereiche einschließlich der Erteilung von Forschungsaufträgen an nachgeordnete wissenschaftliche Institutionen sind die Leiter der zentralen Staats- und Wirtschaftsorgane.

 

Entsprechend der Planung der Forschung auf gesellschaftswissenschaftlichem Gebiet, wird beim Amt für Jugendfragen unter der Verantwortung seines Leiters der Themenplan für die J. ausgearbeitet, der die Forschungsthematik, die Ziele und Aufgaben über die praktische Durchführung von Forschungsvorhaben enthält. Der Leiter des Amtes für Jugendfragen und die Leiter der zentralen Staats- und Wirtschaftsorgane sind zum Abschluß von Forschungsverträgen mit Universitäten, Hochschulen und selbständigen wissenschaftlichen Instituten berechtigt.

 

Schwerpunkte der J. sind: 1) Probleme der politisch-ideologischen Erziehung (sozialistisches ➝Bewußtsein, Staatsbürgerbewußtsein); 2) Probleme der Gruppenbildung und des Gruppenverhaltens (in Grundorganisationen der FDJ, in sozialistischen Jugendkollektiven in der Produktion unter dem Aspekt der sozialistischen ➝Gemeinschaftsarbeit und des Massenwettbewerbs, Verhalten von jugendlichen Gruppen in Lern- und Leistungssituationen und in der Freizeit, Vorbildrolle der Erwachsenen für Jugendgruppen); 3) Fragen der Qualifizierungsbereitschaft und der Lernmotivation des einzelnen Jugendlichen; 4) Fragen der Beeinflussung der Freizeitgestaltung Jugendlicher; 5) Leitungsprobleme bei der Durchsetzung der Jugendpolitik der SED (Leitungspflicht der Staatsorgane und der gesellschaftlichen Organisationen, Leitung von Jugendkollektiven durch Gleichaltrige, Persönlichkeit des jungen sozialistischen Leiters). Offiziell selten erwähnt, jedoch wichtig sind weiterhin Untersuchungen zur Jugendkriminalität.

 

Da die Einflußnahme der FDJ auf die „sozialistische Erziehung“ nach wie vor mit Schwierigkeiten verbunden ist, soll die Anlage von Forschungsvorhaben von vornherein einen Nutzwert für die Leitung des Jugendverbandes ausweisen. (Jugend, Zentralinstitut für Jugendforschung, Wissenschaftlicher Beirat für Jugendforschung)


 

Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 312


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.