
Leipziger Messe (1969)
Siehe auch:
Die LM. ist mit ihrer 800jährigen Tradition (Gründung 1165) die älteste internationale Messe. Und sie gehört heute wieder nach Zahl der Aussteller und Größe der Ausstellungsfläche zu den bedeutendsten internationalen Messen. Die LM. findet jährlich zweimal, im Frühjahr und im Herbst, statt. Die Frühjahrsmesse ist Technische und Konsumgütermesse, die Herbstmesse nur Konsumgütermesse, ergänzt durch Fachausstellungen. An der Vergrößerung der Ausstellungsfläche und der wachsenden Zahl der Aussteller läßt sich die Entwicklung der LM. erkennen.
Bei diesen von östlicher Seite gemachten Angaben ist allerdings zu berücksichtigen, daß man bestrebt ist, die Zahl der Aussteller, besonders derjenigen aus dem Ausland, möglichst hoch erscheinen zu lassen. So werden dann Ausstellungen von Firmengruppen und Gemeinschaften sowohl im Messekatalog als auch in der Statistik als Einzelaussteller ausgewiesen. Gegenüber 1963 wies die Zahl der an der Frühjahrsmesse 1968 beteiligten Länder einen Rückgang von 75 auf 65 auf.
Von östlicher Seite wird die Bedeutung der LM. für die „Förderung des Internationalen Leistungsvergleiches“ sowie für den Ost-West-Handel (Außenwirtschaft) hervorgehoben. Seit 1963 werden die besten technischen Erzeugnisse und Konsumgüter mit Goldmedaillen und Diplomen ausgezeichnet. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß die tatsächliche wirtschaftliche Bedeutung der LM. kaum an den von östlicher Seite gemeldeten Abschlußzahlen abgelesen werden kann, da es sich vielfach nicht um echte Vertragsabschlüsse handelt. Die Umsätze sind planmäßig gebunden, und bereits abgeschlossene Verträge werden oft nur im Rahmen der Messe unterzeichnet. Zusätzliche echte Abschlüsse außerhalb der Planung lassen sich nicht abgrenzen, da nicht zu überprüfen ist, inwieweit die „DDR“ die erforderlichen Reserven für zusätzliche Leistungen freimachen kann. Für die Ostberliner Partei- und Regierungsstellen liegt die Bedeutung der LM. nicht nur auf wirtschaftlichem, sondern vor allem auch auf politischem Gebiet. Erstens geht es ihnen darum, der eigenen Bevölkerung die Erfolge des sozialistischen Aufbaus vor Augen zu führen. Dazu werden Besuche aus Betrieben, Organisationen und Dienststellen zur LM. organisiert, woraus sich die hohen Besucherzahlen erklären:
Vor allem aber sehen die Veranstalter der LM. in ihr ein geeignetes Forum, die Zielsetzungen der kommunistischen Außen- u. Deutschlandpolitik zu propagieren und zu praktizieren. Diesen Zielsetzungen war auch die Ausgestaltung der Frühjahrs- und Herbstmesse 1965 als Jubiläumsmesse anläßlich des 800jährigen Bestehens Leipzigs untergeordnet. Auf der Frühjahrsmesse 1968 erklärte in Fortsetzung dieser Politik der stellvertretende Ministerratsvorsitzende Rauchfuß: „Auch hier zur Leipziger Messe können Sie sich davon überzeugen, daß die DDR als souveräner Staat auf stabilen Fundamenten ruht und sich kontinuierlich entwickelt … Mit Interesse verfolgt die Regierung der DDR, daß sich in den führenden Wirtschaftskreisen der kapitali[S. 373]stischen Industrieländer verstärkt die Einsicht durchsetzt, wonach die umfassende Gestaltung der ökonomischen Beziehungen zur DDR den Abschluß langfristiger staatlicher Abkommen und die Errichtung offizieller Handelsvertretungen in den Hauptstädten der Partnerländer erfordert.“
Zwar waren auf den letzten Messen die in früheren Jahren üblichen polemischen Ausfälle der mitteldeutschen Partei- und Regierungsfunktionäre gegen die BRD und die Repräsentanten der westdeutschen Öffentlichkeit weniger laut zu hören, und das gesamte Messeklima wurde von westlichen Beobachtern übereinstimmend als sachlicher bezeichnet, dennoch fehlte es zum Beispiel auch auf der Frühjahrsmesse 1963 nicht an politischen Nadelstichen und Diskriminierungsversuchen gegenüber Westberliner Firmen sowie Firmen aus dem übrigen Bundesgebiet. So durften z. B. zwei Automobilfirmen die von ihnen mitgebrachten Prospekte nicht verteilen, weil darin die Verkaufspreise der Waren genannt waren und damit ein Vergleich mit Kraftfahrzeugpreisen in Mitteldeutschland zuungunsten der „DDR“ ausfiel. Anderen Firmen wurden die ausgelegten Unterlagen versiegelt, weil darin von einem „deutschen Energieverbundnetz in Verbindung zum westlichen Ausland“ die Rede war, während nach Meinung der DDR-Kontrolleure die Bezeichnung „westdeutsches Verbundnetz“ hätte lauten müssen. Verteilungsverbot erhielten in Einzelfällen auch Prospekte, in denen die West-Berliner Firmen in alphabetischer Reihenfolge neben den übrigen Firmen aus dem Bundesgebiet, z. B. aus Köln, Hamburg und München, aufgeführt waren. Geradezu grotesk war es, daß die Druckschriften einer West-Berliner Firma aus der Schlesischen Straße für die Verteilung gesperrt wurden, weil, wie die DDR-Zollbehörden meinten, Schlesien heute nicht mehr existiere.
Hinzu kommt, daß die Messestände der rd. 1.200 deutschen Firmen nur von wenigen Funktionären besucht wurden, die wirtschaftlichen und technischen Fachleute auf der östlichen Seite offensichtlich jedoch am Besuch gehindert wurden. So mußte bei einer Reihe von Firmen der Gedanke auftauchen, zukünftig auf die Errichtung aufwendiger Repräsentationsstände zu verzichten und sich, ähnlich wie Firmen des westlichen Auslands, mit einem Gemeinschaftsstand zu begnügen.
Die Organisationsleitung der LM. liegt in den Händen des Leipziger Messeamtes, das an die Weisungen der Kammer für Außenhandel bzw. des Ministeriums für Außenhandel und Innerdeutschen Handel gebunden ist und Außenstellen im Ausland sowie in der BRD unterhält. Aufgabe der Außenstellen ist nicht nur Werbung und Verkauf von Messeausweisen. Sie stellen auch Stützpunkte für die Ausweitung wirtschaftlicher und politischer Beziehungen dar. Bürger der BRD erhalten Messeausweise bei den Vertragsreisebüros der „DDR“ in der BRD sowie an den Kontrollpunkten bei der Anreise nach Leipzig. Hin- und Rückfahrt müssen über denselben Passierpunkt führen, andernfalls ist ein Antrag beim Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten erforderlich.
Nach wie vor besteht für Messebesucher aus der BRD ein Mindestgeldumtauschzwang von täglich 25,– DM West, der nur bei Vorzeigen von „Voucher“ entfällt, das sind Hotel- und Reisegutscheine, die bereits in Westmark bei den Vertragsreisebüros in der BRD bezahlt werden müssen und so zur Erhöhung des Westmarkbestandes beitragen.
Für die West-Berliner Bevölkerung wurde erstmalig zur Frühjahrsmesse 1968 die Ausgabe von Messeausweisen von dem Nachweis eines besonderen wirtschaftlichen Interesses abhängig gemacht und damit die Zahl der nach Leipzig fahrenden West-Berliner drastisch reduziert.
Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 372–373