
Militärpolitik (1969)
1. Getarnte Anfänge
Das Potsdamer Abkommen sah auch für die „DDR“ eine völlige und dauernde Entwaffnung vor. Doch die SU und später in ihrem Auftrage die deutschen kommun. Machthaber in der Zone betrieben eine sehr wirksame Wiederbewaffnung und eine M., indem sie militärische und militärähnliche (paramilitärische) Verbände aufstellten und weite Bereiche des öffentlichen und politischen Lebens in den Dienst der Wiederbewaffnung stellten. — Schon vor Mitte 1948 traf die SU insgeheim einige Vorkehrungen für ihre M.: 1. Sie gab die (seit Aug. 1946 im Gegensatz zu den Polizeien der westlichen Besatzungszonen zentralisierte) nichtmilitärische Volkspolizei schon 1945 in die Hand der SED, um zuverlässige Führungskräfte und [S. 412]Mannschaften für die künftige Armee zu sammeln (Deutsche Volkspolizei); 2. sie baute seit 1. 12. 1946 eine militärähnliche kasernierte Grenzpolizei auf, die bis Mitte 1948 auf 9.100 Mann anwuchs, während in den westlichen Besatzungszonen an derartiges noch nicht zu denken war; 3. sie sammelte unter den deutschen Kriegsgefangenen in der SU Kräfte für die geplante Armee des SED-Regimes.
Seit dem 3. 7. 1948 ließ die SU militärische Einheiten, die Kasernierte Volkspolizei (KVP), aufbauen. Sie sollten angeblich nur polizeiliche Bereitschaftsverbände sein, wuchsen aber schon bis Anfang 1951 zu einer einsatzfähigen Armee von rd. 65.000 Mann an, die 24. verstärkte, mit Artillerie und Panzern versehene Regimenter und zahlreiche Ausbildungs- und Sondereinheiten umfaßte. Seit Jan. 1952 wurden aus diesen Regimentern (die bis Jan. 1951 Bereitschaften, danach VP-Dienststellen hießen) 6 motorisierte Divisionen zusammengestellt. Die Errichtung von Seestreitkräften der KVP begann Mitte 1950, die Vorbereitung einer Luftwaffe im März 1951. Seit Mitte 1951 arbeitete geheim unter Willi ➝Stoph eine Stelle zur Organisierung einer Rüstungsindustrie, seit Okt. 1951 unter der Bezeichnung „Büro für Wirtschaftsfragen“. Die Grenzpolizei war am 1. 3. 1951 etwa 17.000 Mann stark; die Transportpolizei war von 1946 bis 1951 auf rd. 8.000 Mann angewachsen; und die seit Frühjahr 1950 aufgestellten Wachverbände des Ministeriums für Staatssicherheit umfaßten 1951 mindestens rd. 6.000 Mann. Diese drei Verbände mit zus. rd. 31.000 Mann waren schon 1951 militärähnliche Polizeitruppen. — Die als „Volkspolizei“ getarnte Armee wurde bis Frühjahr 1952 überwiegend aus Freiwilligen gebildet, die meist glaubten, einer bloßen Polizei beizutreten. Der Dienst in dieser „Volkspolizei“ war um so anziehender, als sie weit besser verpflegt wurde als sehr große Teile der Bevölkerung und eine beträchtliche Löhnung erhielt.
Grundlegend und bezeichnend für die Armee und die Polizeitruppen ist die politische Überwachung und Anleitung durch die Politorganisationen der SED in den bewaffneten Kräften (Politverwaltung, Politschulung). Sie will Offiziere und Mannschaften zu dem Bewußtsein erziehen, sie seien wichtige Werkzeuge und Vorkämpfer der SED, als Vorhut der Arbeiterklasse, und der „antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ (später, seit April 1954, der „Arbeiter-und-Bauern-Macht“). — Von großer Bedeutung ist auch die scharfe Überwachung durch jene Organe und Spitzel des Ministeriums für Staatssicherheit, die innerhalb der Verbände eingesetzt sind. — In der Armee und bei den Polizeitruppen war (und ist bei den Spitzenstäben noch heute) eine dritte Kontrollorganisation tätig, die zugleich anleitend wirkt: die sowjet. Berater für die militärische Ausbildung und Führung der Truppen. Ihre Tätigkeit beweist, daß die bewaffneten Kräfte des SED-Regimes von Anfang an sich eng an die Sowjetarmee anlehnen.
In den ersten Jahren wurden die Maßnahmen im Bereich der M. völlig geheimgehalten. Diese Abschirmung wurde dadurch verstärkt, daß die SED behauptete, das von ihr geleitete antifaschistisch-demokratische System lehne eine Bewaffnung völlig ab. Deshalb fehlte in dem (bis zum 5. 4. 1954 geltenden) II. Parteistatut der SED vom 24. 7. 1950 jeder Hinweis auf eine Verteidigungspflicht der Mitglieder. Ebenso verwarf Walter ➝Ulbricht, als er am 9. 5. 1951 als 1. Stellv. des Ministerpräsidenten vor der Volkskammer sprach, jede Rüstung. Er sagte: „Wozu brauchen wir in Deutschland ein Heer, wo wir unsere ganze Kraft benötigen, um unsere deutsche Heimat wiederaufzubauen, und wo es in Europa niemanden gibt, der die Absicht hat, die Beziehungen mit einem friedliebenden Deutschland zu stören?“ Und Ministerpräsident Grotewohl erklärte am 11. 8. 1951: „Die Volkspolizei der DDR hat keinen militärischen Charakter … Sie hat die Aufgabe, den friedlichen Aufbau der DDR gegen Saboteure, Spione und Diversanten zu schützen.“ Wider besseres Wissen stellte er die KVP als nicht-militärische Einrichtung hin.
2. „Nationale Streitkräfte“ (1952--1955)
Seit Mai 1952 bezeichnete die SED „nationale Streitkräfte“ als notwendig und betrieb ihre Wiederaufrüstung ziemlich offen. Dies hatte vor allem folgende Gründe: 1. Auf die Dauer ließ sich die Armee nicht verheimlichen; 2. die SU hatte am 10. 3. 1952 einem nach ihren Wünschen neutralisierten, wiedervereinigten und „demokratisierten“ (d.h. auf kaltem Wege kommunist. gewordenen) Deutschland „eigene nationale. Streitkräfte“ in Aussicht gestellt; 3. die Armee sollte offen zur [S. 413]Stärkung der Staatsgewalt der „DDR“ beitragen, die von der 2. Parteikonferenz der SED (am 12. 7. 1952) zum „Hauptinstrument bei der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus“ erklärt wurde.
Die Regierung der „DDR“ gab das Vorhandensein ihrer Streitkräfte unter Vorwänden bekannt. Sie stellte die Verteidigungsbemühungen der Westmächte gegen die Übermacht der sowjet. Rüstung als „imperialistische Kriegstreibereien“ hin (W. Pieck am 1. 5. 1952) und bezeichnete die immer wieder diskutierte und aufgeschobene Verteidigungsplanung der unbewaffneten BRD als „wiedererstehenden Militarismus in Westdeutschland“ (Ulbricht am 3. 5. 1952). Ulbricht forderte „den bewaffneten Schutz der DDR“. Außenminister Georg Dertinger teilte am 8. 5. 1952 die bevorstehende Errichtung „nationaler Streitkräfte“ mit. — Die SED mußte die Forderung nach einer „nationalen“ Armee im Bereiche des FDGB und auch der FDJ mit Friedenskampf-Losungen bemänteln. Diese Propaganda bewog am 30. 5. 1952 das IV. Parlament der FDJ, in Art. 4 der FDJ-Satzung den Dienst in der Armee zu fordern: „Der Dienst in der Deutschen Volkspolizei ist für die Mitglieder der FDJ Ehrendienst.“
Am 1. 7. 1952 erhielten die milit. Bereitschaften der DVP (d.h. die Armee), die von der „Hauptverw. Ausbildung“ des Innenministeriums geleitet wurden, die Bezeichnung „Kasernierte Volkspolizei“ (KVP). Der Name „Nationale Streitkräfte“ wurde nur gelegentlich gebraucht.
Die 2. Parteikonferenz der SED, welche die bisher „antifaschistisch-demokratische DDR“ in eine Volksdemokratie umwandelte und den raschen Übergang zum Sozialismus beschloß, legte auch die Rolle der Streitkräfte beim angedrohten Einwirken auf Westdeutschland fest. In Ulbrichts Referat hieß es: „Die nationalen Streitkräfte werden die Armee des vom Imperialismus befreiten Volkes in der DDR sein … ein Werkzeug zur weiteren Stärkung der volksdemokratischen Grundlagen unserer staatlichen Ordnung … Sie werden erfüllt sein vom Willen zur Wiederherstellung der Einheit unseres Vaterlandes. Die nationalen Streitkräfte werden sich brüderlich verbunden fühlen mit allen patriotischen Kräften Westdeutschlands.“ Bezeichnenderweise hatte Ulbricht vorher in seinem Referat erklärt: „Die Schaffung nationaler Streitkräfte wird der Volksbewegung in Westdeutschland einen stärkeren Rückhalt und Mut in ihrem Kampf für den Sturz der Bonner Vasallenregierung geben“ (Neue Welt 1952, Nr. 15, S. 1810 u. 1925). — Von den „nationalen“ Losungen ihrer M. versprach sich die SED starke Wirkungen auf breite mittelständische Volksteile, auf ehemalige Soldaten und vormalige Nationalsozialisten in Mitteldeutschland und in der Bundesrepublik. Deshalb wurde auch die Nationaldemokratische Partei (NDPD) stark für die Militärpropaganda eingespannt.
Um die Vergrößerung der Armee zu erreichen, mußten Regierung und SED immer stärker zu Zwangseinziehungen greifen (Wehrpflicht), die z. B. als Parteiauftrag oder Verbandsauftrag (der FDJ) getarnt wurden. — Schon am 1. 9. 1952 kam es zur Aufstellung des ersten, 3 Divisionen umfassenden Armeekorps, dem bald ein zweites folgte. Ende 1952 war die KVP (mit Luft und See) etwa 110.000 Mann stark. Vorwiegend als Armeeministerium diente nach wie vor das Ministerium des Inneren (MdI). Doch die Bildung eines Staatssekretariats für Innere Angelegenheiten im MdI (am 19. 2. 1953) zeigte, daß die innere Verwaltung nur eine Seite des MdI ausmachte.
Neben die Armee, die auch ihre See- und Luftstreitkräfte ausbaute, traten seit Mitte 1951 zwei militärähnliche Milizen: 1. die der vormilitärischen Ausbildung dienende Gesellschaft für Sport und Technik (GST); 2. die Kampfgruppen (KG) der SED. Bis zum 7. 8. 1952, an dem der Ministerrat die GST gründete, lag die vormilitärische Ausbildung bei der FDJ. Diese Ausbildung wurde der FDJ entzogen, da sie auf diesem Gebiet organisatorisch versagt hatte — und da ihre Mitglieder sich noch allzusehr in pazifistischen Vorstellungen bewegten. — Militärisch gewichtig waren wie bisher die Polizeitruppen: 1. die Grenzpolizei, die seit Mai 1952 nicht (mehr dem Innen-, sondern dem Staatssicherheitsministerium (MfS) unterstand; 2. die Transportpolizei, seit Jan. 1953 ebenfalls dem MfS untergeordnet; 3. die Wachverbände des MfS.
Während des Juni-Aufstandes 1953 gingen Teile der allgem. Volkspolizei (DVP) [S. 414]zu den revolutionären Kräften des Volkes über, doch die Wacheinheiten des MfS ließen sich von der sowjet. Besatzungsmacht, die das SED-Regime rettete, überall bedenkenlos neben den Sowjettruppen gegen das Volk einsetzen. Die Zuverlässigkeit der Armee (KVP), auf deren Einsatz die SU vorsichtshalber nur in äußersten Notfällen zurückgriff, wurde damals nicht ernstlich erprobt.
Die Erfahrungen mit der Volkspolizei (DVP) und der GST sowie die Ungewißheit darüber, wie sich die KVP im Ernstfälle bewähren würde, bewogen die Regierung zu ständiger Prüfung und Härtung der KVP in politischer und militärischer Beziehung. Ferner wurden 1. die DVP überprüft; 2. kasernierte Bereitschaftskommandos der DVP (unabhängig von den Wacheinheiten der Staatssicherheit aufgestellt; 3. bei Wiederbelebung der GST deren politische Schulung mindestens so stark betrieben wie die militärische; 4. neue KG der SED dort errichtet, wo es gegen den stillen Widerstand vieler Industriearbeiter und Behördenangestellten am ehesten möglich war. Noch rücksichtsloser als vor dem 17. Juni 1953 wurde die KVP nach Beendigung des „Neuen Kurses“ zu einer bewußt politischen Armee entwickelt und entsprechend geschult. Die KVP und die SED warben nicht nur mit sozialistischklassenkämpferischen, sondern auch mit „nationalen“ Losungen, aber das allgemeine Mißtrauen der Bevölkerung, vor allem der Jugend, konnte sie nicht überwinden. Nur eine Minderheit ließ sich für den Dienst in der KVP begeistern. Da die SED die Politschulung der KVP lenkte, versuchte sie, diese Minderheit zu ihrem zuverlässigen Werkzeug zu erziehen. Die SED konnte es nicht wagen, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen, obgleich diese zu den grundsätzlichen Forderungen der marxistisch-leninistischen M. gehört.
Der IV. Parteitag der SED machte (am 5. 4. 1954) im neuen Statut (9. Abs. der Einl.) die „aktive Verteidigung der Heimat, des Staates der Arbeiter und Bauern“ verbindlich. Bei seiner Satzungsänderung am 18. 6. 1955 machte es der FDGB (in Teil 1, § 3) seinen Mitgliedern zur Pflicht, „die DDR und ihre Errungenschaften zu verteidigen“, d.h. in der Armee zu dienen. Auch der Sport wurde für die Militarisierung eingespannt: Manfred ➝Ewald, der Vors. des Staatl. Komitees für Körperkultur und Sport, vertrat, auf der III. Sportkonferenz (25. 11. 1955) die Forderung, den Massensport für die vormilitärische Erziehung einzusetzen. (Sport)
Die Propaganda für die M. stieß immer wieder auf Widerstand in der Bevölkerung. Deshalb erachtete es z. B. Innenminister Stoph, Chef der KVP, am 14. 4. 1954 für „erforderlich, den Ungeist des Pazifismus … entschieden zu bekämpfen“. — Auf der gleichen Linie lag die Verfassungsergänzung, die die Volkskammer am 26. 9. 1955 beschlossen hatte. Sie erhob den Verteidigungsdienst zur „nationalen Ehrenpflicht der Bürger der DDR“ und führte damit grundsätzlich die Wehrpflicht ein, auch wenn diese vorläufig noch nicht ausdrücklich und allgemein durchgesetzt wurde.
2. Nationale Volksarmee (1956--1961)
Bereits die KVP wurde mit dem Anspruch erzogen, sie sei die eigentliche deutsche Armee, welche die Zuversicht der „demokratischen“ Kräfte auch Westdeutschlands stärke. Seit dem 18. 1. 1956, seit der Umbenennung der KVP in Nationale Volksarmee (NVA) wird dieser Anspruch noch stärker betont. Sie soll „den Interessen des ganzen deutschen Volkes dienen … auf der Wacht für die Sicherung des Friedens“, so erklärte Stoph am 18. 1. 1956, als er die Errichtung des Ministeriums für Nationale Verteidigung ankündigte. Sie soll ein Machtinstrument werden, das entscheidend an der geplanten „demokratischen“ Entwicklung auch der BRD mitwirkt. „Die Arbeiterklasse Deutschlands“, so sagte Stoph am 12. 6. 1957, „verfügt in Gestalt der NVA über eine reguläre, den Anforderungen eines modernen Krieges entsprechende Armee.“
Vor diesem Hintergrund muß die gesamte M. der SED und der von ihr gelenkten „DDR“ gesehen werden, vor allem aber das Dringen auf wirksame Politschulung, Disziplin und militärische Schlagkraft aller bewaffneten Kräfte einschließlich der KG und GST. Die ständige Überwachung der Armee und der anderen Kräfte wird dabei seit 1956 nicht vermindert, denn der Widerspruch zwischen den demokratisch und national klingenden Losungen der „DDR“ einerseits und der Wirklichkeit dieses Gebildes andererseits ist zu groß. Da die Umbenennung der KVP in NVA nicht die allgemeine Wehrpflicht brachte, war die M. des Regimes auch weiterhin [S. 415]auf die Jugend angewiesen. Deshalb verlangte das Statut der FDJ vom 27. 5. 1955 den Einsatz der Mitglieder in der vormilitärischen Erziehung und den Wehrdienst in jeder Form. Das Statut der FDJ vom 15. 5. 1959 forderte dies noch nachdrücklicher (§ 1,11. Abs.).
Das SED-Regime sucht den Eindruck zu erwecken, mit der Proklamierung der NVA am 18. 1. 1956 habe die Aufstellung der Armee im wesentlichen erst begonnen. Diese Behauptung wird vor allem durch zwei Umstände widerlegt: 1. Hätte die KVP Ende 1955 nur eine Organisation von kasernierten Polizeibereitschaften im üblichen Wortsinne dargestellt, so hätte eine Armee von der Stärke und Güte der NVA in so kurzer Zeit nie aufgestellt werden können; 2. Der Aufsatz „Zur Aufstellung … der NVA“ (Teil I.), den Karl Greese und andere in der im „Deutschen Militärverlag“ erscheinenden „Zeitschrift für Militärgeschichte“ (1967, Nr. 3) veröffentlichten, enthielt folgendes Eingeständnis: Seit 1952 wurde die KVP „immer stärker auch zu einem möglichen Grundstock für nationale Streitkräfte der DDR entwickelt. So stellten die Bereitschaften der KVP ein geeignetes Reservoir dar, auf das sich die Armeeführung bei der Aufstellung von Verbänden der Landstreitkräfte stützen konnte. Vor allem bestand eine große Leistung der KVP darin, die Grundlagen für ein neues, dem Arbeiter-und-Bauern-Staat treu ergebenes Offizierkorps geschaffen zu haben“ (S. 275).
Obwohl K. Greese dort wieder die Ansicht vertrat, es hätten „die ehemaligen KVP-Bereitschaften nicht einfach in Divisionen der NVA umbenannt werden“ können, fuhr er doch fort: „Andererseits wären aber auch die bei der Aufstellung gesteckten Ziele nicht real gewesen, wenn nicht auf die Kräfte und Mittel einer einsatzbereiten und gut ausgebildeten Polizeitruppe hätte zurückgegriffen werden können.“
Die Sorge des Regimes galt nicht nur der NVA. Denn einerseits brachte die Militärpropaganda der NVA nur wenig Rekruten, und andererseits hätte eine starke Entfaltung dieser regulären Armee in der nichtkommun. Welt propagandistisch ungünstig gewirkt. Deshalb wurden neben der NVA die 4 Polizeitruppen ausgebaut. Die Grenzpolizei kam Anfang 1956 auf etwa 34.000 Mann; die Transportpolizei auf rund 9.000; die militärähnlichen Bereitschaftskommandos der Volkspolizei zählten rund 13.000; die aus den Wacheinheiten der Staatssicherheit entstandenen „Inneren Truppen“ etwa 15.000 Mann. Auch die KG fielen seit Mitte 1955, seit der teilweisen Ausstattung mit mittelschweren Infanteriewaffen nicht nur politisch, sondern auch militärisch ins Gewicht; und die GST entlastete die NVA nicht unbeträchtlich. — Die Unterbringung großer Teile des Ministeriums für Nationale Verteidigung und beträchtlicher Wacheinheiten in Ostberlin verletzt wie schon vor 1956 den Viermächte-Status Berlins. Dies gilt auch von den häufigen bewaffneten Aufmärschen und Paraden, nicht zuletzt der KG. (Hinzu kommt, daß seit 23. 8. 1962 die in Ostberlin stehende 1. Grenzbrigade zur NVA gehört.)
Die NVA trägt von Anfang an nicht mehr eine der Sowjetuniform ähnliche Uniform, sondern wieder die feldgraue deutsche des Ersten und Zweiten Weltkrieges, aber die Sowjetarmee wird den Soldaten der NVA ständig als Vorbild vorgehalten. Unter Berufung auf den Marxismus-Leninismus soll die NVA zu einem zuverlässigen Teil der Streitkräfte des von der SU geführten sozialistischen Lagers erzogen werden. Diese enge Bindung an die SU wird dadurch verstärkt, daß die NVA seit 28. 1. 1956 dem Vereinten Oberkommando des Warschauer Beistandspaktes untersteht. Nach Umbenennung der KVP in NVA wurde ihre Bewaffnung modernisiert und verstärkt. Im Frühjahr 1957 wurde eine Flugabwehr (Fla)-Div. errichtet. Die Polizeitruppen wurden am 15. 2. 1957 dem MfS entzogen, dem MdI unterstellt und umgegliedert: Die Bereitschaftspolizei (vordem „Innere Truppen“) wurde von Mai bis Okt. 1957 auf 10 mot. Bereitschaften (= Regimenter) und 1 Lehrbereitsch. gebracht, nachdem sie die kasern. Bereitschaften der allgem. Vopo (außer in Ostberlin) übernommen hatte. Im Herbst 1957 wurde die Grenzpolizei in Abt. (= Btl.), in Bereitschaften (= Rgt.) und Abschnitte, bald als Brigaden (= Div.) bezeichnet, organisiert.
Seit 1956 verstärkte die SED ihre Anstrengungen, aus der Armee (wie auch den Polizeitruppen und Milizen) eine streng kommun. Streitmacht zu machen. Dies vergrößerte die Spannungen in der Armee. Seit Mitte 1956 verschärften sich die Unstimmigkeiten zwischen den Offizieren, die mehr militärisch als parteipolitisch den[S. 416]ken, und jenen, die völlig von der kommun. Schulung beeinflußt sind. Fast alle Offiziere, die aus der Deutschen Wehrmacht stammen und die KVP mitaufgebaut haben, wurden seit 1957 aus Kommandostellen entfernt, nicht wenige entlassen. — Stark blieb bei freiheitlich denkenden Soldaten und Offizieren der Unwille über das polit. System und die M. der SED. Die nicht geringe Zahl von Angehörigen der NVA und der Polizeitruppen, die die Flucht wagen, zeugt davon. — All diesen Spannungen und Widerständen sucht das Regime mit allen Mitteln zu begegnen, auch durch den Aufbau eines politisch zuverlässigen Reserveoffizierskorps. Die Furcht vor dem Emporkommen eines Offizierkorps, das sich von soldatischen Ehrbegriffen, Korpsgeist und nichtkommun, gesamtdeutschem Nationalbewußtsein leiten lassen könnte, bewog die SED dazu, im Juni 1960 die Auflösung der Kadettenschule zu veranlassen.
Die starke Entfaltung der KG wird darin sichtbar, daß im März 1958 ihre Durchgliederung in Bataillone bekannt wird, über denen Unterstäbe, Kreisstäbe und Bezirksstäbe stehen. — Im Frühjahr 1958 wird erkennbar, daß die Ausbildung der NVA, die nun chemische Kompanien erhält, den Bedingungen eines Atomkrieges angepaßt wird. Dies zeigt ebenso wie die ständige Verbesserung ihrer Bewaffnung, daß die NVA für ernsten Kriegseinsatz vorbereitet wird. Etwa im Nov. 1958 wurde die 6. mot. Schützen-Div. aufgelöst. Doch wurde dies durch Aufstellung von 3 Ausbildungs-Regimentern und Verstärkung der Feuerkraft der NVA ausgeglichen. Seit 1958 finden weit öfter und stärker als vorher Lehrgänge für Reserveoffiziere, Unterführer und Reservisten der NVA statt. Ein Viertel der „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ (so bezeichnet seit Juni 1959) wurde seit Herbst 1959 in mot. schwere „Bataillone“ der Bezirksreserve“ umgebildet, während die übrigen drei Viertel leichte Btl. blieben. Damit wurde der Einsatz dieser territorialen Miliz weit über die jeweiligen Kreisgebiete hinaus möglich.
Die M. erhielt am 10. 2. 1960 mit der Gründung des Nationalen Verteidigungsrates eine zentrale fachliche Leitung im staatlichen Bereich.
4. Errichtung der Mauer --- erste Jahre unter der Wehrpflicht (1961--1965)
Die Errichtung der Mauer und der Sperren um den Westteil Berlins und die Befestigung der Demarkationslinie zwischen „DDR“ und BRD am 13. 8. 1961 war ein Probefall für die M. des SED-Regimes. Die bewaffneten Verbände, die die Sperrmauer erzwangen, hatten als 2. Linie hinter sich die sowjet. Besatzungstruppen. Und sie richteten ihre Waffen gegen die eigene Bevölkerung. Doch die SED bemäntelte diese Gewalttat mit der Behauptung, die Bundesregierung wolle die „DDR“ angreifen.
Mit der Mauer versperrte das Regime nicht nur die Flucht unentbehrlicher Arbeitskräfte und Jugendlicher, sondern auch Wehrpflichtiger. Wichtige Schritte der M. folgten: Am 15. 9. 1961 wurde die Grenzpolizei als „Kommando Grenze“ in die NVA eingegliedert, etwa 46.000 Mann stark. Damit wurde sie völlig militarisiert. Das am 20. 9. 1961 von der Volkskammer beschlossene Verteidigungsgesetz verstärkte die Militarisierung.
Da das SED-Regime noch immer die formelle Einführung der Wehrpflicht scheute, betrieb es seit dem 17. 8. eine Massenaushebung Wehrfähiger. Sie wurde als Freiwilligenwerbung im Rahmen eines „Kampfauftrages“ der FDJ getarnt. Die etwa 75.000 Mann, welche die FDJ der NVA zuführte, wurden mit allen Mitteln der Propaganda (gegen einen angeblich drohenden Angriff des Westens), der Einschüchterung am Arbeitsplatz und des „freiwilligen“ Zwanges zusammengebracht. — Die zielbewußte Stärkung der NVA führte dazu, daß die Fla-Div. 1961 Fla-Raketen erhielt und von 3 auf 5 Rgt. anwuchs.
West-Berlin wurde ab 13. 8. 1961 nicht von Grenztruppen der NVA abgesperrt, sondern von 2 „Grenzbrigaden (B)“ der Bereitschaftspolizei, die ab Juni 1961 aus Kräften der Bereitschaftspolizei wie auch der damaligen Grenzpolizei gebildet worden waren. Erst am 23. 8. 1962, als die sowjet. Kommandantur in Ostberlin durch eine solche der NVA ersetzt wurde, traten diese 2 Brigaden zum Kdo Grenze der NVA. — Wahrscheinlich wegen Rekrutenmangels wurde die Bereitschaftspolizei im Sommer 1962 von 33 Btl. auf 21 Bereitschaften neuer Ordnung (= Btl.) vermindert. Dabei wurden die 3 mot. Btl. des Präsidiums der VP Berlin (Ost) von der Bereit[S. 417]schaftspolizei übernommen. — Dies wurde durch Aufstellung weiterer „schwerer Btl.“ der KG ausgeglichen. Von Ende 1961 bis Mitte 1962 wurden die „schweren“ Abt. (= Btl. mit Granatwerfern, Pak und Panzern) der Grenzbrigaden aufgelöst. Jeder Brig.-Stab verfügt nun über eine Reihe von Komp. und Zügen (vor allem Inf. auf SPW, Pioniere, Nachrichten, Kraftfahrzeuginstandsetzung).
Die milit. Verzahnung des SED-Regimes mit der Militärmacht des Warschauer Beistandspaktes wurde deutlich, als im Herbst 1961 in Westböhmen und im Erzgebirge (Bez. Chemnitz) erstmals gemeinsame Manöver des Paktes stattfanden. Einige Verbände der NVA nahmen an dieser streng geheimgehaltenen kriegsmäßigen Übung teil, neben Truppen der SU, Polens und der Tschechoslowakei.
Die allgemeine Wehrpflicht, die der Sache nach schon weitgehend bestanden hatte, wurde mit Gesetz vom 24. 1. 1962 formell eingeführt. Der seit 24. 1. 1962 geltende neue Fahneneid betont auch die Bindung an die Sowjetarmee und die Warschauer Pakt-Armeen. — Auch nach Einführung der Wehrpflicht werden Polizeitruppen, KG und GST sehr sorgfältig geschult und in militärischer Beziehung verbessert. Als eine Ergänzung der KG und der GST wurden auch nach dem Sept. 1961 die FDJ-Ordnungsgruppen beibehalten und ausgebaut. — Die zielbewußte M. der SED hat der Armee und den Polizeitruppen eine beträchtliche Kampfkraft gegeben. Dies gilt auch von großen Teilen der KG und der GST.
Ein wichtiges Mittel der M. ist gerade seit dem August 1961 die Militärpropaganda: die unaufhörliche Durchdringung der Bevölkerung mit den Wehrauffassungen des Marxismus-Leninismus (Militarismus, Patriotismus). Mit der allgemeinen Militärpropaganda wird eine lebhafte militärpolitische Agitation gegen die Bundeswehr verbunden. Bei dieser Agitation bedienen sich die SED und das Regime der Behauptung, die Bundesregierung wolle Mitteldeutschland gewaltsam in Besitz nehmen. — Die SED und die Regierung versuchen mehr denn je, die Bevölkerung der „DDR“, vor allem die Jugend, in eine Haß- und Angriffsstimmung gegen die demokratischen Kräfte der BRD und die von ihnen getragene freiheitliche Ordnung zu bringen.
Die Bewaffnung und die Schlagkraft der NVA wurden verbessert. Seit Mitte des Jahres 1964 hat die Artillerie des Heeres Raketen-Abschußgestelle, von denen auch Raketen mit Atomsprengköpfen abgefeuert werden können. Zu erwähnen ist auch die Ausstattung der Flugabwehr (Fla) mit Fla-Raketen, die 1962 begonnen hatte, nun aber vermehrt wurde. Auch die Panzerbewaffnung wurde modernisiert. Damit gewann die NVA für die SU bzw. das sowjet. Oberkommando der Streitmacht des Warschauer Beistandspaktes noch an Bedeutung.
Seit 1964 hat die NVA auch Luftlandetruppen, mehrere Inf.-Bataillone des Heeres werden zusätzlich als Fallschirmjäger ausgebildet. Die Truppenluftabwehr wurde (wie es im „Neuen Deutschland“ vom 20. 11. 1965 hieß) zu „einer neuen Waffengattung, die ebenso wie die Truppen der Luftverteidigung des Landes mit treffsicheren Fliegerabwehrraketen ausgerüstet sind“. Jene Grenzbrigaden der NVA, die 1961 ihre „schweren Abt.“ verloren hatten, erhielten sie bis etwa 1964 wieder.
Die milit. Einsatzfähigkeit der NVA wurde in mehreren Manövern bewiesen, die sie gemeinsam mit Truppen der SU, Polens und der Tschochoslowakei abhielt. Unter völligem Ausschluß der Öffentlichkeit fand im Herbst 1962 eine Landeübung an der pommerschen Küste statt. Im Sept. 1963 hielten in den Gebieten um Dresden 40.000 Mann das Manöver „Quartett“ ab. Im April 1964 riegelten rund 45.000 Mann (der Sowjetarmee und der NVA) West-Berlin manövermäßig von der BRD ab, als Geste gegen die völlig rechtmäßige Sitzung des Bundestages in West-Berlin. Als machtpolitische Drohung gegen den Westen wurde im Okt. 1965 mit fast 60.000 Mann das große Manöver „Oktobersturm“ in Nordwestthüringen veranstaltet. Polnische Luftlandetruppen wurden mitsamt schweren Panzern von Krakau aus im Manövergebiet abgesetzt; Atomschläge wurden (als gedachte Kampfhandlungen) miteinbezogen.
Nach Angaben der Presse der „DDR“ (z. B. des „Neuen Deutschland“ vom 22. 10. 1965) arbeitete die Manöverplanung mit der Annahme, die „rote“ Armee werde unterstützt durch „kampfentschlossene Arbeiter, demokratische Kräfte und Gewerkschafter Westdeutschlands“. Diese Patrioten in der BRD förderten, so wurde [S. 418]angedeutet, als Spione, Saboteure und bewaffnete Untergrundkämpfer die gerechte nationale Sache der NVA. Anläßlich dieses Manövers wies die NVA darauf hin, daß sie zur „ersten strategischen Staffel der sozialistischen Militärkoalition“ (d.h. zur 1. Welle der Streitmacht des Warschauer Paktes) gehört („Neues Deutschland“ vom 20. 11. 1965, Beil.). Dort wurde auch betont: „In allen Teilstreitkräften unserer Armee wurden Raketenwaffen eingeführt.“ Der Hinweis, daß über atomare „strategische Raketentruppen … die Sowjetunion“ allein verfüge, vermag nicht den Tatbestand zu verbergen, daß die NVA für den Atomkrieg ausgebildet wird.
Die Rolle der NVA in der Deutschlandpolitik der SED zeigte der Aufsatz, den Oberst Hajo Herbell zu Beginn des Manövers „Oktobersturm“ veröffentlichte („Neues Deutschland“ vom 20. 10. 1965). Er behauptete, daß „nur eine deutsche Armee wahrhaft national ist: … die NVA“. Er beteuerte, „daß der militärische Auftrag der Nationalen Volksarmee dem Bestand und der Zukunft des deutschen Volkes dient, der Wiedergeburt Deutschlands als eines einheitlichen sozialistischen Nationalstaates“.
5. Verstärkte Politisierung und Bindung an den Warschauer Beistandspakt (1966)
Im Jahre 1966 begann die Einführung des neuen Kampfpanzers T 55, der den älteren T 34/85 ablösen bzw. neben den T 54 treten soll. Neue Raketen, Geschoßwerfer (= Mehrfach-Raketenwerfer) und Panzer-Abwehr-Lenkraketen wurden der Truppe zugeführt. Die Luftstreitkräfte erhielten weitere Jagdflugzeuge neuerer Typen, MiG 21.
Die militärähnlichen „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ (KG), die politisch-schulungsmäßig von der SED und militärisch-ausbildungsmäßig vom Ministerium der HVDVP des Ministeriums des Innern geleitet werden, fallen nun auch militärisch immer stärker ins Gewicht. Den Kern dieser Miliz bilden motorisierte Bataillone mit mittelschweren Infanteriebegleitwaffen. Als „KG-Bataillone der Bezirksreserve“ unterstehen sie jeweils dem Einsatzstab der zuständigen Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei (BDVP) bzw. in Ostberlin dem des Präsidiums der VP. Im Jahre 1966 stieg ihre Zahl auf 130, zu denen mehrere noch nicht vollständig aufgebaute Bataillone kamen.
Auch unter den erleichterten Rekrutierungsmöglichkeiten der Wehrpflicht betrieben die SED und die zuständigen Organe des Staatsapparates eine planmäßige Militärpropaganda in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, vor allem in Presse, Rundfunk und Fernsehen. Der Leitgedanke dieser militärpolitischen Bewußtseinsbildung wurde am 1. 3. 1966 klar ausgesprochen. An diesem Tage, der (statt des 18. Januar) als 10. Jahrestag der Umbenennung der KVP in die NVA gefeiert wurde, hieß es in dem Gruß des ZK und des Staatsrates an die NVA: „Die Nationale Volksarmee hat in den vergangenen 10 Jahren ihre vaterländische Pflicht ehrenvoll erfüllt. In historisch kurzer Frist wurde unsere Armee ein schlagkräftiges, modernes Machtinstrument des ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates, das von unseren sozialistischen Waffenbrüdern, den Völkern der sozialistischen Gemeinschaft und auch von den patriotischen Kräften Westdeutschlands als zuverlässiger Verbündeter geachtet und von den Feinden des Volkes gefürchtet und gehaßt wird“ („Neues Deutschland“ vom 1. 3. 1966).
Ähnlich schloß Verteidigungsminister Hoffmann seinen Tagesbefehl zum 1. 3. 1966: „Erweisen Sie sich in Ihrem Handeln stets der hohen Ehre würdig, Soldat der ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Armee zu sein. Dienen Sie unserem Volk, der gerechten Sache des Sozialismus, des Friedens und der deutschen Nation auch in Zukunft so treu und hingebungsvoll wie in der Vergangenheit, damit die Deutsche Demokratische Republik ihre historische Mission in Ehren erfüllen kann“ („Volksarmee“ 1966, Nr. 9).
Auf dieser propagandistischen Linie, die vor allem gegen die Bundesrepublik gerichtet ist, erklärte Hoffmann Anfang November auf einer Tagung von Kommandeuren und Politoffizieren der NVA u.a.: „Alle Armeeangehörigen müssen begreifen, daß sie mit ihrer vorbildlichen Pflichterfüllung nicht nur bedeutend zur militärischen Stärkung unserer Republik beitragen, sondern auch zu ihrer Stärkung auf poli[S. 419]tischem, ökonomischem und kulturellem Gebiet. Wenn das jeder verstanden hat, so ist eine entscheidende Voraussetzung dafür geschaffen, daß unsere Republik ihre nationale Mission erfüllen kann“ (s. „Volksarmee“ 1966, Nr. 47).
Die enge Bindung der NVA an die Militärorganisation des Warschauer Paktes führte auch 1966 zu gemeinsamen Manövern mit Truppen der SU und anderer Ostblockstaaten. Die NVA stellte beträchtliche Seestreitkräfte zu den sowjetisch-polnischen Flottenmanövern, die vom 20.–27. 7. 1966 in der Ostsee stattfanden. Vom 23.–27. 8. 1966 übten in Mecklenburg starke Truppenverbände der „DDR“ gemeinsam mit Sowjettruppen.
Mit starken Teilen von 3 Divisionen nahm die NVA, neben Divisionen und Verbänden der SU, der Tschechoslowakei und Ungarns, vom 20.–22. 9. 1966 an dem großen Manöver „Moldau“ teil. Das Oberkommando der Warschauer Pakt-Organisation führte diese Großübung unter Atomkriegsbedingungen mit mehr als 80.000 Mann im südböhmischen Raum um Budweis durch, sehr nahe der Nordgrenze Österreichs und der Südostgrenze Westdeutschlands.
6. Echo des Nahost-Krieges --- Mitwirkung an der Besetzung der Tschechoslowakei (1967--1968)
Die weitere Verbesserung des Waffenbestandes der NVA wurde für die Militärpropaganda nutzbar gemacht. Dabei wurde vor allem eine großkalibrige Kanone (152 mm) hervorgehoben, die bei Bedarf auch Atomgranaten verschießen kann, und ein schwimmfähiger Schützenpanzerwagen genannt (s. „Neues Deutschland“ v. 7. 5. 1967).
Im Rahmen der Warschauer Pakt-Militärorganisation fand auf polnischem Staatsgebiet und im Norden der „DDR“ vom 27. 5.–5. 6. 1967 eine weiträumige Stabsübung von Truppen der SU, Polens und der NVA statt. In den Bezirken Potsdam und Magdeburg hielten vom 14.–18. 8. 1967 Truppen der Sowjetischen Armee und der NVA eine gemeinsame Großübung ab. Ende August nahmen Truppenteile der NVA an einem sowjetisch-polnischen Manöver im Nordwesten des polnischen Staatsgebietes teil.
Seit dem Sommer 1967 schaltete sich die FDJ, vor allem mit ihren FDJ-Ordnungsgruppen in die vormilitärische Waffen- und Geländeausbildung der GST ein. Sie begann, Lehreinheiten und Musterzirkel im Bereich der GST aufzustellen und die Tätigkeit dieser Vorschule der NVA stärker anzutreiben. Auch die KG verstärkte ihre Aktivität und hielt große Übungen zusammen mit der Bereitschaftspolizei und der GST ab.
Die M. und in ihrem Rahmen vor allem die Militärpropaganda standen seit dem Juni 1967 unter dem Eindruck des Nahost-Krieges. Die SED vertrat dabei die Auffassung, die Araber seien Opfer eines israelischen Angriffes gewesen.
Die Auseinandersetzung mit dem Nahost-Krieg beschäftigte auch den Nationalen Verteidigungsrat, der nach der „Volkskammerwahl“ (2. 7. 1967) neu berufen worden war und am 1. 9. 1967 zusammentrat. Auf dieser Sitzung war Gegenstand der Beratungen (s. „Neues Deutschland“ vom 2. 9. 1967) ein „Bericht … über die Lehren aus der Aggression Israels im Rahmen der Globalstrategie der USA. Weiter wurde ein Bericht behandelt über die Einfügung der westdeutschen Bundesrepublik in die Globalstrategie der USA.“
Der Verteidigungsrat forderte Maßnahmen „gegen die psychologische Kampfführung der revanchistischen und militaristischen Kreise Westdeutschlands“; eine härtere „politische und ideologische Erziehungsarbeit in der Nationalen Volksarmee“; moderne Bewaffnung; Ausbildung mit dem Ziel, „selbständig handelnde … Kämpfer“ zu erziehen. Er bezeichnete es als notwendig, daß „das System der Mobilmachung der Nationalen Volksarmee wesentlich vereinfacht und funktionssicherer wird und alle wehrtüchtigen Teile der Bevölkerung verstärkt in die Wehrerziehung einbezogen werden“.
Die militärpolitische Schulung trat in der Rede zutage, die Ulbricht am 20. 10. 1967 vor Absolventen (Stabs- und Politoffizieren) der Militärakademie „Friedrich Engels“ hielt (s. „Volksarmee — Beil. Dokumentation“ 1967, Nr. 17). Er erklärte: „Einige wichtige Lehren aus der israelischen Aggression sind für uns: Die Aggression wurde mit einer solchen Perfektion vorbereitet und durchgeführt, wie sie in der bisherigen [S. 420]Geschichte imperialistischer Kriege noch nie erreicht wurde. Das unterstreicht das Anwachsen der Gefährlichkeit des Imperialismus. — Imperialistische Staaten sind auch heute noch in der Lage, die überwiegende Mehrheit des Volkes für den Krieg zu mobilisieren und ihren Streitkräften ein relativ stabiles Wehrmotiv zu geben … Größte politische und militärische Wachsamkeit und eine hohe Gefechtsbereitschaft sind unter modernen Bedingungen erforderlich, um eine Überraschung durch den Gegner zu verhindern.“
Ulbricht entwickelte diese Behauptungen mit der Tendenz, Westdeutschland als Hort eines angriffslüsternen Revanchismus abzustempeln. Militärpsychologisch forderte er „eine sinnvoll gesteigerte, harte Ausbildung, die den Armeeangehörigen alles ab verlangt, und in deren Verlauf sie an die Wirkungsfaktoren moderner Waffen gewöhnt werden. Wir brauchen Soldaten, die dazu erzogen und ausgebildet sind, ihre Kampfaufgaben auch in der schwierigsten Lage, im Sommer wie im Winter, bei Tag und Nacht, ausdauernd und findig, unerschrocken und unbeirrbar zu erfüllen. — Die hohe Verantwortung der Offiziere besteht darin, die Anforderungen einer solchen Gefechtsausbildung allen Armeeangehörigen verständlich zu machen und sie bis an ihre Leistungsgrenze zu führen.“
Ende 1967 und Anfang 1968 fand in allen bewaffneten Kräften eine propagandistisch gelenkte „Diskussion“ des Entwurfes für die neue Verfassung der „DDR“ statt. Sie machte wieder einmal die straffe politische Anleitung der bewaffneten Kräfte durch die SED deutlich. Diese Bindung äußerte sich in dem Tagesbefehl des Verteidigungsministers Hoffmann zum 1. 3. 1968: In dieser Verfassung, so schrieb er, „wird das Wohl des Volkes, sein friedliches und glückliches Leben zum obersten Ziel aller gesellschaftlichen und staatlichen Anstrengungen erklärt. Die Nationale Volksarmee dient diesem Ziel, indem sie die sozialistische Menschengemeinschaft vor äußeren Angriffen schützt. Als wichtigstes bewaffnetes Instrument des sozialistischen Staates deutscher Nation erfüllt sie damit eine zutiefst humanistische Aufgabe, trägt sie eine bedeutende nationale und internationale Verantwortung.“ Zugleich betonte Hoffmann: „Die Genossen der Sowjetarmee sind seit dem ersten Tag des Aufbaus unserer bewaffneten Kräfte unsere klugen Lehrmeister, offenherzigen Ratgeber und hilfsbereiten Freunde gewesen. Die deutsch-sowjetische Freundschaft und Waffenbrüderschaft wird als Grundprinzip unserer Politik auch in der neuen Verfassung staatsrechtlich verankert“ („Volksarmee“ 1968, Nr. 9). Er bezog sich auf Art. 6, Abs. 2, und Art. 7, Abs. 2.
Die NVA erhielt bei der Verbesserung ihrer Waffen die neue sowjetische 12,2 cm Kanonenhaubitze „D-30“. Im April begann die Ausbildung an diesem Geschütz, das eine dreiholmige Rundumfeuer-Lafette hat. — Ende März fand im Raum um Magdeburg ein gemeinsames Manöver mitteldeutscher und sowjetischer Truppen statt. Dabei wurden vor allem Elbübergänge geübt — nach dem Vorbild des großen sowjetischen Manövers „Dnjepr“ vom Herbst 1967.
Die Zweijahres-Ausbildungsperiode 1966–68 der KG erreichte im Mai ihren Endabschnitt. „Neues Deutschland“ berichtete (am 27. 5. 1968) darüber: „Die schweren Tag- und Nachtübungen wurden mit bewundernswerter Einsatzbereitschaft, starkem Leistungswillen und straffer Disziplin absolviert.“ Beispielhaft erhielt in Schwedt a. d. Oder das dortige mot. KG-Bataillon der Bezirksreserve am 25. 5. 1968 als Auszeichnung ein „Traditionsbanner des Roten Frontkämpferbundes“ (von Greiffenberg/Kr. Angermünde). Wie „Der Kämpfer“, Blatt der KG (1968, Nr. 5) hervorhob, werden die mot. Bataillone der KG nun unter atomaren Bedingungen ausgebildet, erhalten jeweils eine „chemische Aufklärungsgruppe“ und üben zeitweilig in Strahlungsschutz-Anzügen.
Im Sommer 1968 nahm die NVA an den weiträumigen Manövern teil, mit denen die Warschauer Pakt-Kräfte die Besetzung der Tschechoslowakei gut getarnt vorbereiteten. So vom 20. 6. bis 11. 7. 1968 an der Übung der Kommandostäbe, die unter dem Namen „Sumawa“ (= Böhmerwald) stattfand: Die NVA stellte dazu von Thüringen aus einen „Armeestab“ (d.h. Korpsstab) und die entsprechenden Stäbe auf Divisions- und Regimentsebene usw. nebst den entsprechenden Nachrichten-, Markierungs- (Darstellungs-) und Versorgungseinheiten.
Auch an der weitgespannten „Nachschubübung“, die vom 28. 7. bis 10. 8. 1968 in der [S. 421]westlichen SU, in Polen und im Süden Mitteldeutschlands stattfand, wirkten Stäbe und Versorgungseinheiten der NVA mit. Die NVA war auch — neben den Armeen der SU und Polens — an dem Manöver der Kommandostäbe und Nachrichtentruppen beteiligt, das seit dem 11. 8. 1968 im Süden der „DDR“, im westlichen Polen und Schlesien und in der Westukraine ablief — als unmittelbare Vorstufe zum gewaltsamen Einmarsch in die Tschechoslowakei. Bei dieser Operation am 21. 8. 1968 war die NVA mit einer Panzer- und einer mot. Schützendivision vertreten. Sie befehligte Generalmajor Hans Ernst, Kommandeur des III. Armeekorps (Leipzig), der schon bei der Stabsübung im Juni und Juli als Chef eines Korps-Stabes aufgetreten war. Auch Luftverbände der NVA wurden eingesetzt.
Die „Volksmarine“ der NVA wurde (gleich der polnischen Kriegsmarine) in die großen Seemanöver Sewer (= Nord) einbezogen, welche die militärische Warschauer Pakt-Organisation vom 11. bis 19. 7. 1968 veranstaltete.
Das ZK der SED und das Ministerium für nationale Verteidigung hatten sich seit Mitte 1967 mit dem Wirken der GST noch unzufriedener als zuvor gezeigt. Sie bemängelten vor allem 1.) die militärische und technische Seite der vormilitärischen Ausbildung, und 2.) das ideologisch-gesinnungsmäßige Ergebnis der sozialistischen Wehrerziehung. Um eine Straffung und Hebung der GST-Arbeit einzuleiten, wurde am 1. 2. 1968 Kurt Lohberger, Generalmajor d.R. der Volksarmee, abgelöst, der seit März 1963 tätige 1. Vors. des Zentralvorstandes (ZV) der GST. — Nach Vorarbeiten, die Ende 1967 begonnen hatten, wurden im September 1968 auf dem 4. Kongreß der GST eine weitgehende Straffung und Ausweitung der vormilitärischen Tätigkeit der GST beschlossen.
Das Jahr 1968 zeigte erneut, daß die M. der SED und ihres Regimes leninistisch-marxistisch sein will. Diese Tendenz bestimmte die Tätigkeit der NVA und aller anderen bewaffneten Kräfte, der GST und der sozialistischen Wehrerziehung. Auf dieser Linie betonte z. B. Admiral Verner, Chef der Politischen Hauptverwaltung der NVA, Mitte Juli auf einer der vielen „Aktivberatungen“ der NVA die entscheidende Stellung der SED für die M.: „Für uns ist es oberstes Gebot, die führende Rolle der Partei in den sozialistischen Streitkräften wie unseren Augapfel zu hüten und die Aktivität und Vorbildlichkeit der Mitglieder unseres Kampfbundes in allen Bereichen des militärischen Lebens stets weiter zu erhöhen“ („Volksarmee“ 1968, Nr. 33).
[S. 422]
Literaturangaben
- Arnold, Theodor: Der revolutionäre Krieg. Pfaffenhofen/Ilm 1961, Ilmgau-Verlag. 250 S.
- *: Die politische Armee der Sowjetzone in den Jahren 1955 bis 1958 (Denkschrift). (BMG) 1959. 45 S.
- Bohn, Helmut: Armee gegen die Freiheit — Dokumente und Materialien zur Ideologie und Aufrüstung in der Sowjetzone. Köln 1956, Markus-Verlag. 241 S.
- Bohn, Helmut (und andere): Die Aufrüstung in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. 2., veränd. Aufl. (BB) 1960. 216 S.
- Grieneisen, W.: Die sowjetdeutsche Nationalarmee — Aufbau und Entwicklung von 1948 bis 1952 (in „Hefte der Kampfgruppe“). Berlin 1952. 88 S. m. Abb. u. Übers.
- Kopp, Fritz: Chronik der Wiederbewaffnung in Deutschland, Rüstung der Sowjetzone — Abwehr des Westens (Daten über Polizei und Bewaffnung 1945 bis 1958). Köln 1958, Markus-Verlag. 160 S.
Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 411–422
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