DDR von A-Z, Band 1969

Patriotismus (1969)

 

 

Siehe auch die Jahre 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1975 1979 1985


 

Der Marxismus verwirft das Nationale als klassenbedingten Atavismus. Doch die SED arbeitet seit 1952 mit Apellen an das Nationalbewußtsein, für die sie ideologische Stützen bei Marx, Engels, Lenin und vor allem Stalin fand. Sie bezeichnet diesen neuen Nationalismus als P. Sein Wesen wurde u.a. von Fred Oelßner 1951 in seiner (1955 neuaufgelegten) Schrift „Die heutige Bedeutung der nationalen Frage“ (S. 31 f.) bestimmt. Er betonte, die SED könne „deutschen Patriotismus nur auf der Grundlage des proletarischen Internationalismus entwickeln“. Man müsse an die geschichtlichen Leistungen und „an das ganze fortschrittliche kulturelle Erbe unseres deutschen Volkes anknüpfen“, zugleich aber müßten wir „besonders die Kulturgüter des fortschrittlichsten Volkes der Welt, des Sowjetvolkes, in uns aufnehmen, um ein neues deutsches Nationalgefühl auf wahrhaft ethischer Grundlage zu entwickeln“.

 

Weiterhin wird der P. nicht mehr auf Land und Volk oder auf das Kulturelle Erbe, sondern auf die „DDR“ als „Staat“ einerseits, auf die künftige ganze deutsche Nation andererseits bezogen: „Als Sozialisten sind wir natürlich deutsche Patrioten, und daher wollen wir ja auch, daß ganz Deutschland einmal das wahre Vaterland aller Deutschen und auch der ganzen deutschen Jugend sein kann …, auch für die westdeutsche Jugend ist die DDR das wahre Vaterland. Die Loyalität der ganzen deutschen Jugend kann nur der DDR gehören. Denn die DDR steht auch nicht im Gegensatz zu den Interessen der westdeutschen Jugend, sondern ist im Gegenteil der stärkste Vorkämpfer zur Erfüllung aller ihrer berechtigten, sozialen und kulturellen Wünsche“ (Gerhart Eisler am 4. 6. 1958 in der „Jungen Welt“).

 

Dieser P., der z. B. 1962 im „Nationalen Dokument“ (Teilung Deutschlands und Wiedervereinigungspolitik der SED) entfaltet wurde, ist auf gewisse Weise gesamtdeutsch, denn die „DDR“ soll nur deshalb mit P. verehrt werden, weil sie Vorstufe für einen kommun. Staat sei, der ganz Deutschland umfassen werde.

 

Auf dieser Linie heißt es in „Meyers Neuem Lexikon“ (Leipzig 1963, Bd. 6, S. 432): Es „rettet heute die DDR als erster Arbeiter- und-Bauern-Staat im Bündnis mit den patriotischen Kräften des ganzen deutschen Volkes die nationale Ehre Deutschlands, indem sie gegen den wiedererstandenen deutschen Imperialismus und Militarismus kämpft und eine humanistische und konsequente Friedenspolitik betreibt. Der sozialistische P. ist ein fester Bestandteil der sozialistischen Weltanschauung und hat die Bereitschaft und die Tat zur Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes zum Inhalt …“.

 

Sehr bezeichnend ist die Formulierung, die das parteioffiziöse Lexikon „Kleines politisches Wörterbuch“ (Dietz-V. Ostberlin 1967, S. 486) in seinem Artikel „P.“ findet: „Der sozialistische P. … ist bewußter P., weil in ihm das patriotische Gefühl des Volkes, die Treue zum Vaterland mit den wissenschaftlichen Ideen des Marxismus-Leninismus verbunden ist. Er ist tätiger P., der sich in der schöpferischen Aktivität der Werktätigen, im zielbewußten Kampf für [S. 468]den Frieden und den Sieg des Sozialismus äußert.“

 

Es heißt dort ferner, der P. sei „organisch mit der brüderlichen Freundschaft und der internationalen Solidarität der Werktätigen aller Länder im Kampf für Frieden und Sozialismus, insbesondere mit der gegenseitigen brüderlichen Hilfe der marxistisch-leninistischen Parteien und der Völker im sozialistischen Weltsystem, verbunden“.

 

Literaturangaben

  • Kopp, Fritz: Die Wendung zur „nationalen“ Geschichtsbetrachtung in der Sowjetzone. 2., erw. Aufl., München 1962, Günter Olzog. 120 S.
  • Rauch, Georg von: Das Geschichtsbild der Sowjetzone (aus: Jahrb. d. Ranke-Gesellschaft 1954). Frankfurt a. M., Moritz Diesterweg. 19 S.
  • Säuberlich, Erwin: Vom Humanismus zum demokratischen Patriotismus. — Schule und Jugenderziehung in der sowjetischen Besatzungszone (Rote Weißbücher 13). Köln 1954, Kiepenheuer und Witsch. 170 S.

 

Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 467–468


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.