DDR von A-Z, Band 1969

Sorben (1969)

 

 

Siehe auch:


 

Die kleine wendische Volksgruppe in den Gebieten um Bautzen und Hoyerswerda und im Spreewaldgebiet, die ihre kulturelle Eigenart bis in die Gegenwart bewahrt hat, nennt sich selbst „Serbja“ und wird seit 1945 von den Kommunisten und dem SED-Regime als S. bezeichnet. Obschon sich kaum 5 v. H. der Bevölkerung zum wendischen Volkstum bekennen, die Volksgruppe (1925: 62.000, heute wahrscheinlich nur noch 38.000) ständig abnimmt und ihr von der benachbarten Tschechoslowakei her genährter Nationalismus niemals ernstliche Bedeutung gewann, drängt das SED-Regime den vorwiegend kirchlich-protestantisch und antikommun. eingestellten S. die Autonomie geradezu auf; Ausdruck dieser mit schwankender Entschiedenheit betriebenen Politik waren das am 23. 3. 1948 vom sächsischen Landtag beschlossene S.-Gesetz und das Gesetz zum Schutze der niederlausitzischen Bevölkerung und ihrer Kultur vom 12. 9. 1950. Beim Ministerium für Kultur gibt es einen Beirat für S.-Fragen; Vors. Robert Lehmann, einer der Stellvertreter des Ministers. Vier S. gehören der Volkskammer an. Die S. haben eine kommunistisch gesteuerte Heimatbewegung, die Domowina, einen Verlag, den VEB Domowina-Verlag, eine Tageszeitung „Nowa Doba“ („Neue Zeit“) und eine (niedersorbische) Wochenzeitung „Nowy Casnik“. Der Sender Cottbus strahlt sonntags für die Dauer einer knappen Stunde in sorbischer Sprache aus. Ein „Institut für sorbische Volksforschung“ wird von der Deutschen Akademie der Wissenschaften betreut; es bereitet eine dreibändige „Geschichte der S.“ und ein großes „Deutsch-Obersorbisches Wörterbuch der Gegenwartssprache“ vor. An der Leipziger Universität besteht ein Sorbisches Institut, und neben einigen weiteren Instituten gibt es in Bautzen und Cottbus sorbische Oberschulen, in Crosta (Kr. Bautzen) eine Sorbische Heimvolkshochschule, in Bautzen ein (zweisprachiges) Deutsch-Sorbisches Volkstheater. Die Zweisprachigkeit in amtlichen Veröffentlichungen und Beschilderungen wird systematisch gefördert. Im Deutschen Schriftstellerverband gibt es einen Arbeitskreis sorbischer Schriftsteller, und seine Zeitschrift „Neue Deutsche Literatur“ brachte im März 1967 eine Auswahl sorbischer Literatur in deutscher Sprache. Im Mai 1968 fand das zweite „Festival der sorbischen Kultur“ statt.

 

Die Entwicklung der Volksgruppe wird nicht nur in der Tschechoslowakei, sondern auf Grund der These, daß S. und Serben miteinander verwandt seien, auch in Jugoslawien beobachtet. Die Volksgruppe fühlt sich in jüngster Zeit durch deutsche „Unterwanderung“ im Gefolge der Errichtung des Industriekombinats Schwarze Pumpe bedroht.


 

Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 560


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.