
Staatsanwaltschaft (1969)
1. Entwicklung
Die St. war in den Ländern der SBZ nach dem Zusammenbruch 1945 hinsichtlich Organisation und Zuständigkeit zunächst in der herkömmlichen Weise wiederaufgebaut worden; der Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht (1951–1952 Landesstaatsanwalt) als höchstes Strafverfolgungsorgan des Landes unterstand dem jeweiligen Justizminister. Nach Errichtung der „DDR“ wurde durch Gesetz vom 8. 12. 1949 (GBl. S. 111) außer dem Obersten Gericht auch eine Oberste St. geschaffen, deren durch die Volkskammer zu wählender Leiter als Generalstaatsanwalt der DDR Weisungsbefugnis gegenüber den Staatsanwälten der Länder erhielt. Durch die „VO über Maßnahmen zur Vereinfachung der Justiz“ vom 27. 9. 1951 (GBl. S. 877) wurde die St. unter der Leitung des Generalstaatsanwalts der „DDR“ „ein in seiner Organisation und Tätigkeit selbständiges Organ der Justiz“ (§ 1). Ihren Abschluß fand die Herauslösung der St. aus der Justiz mit dem „Gesetz über die St. der DDR“ (StAG) vom 23. 5. 1952 (GBl. S. 408), „das für die St. der DDR die Krönung ihrer Entwicklung bedeutete“ (Benjamin/Melsheimer in: „Neue Justiz“ 1955, S. 264). Seither entsprechen Organisation und Aufgaben der St. im wesentlichen dem sowjet. Vorbild.
2. Aufbau
Der Erlaß des Staatsrates über die grundsätzlichen Aufgaben und die Arbeitsweise der Organe der Rechtspflege vom 4. 4. 1963 (GBl. I, S. 21) beschäftigt sich auch eingehend mit der Stellung und den Aufgaben der St. Am 17. 4. 1963 erließ die Volkskammer zur Konkretisierung dieses Erlasses ein neues „Gesetz über die St. der DDR“ (GBl. I, S. 57). Danach hat die St. für die einheitliche Verwirklichung des sozialistischen Rechts zu sorgen und einen entschiedenen Kampf gegen alle Verbrechen und Vergehen zu führen. Sie wird als ein „Organ der einheitlichen sozialistischen Staatsmacht“ bezeichnet. Die St. wird vom Generalstaatsanwalt geleitet, der auf Vorschlag des Staatsrates von der Volkskammer für die Dauer von 4 Jahren gewählt wird und dem in den Bezirken der Staatsanwalt des Bezirks (Bezirksstaatsanwalt) und in den Kreisen der Staatsanwalt des Kreises (Kreisstaatsanwalt) unterstehen. Er ist der Volkskammer und zwischen ihren Tagungen dem Staatsrat verantwortlich und hat dem Staatsrat über die Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben zu berichten. Alle Staatsanwälte werden vom GenStA. berufen und abberufen, sie sind ihm ver[S. 599]antwortlich und an seine Weisungen gebunden (§ 9 StA.-Ges.). In derselben Weise werden Stellung und Organisation der St. in der neuen Verfassung (Art. 97, 98) beschrieben. Die Stellvertreter des GenStA. sind vom Staatsrat zu bestätigen; einer der Stellvertreter ist der Militäroberstaatsanwalt (Militärstaatsanwaltschaft). Der Ostberliner „Generalstaatsanwalt von Groß-Berlin“ hat seit der Eingliederung der Justiz des Sowjetsektors in die Zonenjustiz (Gerichtsverfassung) die Stellung eines Bezirksstaatsanwalts. Ihm sind die Staatsanwälte der 8 Stadtbezirke unterstellt.
Alle Staatsanwälte sind Mitglieder der SED, zum großen Teil stammen sie aus den früheren Volksrichter-Lehrgängen. Generalstaatsanwalt der „DDR“ war seit Schaffung dieses Amtes bis zu seinem Tode (25. 3. 1960) Ernst Melsheimer (SED). Am 24. 1. 1962 wählte die Volkskammer Josef ➝Streit zum neuen Generalstaatsanwalt.
3. Personelle und fachliche Voraussetzungen
„Staatsanwalt kann sein, wer nach seiner Persönlichkeit und Tätigkeit die Gewähr dafür bietet, daß er seine Funktion gemäß den Grundsätzen der Verfassung ausübt, sich vorbehaltlos für den Sozialismus einsetzt und der Arbeiter-und-Bauern-Macht treu ergeben ist“ (§ 13 StA.-Ges.). Juristische Ausbildung (Rechtsstudium) ist grundsätzlich Voraussetzung; es kann jedoch auch ohne eine solche Ausbildung zum Staatsanwalt berufen werden, wer „auf Grund seiner Persönlichkeit und Fähigkeit für die Tätigkeit eines Staatsanwalts geeignet“ ist. Ein Staatsanwalt muß praktische Erfahrungen und gute politische und fachliche Kenntnisse besitzen, sich im gesellschaftlichen Leben betätigt haben und ständig an seiner Weiterbildung arbeiten.
4. Aufgaben
Von besonderer Bedeutung unter den der St. gesetzlich zugewiesenen Aufgaben ist die Aufgabe, „Verstöße gegen die sozialistische Gesetzlichkeit und Übergriffe gegen die sozialistische Rechtsordnung zu unterbinden und über die Einhaltung der Rechte der Bürger zu wachen“ (§ 2, o StA.-Ges.).
In dieser Tätigkeit wird die St. als Hüter der sozialistischen Gesetzlichkeit bezeichnet („Neue Justiz“ 1955, S. 11). Stellt die St. bei dieser Gesetzlichkeitsaufsicht Gesetzesverletzungen fest, so hat sie dagegen Protest einzulegen oder andere geeignete Maßnahmen zur Beseitigung der Gesetzesverletzungen einzuleiten. Der Protest ist bei dem Organ einzulegen, in dessen Bereich die Gesetzesverletzung begangen wurde. Dieses Organ hat zu dem Protest binnen 2 Wochen Stellung zu nehmen, muß sich also nicht etwa sofort der von der St. vertretenen Auffassung beugen. Wird dem Protest nicht oder nicht in vollem Umfang stattgegeben, so kann der übergeordnete Staatsanwalt den Protest bei der dem betreffenden Organ übergeordneten Stelle einlegen (§ 39, Abs. 3 StGes.). Bleibt auch diese Stelle bei dem von der St. für ungesetzlich gehaltenen Standpunkt, gibt es keine weiteren Möglichkeiten; der Protest ist abgelehnt.
Im Zuge der Gesetzlichkeitsaufsicht kann die St. die Einleitung von Ordnungsstrafverfahren (Ordnungswidrigkeiten) oder Disziplinarverfahren verlangen.
Die St. hat ferner das Ermittlungsverfahren zu leiten und dabei die Aufsicht über alle Ermittlungen und die Untersuchungsorgane zu führen. Sie erhebt Anklage und vertritt diese vor den Strafgerichten, sie kann geringfügige Verletzungen der Strafgesetze den Konfliktkommissionen und Schiedskommissionen (gesellschaftliche Gerichte zur Beratung und Entscheidung übergeben. Erhebliche Befugnisse hat die St. auch in Zivil-, Familien- und Arbeitsrechtsverfahren. Hier kann sie an Verhandlungen teilnehmen, Schriftsätze einreichen, Protest gegen Urteile einlegen und sogar „nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen Klage erheben (ausgenommen Eheverfahren)“ (§ 22). Diese Bestimmung kündigt eine entsprechende Vorschrift in der künftigen Zivilprozeßordnung (Zivilprozeß) an. Schließlich können der GenStA. und die Bezirksstaatsanwälte die Kassation rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen beantragen. Die St. übt die Aufsicht aus über die Strafvollstreckung und die Durchführung des Strafvollzuges, wirkt im Gnadenverfahren (Gnadenrecht) mit, führt beim GenStA. das Strafregister und ist verantwortlich für die einheitliche Kriminalstatistik und die analytische Auswertung der Kriminalität. (Rechtswesen)
Literaturangaben
- Hellbeck, Hanspeter: Die Staatsanwaltschaft in der sowjetischen Besatzungszone. 2., erw. Aufl. (BMG) 1955. 104 S. m. 7 Anlagen.
- Mampel, Siegfried: Die Verfassung der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Text u. Kommentar. 2., neubearb. u. erg. Aufl., Frankfurt a. M. 1966, Alfred Metzner. 516 S.
- Rosenthal, Walther, Richard Lange, und Arwed Blomeyer: Die Justiz in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. 4., überarb. Aufl. (BB) 1959. 206 S.
- Rosenthal, Walther: Die Justiz in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands — Aufgaben, Methoden und Aufbau. (BB) 1962. 175 S.
Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 598–599
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