
Staatsbewußtsein (1969)
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Seit der Gründung der „DDR“ ist die SED bemüht, bei der Bevölkerung ein St. zu erwecken und zu vertiefen. Die Propaganda- und Erziehungsarbeit zur Herstellung eines St. ist mit der Schaffung bzw. mißbräuchlichen Wiederbelebung eines Patriotismus eng verbunden. Doch gibt die SED dabei nicht den Begriff der deutschen Nation und der nationalen, auf Westdeutschland bezogenen Mission der „DDR“ preis. (Wiedervereinigungspolitik der SED)
Die Anstrengungen zur Erzielung und Belebung eines St. deutete indirekt die SED schon in dem Beschluß ihres V. Parteitages an (15. 7. 1958). Dort hieß es in § III, 4: „Die sozialistische Demokratie entwickelt sich auf der Grundlage des Wachstums des sozialistischen Eigentums und der Festigung des sozialistischen Wirtschaftssystems, mit der steigenden Bewußtheit und Aktivität der Werktätigen, die auf die Lösung der staatlichen und wirtschaftlichen Aufgaben gerichtet ist und durch den sozialistischen Staat gelenkt und organisiert wird.“ Und in § III, 7 wurde betont: Das sozialistische Recht „dient der Erziehung der Werktätigen zur Arbeits- und Staatsdisziplin, zur Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes gegen alle Angriffe der Feinde“.
Begriff und Inhalt des St. behandelte Dr. Jörg Vorholzer (SED), Mitarbeiter der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“, in der Schrift „Willfähriger Untertan oder bewußter Staatsbürger — Zur Entwicklung des staatsbürgerlichen Bewußtseins in beiden deutschen Staaten“, die er Mitte 1962 im Dietz-Verlag (Ost-Berlin) herausgab. Dort stellte er, in Anlehnung an Lenin und Ulbricht, die Leitsätze heraus: „Das sozialistische St. ist der Kern des politischen Bewußtseins der herrschenden Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten … Es begreift im Prozeß der revolutionären Praxis den Arbeiter-und-Bauern-Staat als das Hauptinstrument der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten zur Verwirklichung des Sozialismus und damit zur Wahrung der nationalen Interessen und des Friedens“ (a.a.O. S. 175).
Um die Schwierigkeiten bei der Klärung und Verbreitung des St. zu beheben, wurde [S. 602]am 8. 9. 1962 an der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ eine Arbeitsgruppe für die Probleme der Entwicklung des sozialistischen St. gebildet. Wie „Neues Deutschland“ am 22. 9. 1962 hervorhob, soll diese von Dr. Jörg Vorholzer geleitete Arbeitsgruppe „die Zusammenhänge zwischen dem sozialistischen Leitungsstil und der Entwicklung des St. hauptsächlich erforschen“. — Um die Widerstände gegen die Propagierung des St. abzuschwächen, wurde nicht zuletzt die Presse eingesetzt, so veranstaltete z. B. „Neues Deutschland“ von Mai bis Juli 1966 eine Leserbrief-Aussprache unter dem Titel „Worauf sind wir stolz?“. Sie sollte zunächst zum Selbstbewußtsein gegenüber Westdeutschland erziehen und zugleich das St. fördern.
Im Sinne des St. erklärte die SED im Manifest des VII. Parteitages (am 21. 4. 1967): „Die festen Fundamente des sozialistischen Gebäudes in unserer Republik sind gelegt. Jetzt gilt es, dieses sozialistische Haus auszubauen und zu vollenden: ausgehend von dem Erreichten, von der Liebe der Bürger zu ihrem sozialistischen Vaterland, von ihrem Schöpfertum, von ihrem Verantwortungsbewußtsein für Staat und Gesellschaft“ („Neues Deutschland“ v. 23. 4. 1967, S. 1).
In der Erklärung, die Ulbricht in der Volkskammersitzung am 2. 5. 1967 abgab, nannte er als neue Merkmale des St. vor allem: „Aufgeschlossenheit gegenüber den gesellschaftlichen Angelegenheiten und aktive Mitgestaltung für ihre Ausarbeitung und Lösung; Ehrlichkeit und Disziplin gegenüber Gesellschaft und Staat; aktive Wahrnehmung der Bürgerrechte und die Erkenntnis, daß es keine Rechte ohne Pflichten und keine Pflichten ohne Rechte gibt. Hierzu gehört auch das Bewußtsein der Verantwortung für das Ganze und die Achtung der sozialistischen Gesetzlichkeit“ („Neues Deutschland“ v. 3. 5. 1967, S. 4). (Bewußtseinsbildung)
Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 601–602
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