DDR von A-Z, Band 1969

Strafgesetzbuch (1969)

 

 

Siehe auch die Jahre 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1975 1979


 

Die Bemühungen um eine Reform des bis zum 30. 6. 1968 geltenden deutschen St. von 1871 nahmen in der „DDR“ bereits 1951 ihren Anfang. Ein 1952 im Justizministerium ausgearbeiteter Entwurf für ein neues St. fand nicht die Billigung der sowjet. Besatzungsmacht und wurde stillschweigend zu den Akten gelegt. Das übernommene St. fand als „sanktioniertes Recht“ weiterhin Anwendung. Durch Gesetz vom 1. 9. 1964 (GBl. I, S. 127) wurde bestimmt, daß die Verjährungsvorschriften auf Verbrechen gegen den Frieden, die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen keine Anwendung finden.

 

Der V. Parteitag der SED im Juli 1958 stellte die Aufgabe, die sozialistische Justizreform zu vollenden. In Realisierung dieses Beschlusses sollte auch ein neues St. erstellt werden, das alle z. Z. geltenden Einzelgesetze zu einem „St. der DDR“ zusammenfassen sollte. Die für Fertigstellung und Inkrafttreten dieses St. gesetzten Termine (1. 1. 1961) wurden jedoch nicht eingehalten, so daß es zunächst weiterhin beim alten St. und bei den durch das Strafrechtsergänzungsgesetz vorgenommenen Änderungen und Ergänzungen blieb. Nach dem VI. Parteitag der SED im Januar 1963 wurden die Bemühungen um die Ausarbeitung eines neuen St. verstärkt. Eine unter Leitung von Hilde ➝Benjamin stehende, vom Staatsrat eingesetzte Gesetzgebungskommission trat am 5. 7. 1963 zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Sie umfaßte 65 Mitglieder aus den zentralen Staatsorganen, den Rechtspflegeorganen, Wissenschaftler, leitende Wirtschaftsfunktionäre, Schöffen, Mitglieder von Konfliktkommissionen und andere Werktätige, und sie erweiterte diesen Kreis im [S. 615]Zuge ihrer Arbeiten auf etwa 250 Mitarbeiter. Am 27. 1. 1967 legte die Kommission den von ihr nach insgesamt nur 18 Beratungen fertiggestellten Gesetzentwurf vor und stellte ihn zur öffentlichen Diskussion. Im Unterschied zu solchen Diskussionen bei früheren Anlässen (Gesetzbuch der Arbeit, Familiengesetzbuch) wurde der Gesetzentwurf nicht veröffentlicht. Die Bevölkerung besaß also keine Unterlagen für eine öffentliche Diskussion. Nur die Rechtswissenschaftler und Praktiker, die Kenntnis vom Entwurf hatten, trugen pflichtgemäß ihren Teil zur Diskussion bei, indem sie vorwiegend in der amtlichen Zeitschrift „Neue Justiz“ Artikel veröffentlichten. Im Zuge dieser Diskussion gab es auch schon vor Abschluß der Arbeiten am Gesetzentwurf nicht unerhebliche Meinungsverschiedenheiten in wichtigen Grundsatzfragen, die den Generalstaatsanwalt Streit sogar von einer „Zerrissenheit der Strafrechtswissenschaft“ sprechen ließen („Neue Justiz“ 1963, S. 779, Anm. 3). Aus verschiedenen Kreisen der Bevölkerung sollen im Verlauf der Diskussion 8.141 Vorschläge eingereicht worden sein. Als Ergebnis ist festzustellen, daß das St. im Unterschied zu dem vom Staatsrat gebilligten Gesetzentwurf verschiedene, z. T. sogar bedeutende Änderungen und Ergänzungen erfahren hat. Am 15. 12. 1967 fand für das St. und die anderen fertiggestellten Gesetze (Strafprozeßordnung, Strafvollzug, Ordnungswidrigkeiten, Verfehlungen) die erste Lesung in der Volkskammer statt. Anschließend nahmen 8 Volkskammerausschüsse „vom Inhalt der Gesetzesvorlagen Kenntnis“ (vgl. „Neues Deutschland“ vom 4. u. 6. 1. 1968), und bereits am 12. 1. 1968 erfolgte einstimmige und endgültige Verabschiedung durch die Volkskammer in zweiter Lesung. Das St. (GBl. 1968 I, S. 1) trat am 1. 7. 1968 in Kraft.

 

Das neue St. wird von Hilde Benjamin als „das Strafrecht des deutschen Rechtsstaates“ bezeichnet („Neue Justiz“ 1967, S. 97). Als Zweck aller strafrechtlichen Maßnahmen werden der „allseitige Schutz der sozialistischen Gesellschaft und der Bürger“ sowie „die Erziehung des Gesetzesverletzers zu gesellschaftlicher Verantwortung und Disziplin“ herausgestellt. Dem St. ist eine Präambel vorangestellt, und der Allgemeine Teil enthält im 1. Kapitel in 8 Artikeln die „Grundsätze des sozialistischen Strafrechts“. Das Jugendstrafrecht wurde in das St. hineingearbeitet. Der Besondere Teil besteht aus 9 Kapiteln: 1. „Verbrechen gegen die Souveränität der DDR, den Frieden, die Menschlichkeit und die Menschenrechte“ (Aggressionsverbrechen, Kriegshetze, Kriegsverbrechen); 2. „Verbrechen gegen die DDR“ (Staatsverbrechen); 3. „Straftaten gegen die Persönlichkeit“; 4. „Straftaten gegen Jugend und Familie“; 5. „Straftaten gegen das sozialistische Eigentum und die Volkswirtschaft“; 6. „Straftaten gegen das persönliche und private Eigentum“; 7. „Straftaten gegen die allgemeine Sicherheit“; 8. „Straftaten gegen die staatliche Ordnung“; 9. „Militärstraftaten“ (Militärstrafrecht). (Rechtswesen)

 

Literaturangaben

  • Rosenthal, Walther, Richard Lange, und Arwed Blomeyer: Die Justiz in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. 4., überarb. Aufl. (BB) 1959. 206 S.
  • Rosenthal, Walther: Das neue politische Strafrecht in der DDR. Frankfurt a. M., 1968, Alfred Metzner. 104 S.

 

Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 614–615


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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