
Touristik (1969)
Siehe auch die Jahre 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1975 1979
Der Bereich der T. umfaßt Freizeit- und Ferienreisen (Camping, Wochenend-, Sonder- und Wanderfahrten, Pauschalreisen) im Inland (Inlands-T.) und ins Ausland (Auslands-T.). Unterschieden wird dabei die passive Auslands-T. (Reisen ins Ausland) von der aktiven Auslands-T. (Reisen von Ausländern in die DDR). Die sinnvolle Nutzung und Gestaltung von Urlaub und Freizeit und die Ausnützung der ökonomischen Möglichkeiten der T. (Abschöpfung des Kaufkraftüberhanges, [S. 654]Förderung wirtschaftlich schwacher Gebiete durch Bildung von Zentren der T., Einnahmen von Devisen westlicher Touristen) sind die Hauptfunktionen der T. „Zur Verwirklichung der potentiellen Übereinstimmung zwischen den persönlichen und gesellschaftlichen Interessen“ nimmt der Staat im Bereich der T. bestimmte „Steuerungsfunktionen“ wahr. Als Leitungssysteme der T. dienen zentrale Einrichtungen wie der Feriendienst des FDGB, das „Komitee für Touristik und Wandern“ (KTW) und das „Reisebüro der DDR“.
1. Komitee für Touristik und Wandern
Das KTW, gegr. am 22. 11. 1956 (Vorsitzender: Gerhard Mendl, SED), setzt sich aus Vertretern der Massenorganisationen zusammen. Hauptaufgabe des KTW ist die „Erhöhung des politisch-erzieherischen, des fachlichen und kulturellen Niveaus der Touristen- und Wanderbewegung“. Die Aufgaben der Bezirkskomitees des KTW sind 1. die Organisation der Touristen- und Wanderbewegung besonders unter der Jugend, 2. die Erschließung von Wanderwegen, 3. die Errichtung von Wanderunterkünften und Zeltplätzen. Außerdem obliegt dem KTW die Verwaltung der „Wanderliteratur“ und die Förderung des „Wandersparens“ sowie die Organisation internationaler Touristenbeziehungen. Das Jugendgesetz von 1964 verlangt vom KTW die Herausgabe von „Wanderkatalogen“, in denen die „sozialistische Entwicklung der Gebiete und die Schwerpunkte der ökonomischen Entwicklung“ dargestellt, „Gedenkstätten der Arbeiterbewegung und Kulturdenkmäler“ historisch erläutert und die Schönheiten der Natur hervorgehoben werden sollen. Das KTW organisiert internationale Wandertreffen und bietet verbilligte Reisen in die SU an.
Ein Touristenabzeichen in drei Stufen soll zum Erwerb von Kenntnissen auf den Gebieten der T., der Natur- und Heimatkunde und der Ersten Hilfe anregen. Für Junge Pioniere gibt es ein Touristisches Fünfkampfabzeichen. Neben einem Herbergs- und Zeltlagerverzeichnis gibt das KTW das Touristen-Magazin „Unterwegs“ heraus. Wegen der ihnen im Reiseverkehr auf erlegten Beschränkungen ist es Wanderern aus der BRD im allgemeinen nicht möglich, Wanderungen oder Reisen von Ort zu Ort in Mitteldeutschland zu unternehmen.
Die Arbeit des KTW beschränkt sich zum größten Teil auf die Inlands-T. Die Jugendauslands-T. wurde im April 1963 aus dem KTW aus- und in das „Reisebüro der DDR“ eingegliedert. Das KTW sollte sich stärker auf die Inlands-T. konzentrieren, während durch das Reisebüro eine bessere Koordination aller Jugendauslandsreisen gewährleistet werden sollte.
2. „Reisebüro der DDR“
Das „Reisebüro der DDR“ (bis Jan. 1964 Deutsches Reisebüro — DER) entstand im Nov. 1946 als Rechtsnachfolgerin der „Mitteleuropäischen Reisebüro GmbH“ (MER). 1958 wurde das DER als GmbH aufgelöst und erhielt einen staatlichen Status, den es nach der Umbenennung beibehielt. (Generaldirektor: Heinz Wenzel) Das Reisebüro ist VEB und untersteht dem Ministerium für Verkehrswesen. Es besteht aus der Generaldirektion mit den Direktionsbereichen Inlands-T., sozialistisches und nichtsozialistisches Ausland, Ökonomie und Ausländerbetreuung. Es verfügt über sieben Bezirksdirektionen, 73 Zweigstellen, 50 Nebenstellen, 400 Annahmestellen und fünf Touristenzweigstellen. Auslandsvertretungen des Reisebüros befinden sich in Moskau, Prag, Warschau und London; in den Verkehrsvertretungen von Wien, Kopenhagen und Stockholm sind Vertreter tätig. Das Reisebüro hat 160 Büros im nichtsozialistischen Ausland als Vertragspartner; mit weiteren 530 Agenturen in aller Welt unterhält es Kontakte. Seit August 1967 ist es ordentliches und gleichberechtigtes Mitglied in der Weltorganisation der Reisebüroverbände (FUAAV). Es beschäftigt 3.000 Personen, vorwiegend Frauen.
Aufgabe des Reisebüros ist die Vermittlung von Leistungen zur „touristischen Bedarfsdeckung“ an die Bevölkerung und an die ausländischen Touristen. Es soll die dazu notwendigen „Kooperationsbeziehungen“ im In- und Ausland pflegen und erweitern. Seit der Einführung der Fünf-Tage-Arbeitswoche und der VO des Ministerrates vom 3. 5. 1967 über die Gewährung eines Mindesturlaubs von 15 Tagen ab 1967 ist die Frei- und Urlaubszeit gewachsen (65 v. H. der arbeitenden Bevölkerung verfügen über einen Jahresurlaub von 18 Tagen und mehr). Durch das Reisebüro werden neue Formen und Methoden entwickelt, die die Befriedigung des gestiegenen touristischen Bedarfs und die Gewährleistung einer „sinnvolleren und besseren Urlaubs- und Freizeitgestaltung“ ermöglichen sollen. Neben der Verstärkung der Autobus-T. sollen u. a. in Zusammenarbeit mit kommunalen Organen und der „Vereinigung Interhotel“ die Kurzreisen verstärkt werden.
3. Inlandstouristik
Der Anteil des Reisebüros an der Inlands-T. ist gering. Träger sind in der Hauptsache der Feriendienst des FDGB, das KTW sowie Betriebe und Organisationen, von Privatreisen abgesehen. Das Reisebüro vermittelte 1967 nur 7,1 v. H. der organisierten Inlandsreisen. Von den 1,4 Mill. Urlaubsreisenden an die Ostsee im Jahre 1966 wurden ca. 10 v. H. durch das Reisebüro vermittelt (1962: 10,9 v. H.). Charakteristisch für die Arbeit des Reisebüros auf dem Sektor der Inlands-T. sind Wochenend- und Sonderfahrten (Kurzfahrten). Auf diesem Gebiet wurden von 1958 bis 1967 rund 35 Mill. Reisende betreut. 1967 wurden allein 3.135.575 Kurzreisen gebucht.
4. Auslandstouristik
Domäne des Reisebüros ist die Vermittlung von Auslandsreisen. Wegen der seit dem 13. August 1961 herrschenden Beschränkungen im Reiseverkehr ist es praktisch unmöglich, das westliche Ausland als Reiseziel zu wählen. Westreisen sind nur für Rentner und Invaliden seit 1964 wieder gestattet. Nach eigenen Angaben vermittelte das Reisebüro seit 1958 fast 3,4 Mill. Auslandsreisen. 1967 reisten mit dem Reisebüro 672.508 Personen ins Ausland. 22 v. H. der angebotenen Reisen waren mehrwöchige Pauschalreisen (147.569 von 672.508). Mit rund 66.000 vermittelten Pauschalreisen stand die SU an der Spitze, gefolgt von Bulgarien (ca. 61.600), das seinerseits die längere Aufenthaltsdauer verbuchen konnte. Für 1968 bot das Reisebüro 80 Reiseprogramme in die sozialistischen Länder an. Es erfaßt aber nur einen Teil der gesamten [S. 655]Auslands-T. Von den 1,5 Mill. Auslandsreisenden im Jahre 1967 war ein großer Teil Individualtouristen, d.h. Reisende, die sich ihre Urlaubs- oder Besuchsreise selbst organisiert haben. Ein Vergleich der Zahlen nach ausgewählten Ländern verdeutlicht diese Tatsache:
Die Entwicklung des Individualtourismus wird durch den visafreien Reiseverkehr mit Polen, der ČSSR und Ungarn begünstigt. Visafreiheit bedeutet, daß zur Erlangung der Aus- und Wiedereinreisepapiere eine formlose Einladung aus dem Gastland vorliegen muß. Seit dem 20. 7. 1967 ist diese Bestimmung für den Reiseverkehr mit der ČSSR entfallen. Kurzreisen bis zu zwei Tagen werden von den Volkspolizei-Kreisämtern sofort genehmigt.
Das Reisebüro bemüht sich, einen ökonomisch nutzbaren Anteil am Individualtourismus zu gewinnen. So haben einige Motorsportklubs des „Allgemeinen Deutschen Motorsportverbandes der DDR“ (ADMV) das Recht erhalten, Auslandsreisen mit dem Pkw zu vermitteln. Das Büro übernimmt neben der Quartierbeschaffung auch andere Serviceleistungen. Die Einbeziehung in ihr Leitungssystem versucht das Büro auch durch eigene Reisevermittlung an Personen, die mit dem eigenen Pkw ins Ausland reisen wollen.
Jugendauslandsreisen werden durch die Abt. „Jugendtourist“ des Büros organisiert. Zum Programm gehören Städtebesichtigungsfahrten und der Aufenthalt in internationalen Jugendlagern. Teilnahmeberechtigt sind alle Jugendlichen über 16 Jahre, Arbeiter und LPG-Bauern bis 30 Jahre, Angestellte, Studenten, Intelligenz u.a. bis zu 26 Jahren. 1967 wurden rund 67.000 Reisen von „Jugendtourist“ vermittelt (14.500 in die SU).
1,6 Mill. Auslandstouristen besuchten 1967 Mitteldeutschland. Davon wurden durch das Reisebüro 655.000 aus 78 Ländern betreut. 1966 kamen die meisten aus der ČSSR (224.489); an der Spitze der nicht-sozialistischen Länder stand Schweden (11.270). Die Touristen aus dem Ausland können sich beliebig lange aufhalten; Transitreisende maximal 72 Stunden. Westliche Touristen müssen 5 M pro Tag und Person, Besucher aus der Bundesrepublik 10 M umtauschen. Ihre Aufenthaltsdauer ist beschränkt. Eine touristische Betätigung ist ihnen verwehrt, da für sie Reiseverbot über ihren Zielort hinaus besteht. (DDR-Bürger dürfen bei Pauschalreisen ins sozialistische Ausland bis zu 32 M umtauschen. Der Betrag darf bei jeder Durchreise und nur einmal im Zielland eingetauscht werden. Taschengeld ist im Reisepreis enthalten; es wird durch das Reisebüro ausgezahlt.)
5. Statistische Angaben
Eine soziologische Aufschlüsselung der 1966 verreisten Personen über 15 Jahre ergab folgende Ergebnisse: 34,9 v. H. aller Personen über 15 Jahre waren 6 Tage und länger verreist. In einzelnen sozialen Gruppen der Bevölkerung war das Reiseverhalten unterschiedlich, wie die folgenden Tabellen zeigen:
Die Unterschiede in der Ferienreisequote der einzelnen Gruppen resultieren zum größten Teil aus der Höhe des Familieneinkommens und der Familiengröße. Bemerkbar machen sich auch bestimmte gruppentypische Einflüsse. Mit steigendem Bildungs- und Lebensstandard werden Ferienreisen zum integrierten Bestandteil der gesamten Lebensweise (hohe Quote bei der Intelligenz, ebenso bei Angestellten und Facharbeitern). Größeres Alter mindert das Interesse an Ortsveränderungen (geringe Quote der Rentner). Arbeits- und Lebensweise in ländlichen Gebieten erlauben wenig Ferienreisen (niedrige Quote der LPG-Mitglieder).
Die geringe Hotel- und Bettenkapazität (pro 1.000 Einwohner 2,3 Hotelbetten) und der teilweise mangelnde Standard der Hotels erschweren die Entwicklung der Inlands- und aktiven Auslands-T. Letztere wird auch durch politische Vorbehalte eingeschränkt. Die „Vereinigung Interhotel“ (Generaldirektor: Heinz Siegert) verfügt z. Z. über 19 Hotels (Berlin [2], Dresden [2], Erfurt, Halle, Jena, Karl-Marx-Stadt [2], Leipzig [5], Magdeburg, Rostock, Suhl, Weimar, Gera). Die Hotels besitzen den internationalen Standard mittlerer Hotels. Täglich können über 6.000 Gäste untergebracht werden. Die Erweiterung der Bettenkapazität auf 12.000 bis 1970 ist geplant. Motels und Bungalow-Dörfer sollen gebaut werden.
6. Planung und Reorganisation der Touristik
Staatliche und wissenschaftliche Institutionen beschäftigen sich in steigendem Maße mit den Problemen der T. Seit 1965 werden am Lehrstuhl „Ökonomie des Fremdenverkehrs“ an der Hochschule für [S. 656]Verkehrswesen „Friedrich List“, Dresden, Ingenieur-Ökonomen für den Einsatz im Reisebüro ausgebildet. 1966 war in der Staatlichen Plankommission eine Forschungsgemeinschaft „Fremdenverkehr“ gebildet worden. Sie untersuchte die Bedarfsentwicklung, Möglichkeiten der Bedarfsdeckung sowie die Leitung und Planung der T. Die Errichtung eines Staatssekretariats für den Fremdenverkehr wurde unter Hinweis auf die Entwicklung der Auslands-T. gefordert. In seit 1966 durchgeführten Untersuchungen wird die Forderung erhoben, folgende spezielle Probleme der T. vorrangig zu behandeln: 1) Verstärkung der Arbeit für die Planung und Leitung der T.; 2) Beschaffung von Grundinformationen über Freizeit- und Urlaubsverhalten in- und ausländischer Touristen zur Ermittlung der touristischen Bedarfsdeckung; 3) Schaffung einer einheitlichen Fremdenverkehrswirtschaft. Diese Forderungen werden insbesondere im Hinblick auf den steigenden Individualtourismus und die organisatorische und institutionelle Zersplitterung der T. auf verschiedene „Ferienträger“ als besonders aktuell hervorgehoben.
Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 653–656