
Warschauer Beistandspakt (1969)
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Zwischen der UdSSR, Albanien, Bulgarien, der „DDR“, Polen, Rumänien, der Tschechoslowakei und Ungarn wurde in Warschau am 14. 5. 1955 auf 20 Jahre ein Vertrag zur gegenseitigen militärischen Hilfeleistung vereinbart. Dieser WB. soll im Falle eines Angriffs auf einen oder mehrere Unterzeichnerstaaten in Europa gelten.
Die Teilnehmer des WB. behaupten seit je, er sei allein hervorgerufen durch Angriffsvorbereitungen des NATO-Blocks und die (am 5. 5. 1955 besiegelte) Einfügung der BRD in die NATO. In Wirklichkeit aber ergänzt der WB. nur: 1. die Beistandspakte, die die SU 1943 mit der Tschechoslowakei, 1945 mit Polen und 1948 mit Rumänien, Ungarn und Bulgarien schloß; 2. einige Beistandsverträge zwischen den Satelliten (1947–1948). Und tatsächlich ist die NATO nur eine Verteidigungsorganisation, die durch die gewaltsame Außenpolitik der von Stalin geprägten und geführten SU verursacht worden war. (Hier sind vor allem zu nennen: die Sowjetisierung der Länder Ost- und Südosteuropas, die Blockade West-Berlins, die Unterstützung der griechischen KP im Bürgerkrieg und Nordkoreas.)
Wesentlich ist, daß der WB. die milit. und polit. Vorherrschaft der SU über die europäischen „Volksdemokratien“ beträchtlich verstärkt. Die §§ 3 und 4 sehen gegenseitige „Konsultation“ bei drohender Gefahr eines bewaffneten Angriffs vor. Dafür besteht (lt. § 6) der „Politische Beratende Ausschuß“. Seit Jan. 1956 hat dieser an sich nichtständige Ausschuß zwei Hilfsorgane: eine „Ständige Kommission“ und ein „Vereintes Sekretariat“. Der WB. trat mit Hinterlegung aller Ratifizierungsurkunden am 6. 7. 1955 in Kraft. Erst am 28. 1. 1956 wurde die „DDR“ als Militärverbündeter des WB. voll anerkannt; denn ihre Streitkräfte waren bis zum 18. 1. 1956 nur als Kasernierte Volkspolizei aufgetreten. Nun aber brachte die „DDR“ ihre gesamte Nationale Volksarmee in den WB. ein. Nach den nichtdeutschen Textfassungen des § 4, Abs. 1 des WB. bestimmt „jeder Teilnehmerstaat des Vertrages“ die Art, in der er im Bündnisfall „sofortigen Beistand individuell und in Vereinbarung mit den anderen Teilnehmerstaaten des Vertrages mit allen Mitteln, die ihm erforderlich scheinen“, leistet. Der deutsche, für die „DDR“ maßgebende Text des WB. lautet „… mit allen Mitteln, die ihnen erforderlich scheinen“. Dieser Unterschied zeigt, daß die „DDR“ schon formell mindere Rechte hat, da nur sie dem Willen der anderen Mitgl. des WB. unterliegt.
Seit 28. 6. 1956 hat der Minister für Nationale Verteidigung der „DDR“ die Stellung eines der Stellv. des Oberkommandierenden der Vereinigten Streitkräfte der Teilnehmerstaaten des WB. (Militärpolitik) Unter der Bezeichnung „Vereintes Kommando“ hat (lt. § 5) der WB. ein eigenes zentrales Oberkommando für jene Teile der Streitkräfte der Teilnehmerstaaten, die dem WB. zur Verfügung gestellt sind; denn nur die Streitkräfte der „DDR“ gehören als ganze den „Vereinigten Streitkräften“ des WB. an. Sitz: Moskau.
An der Spitze des „Vereinten Kommandos“ wirkt ein Oberbefehlshaber, den ein Stab der „Vereinten Streitkräfte“ unterstützt. Seine 8 Stellv. sind Verteidigungsminister oder andere Generale der Mitgliedstaaten. Seit Jan. 1956 ist die Stelle des Oberbefehlshabers stets von einem Sowjetgeneral besetzt.
Oberbefehlshaber ist seit 7. 7. 1967 Marschall Iwan I. Jakubowski. (Vorgänger: Marschall Iwan St. Konjew bis 22. 7. 1960; danach Marschall Andrej A. Gretschko.) Er ist zugleich einer der Stellv. des Verteidigungsmin. der SU.
Die milit. Stärke des WB. ist, verglichen mit jener der NATO, unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahlen der NATO-Staaten, sehr beträchtlich. Dieses machtpolit. Gewicht des WB. nahm in den letzten Jahren wesentlich zu. Seit 1963 erhielten die Armeen des WB. stärkere Panzer, Geschütze und Flugzeuge, großenteils Modelle, die auch die Sowjetarmee besitzt. Die Bewaffnung und die Kaliber der Armeen des WB. sind fast völlig vereinheitlicht worden.
Dennoch erhielten die „verbündeten“ Satelliten der SU weder strategische Bombenflugzeuge noch strategische Raketen. Ebenso behielt die SU die Atomwaffen und die Atomsprengköpfe für die leichten Raketen, die die anderen Mitglieder des WB. besitzen dürfen. Auch wurde die gesamte Luftverteidigung der Mitgliedstaaten mit jener der SU eng verbunden und ihr unterstellt.
Die militärische Schlagkraft des WB. wurde noch dadurch vergrößert, daß die Aufmarscheisenbahnen und -straßen, Nachschublinien und Erdöl-Röhrenleitungen zwischen der SU und den Satellitenstaaten in den letzten Jahren sehr verbessert wurden. Viel stärker als bisher ist die SU in der Lage, Großverbände über weite Entfernungen schnell durch die Luft zu befördern. — Die Einsetzbarkeit des WB. wurde erprobt und erhöht in den gemeinsamen Manövern (Quartett 1963 und Oktobersturm 1965 in Mitteldeutschland; dreiseitige Manöver 1964 in Bulgarien; Moldau 1966 in der Tschechoslowakei).
Die Hebung der militärischen Schlagkraft und des Rüstungsstandes der NVA führte 1965 zu ihrer Einfügung in die „1. Strategische Staffel“ des WB., in die Gruppierung von Kräften, die für eine offensive Mitwirkung an einer bewaffneten Auseinandersetzung bestimmt sind.
Im Juni 1967 fanden in Mecklenburg, Pommern und Nordpolen mehrstufige Übungen von Armee-, Armeekorps- und Divisionsstäben statt, an denen die Armeen der SU, Polens und der „DDR“ beteiligt waren. An der Kommandostabs-Übung „Böhmerwald“ (Sumava) vom 20. 6.–11. 7. 1968 waren die Armeen der SU, Polens, der CS SR, der „DDR“ und Ungarns beteiligt. Diese große Rahmenübung gehörte zu der Vorbereitung des Handstreiches gegen die ČSSR. Diesem Vorbereitungszweck dienten vom 29. 7. bis etwa 10. 8. 1968 ebenfalls die „Nachschub-Manöver“ von Truppen der SU, Polens und der „DDR“ auf polnischem, polnisch besetztem und mitteldeutschem [S. 701]Gebiet und die Übungen von Nachrichtentruppen der SU, Polens und der „DDR“, die seit 11. 8. 1968 in der Westukraine und im Süden Polens, in Schlesien und im Süden der „DDR“ abgehalten wurden. Diese Nachrichtenübung leitete am 21. 8. 1967 unmittelbar in die Besetzung der ČSSR über, an der alle Armeen des Warschauer Pakt-Blockes mitwirkten, außer denen Rumäniens und der ČSSR. Die Besetzungsoperation vom 21. 8. 1968 bewies wiederum das gefährliche Gewicht der Kerngruppe des Paktblockes.
Fast unbemerkt vollzog sich vom 11. bis 19. 7. 1968 das große Seemanöver „Nord“ (= Sewer) in der Ost- und Nordsee, im Nordatlantik und im Nördlichen Eismeer. Außer der Sowjetmarine nahmen die Seestreitkräfte Polens und der „DDR“ teil. Dieses Großmanöver, das als Kommando-Stabsübung bezeichnet wurde, war mit Landungsübungen und Luftoperationen verbunden.
Die Streitkräfte Albaniens stehen seit der Verschärfung des Chinesisch-Sowjetischen Konfliktes (1962) dem WB. nicht mehr zur Verfügung. Am 13. 9. 1968 trat Albanien aus dem WB. aus. Doch schmälert der Ausfall dieser nur geringfügigen Kräfte nicht das Gewicht des WB.
Die Operativplanung des Oberkommandos des WB. zielt darauf ab, kriegerische Lösungen durch angriffsweise Maßnahmen schnell zu erreichen. Wie das Manöver 1965 zeigte, will der WB. auch kommun. und sympathisierende Partisanenkräfte einsetzen.
Die zweiseitigen Beistandspakte, die formell unabhängig vom WB. seit 1964 die meisten Mitgliedstaaten des WB. untereinander abgeschlossen haben, so z. B. auch die „DDR“ mit der SU, Polen, Tschechoslowakei, Ungarn und Bulgarien (Außenpolitik, Teil 3), ergänzen den WB. Sie würden auch bei etwaiger Auflösung des WB. sein Weiterwirken sichern.
Literaturangaben
- Brzezinski, Zbigniew K.: Der Sowjetblock — Einheit und Konflikt (a. d. Amerik.). Köln 1962, Kiepenheuer und Witsch. 581 S.
- Dallin, David J.: Die sowjetische Außenpolitik seit Stalins Tod (a. d. Amerik.). Köln 1961, Kiepenheuer und Witsch. 640 S.
- Meissner, Boris: Das Ostpaktsystem (Dokumente, hrsg. v. d. Forschungsstelle für Völkerrecht … der Universität Hamburg, H. 18). Frankfurt a. M. 1955, Alfred Metzner. 208 S.
Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 700–701