DDR von A-Z, Band 1969

Zivilprozeß (1969)

 

 

Siehe auch die Jahre 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1975 1979 1985


 

Die 1958 vom Justizministerium für den 1. 1. 1963 angekündigte neue sozialistische Zivilprozeßordnung (ZPO) liegt bisher noch nicht im Entwurf vor (Zivilgesetzbuch). Die deshalb noch immer gültige deutsche ZPO ist aber in ihrem Inhalt durch die gerichtliche Praxis und durch gesetzliche Bestimmungen grundlegend verändert worden.

 

Ausgehend von den im § 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes niedergelegten Aufgaben der Rechtsprechung (Rechtswesen), sind der Verhandlungs- und der Verfügungsgrundsatz, auf denen der deutsche Z. beruht, beseitigt worden. („Die noch geltenden alten Normen sind kein Hindernis dafür, die Zivilverfahren in sozialistischer Weise durchzuführen“, Nathan, Neue Justiz 1959, S. 592). Die Gerichte haben von sich aus die objektive Wahrheit zu ermitteln. Sie sind dabei nicht an die Beweisanträge der Parteien gebunden. Es darf keine Anerkenntnis- und Versäumnisurteile oder Vergleiche geben, die nicht im Einklang mit der Rechts- und Gesellschaftsordnung der „DDR“ stehen. Durch den neuen „sozialistischen Arbeitsstil“ wird das Gericht auch im Z. zu einem „aktiv handelnden Staatsorgan, das mit seiner rechtsprechenden Tätigkeit staatliche Leitungsfunktionen verwirklicht, indem es in enger Zusammenarbeit mit den örtlichen Organen aktiv zur Lösung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Hauptaufgabe beiträgt“. Das Gericht bestimmt selbst den Umfang der Untersuchungen und deckt dadurch „die gesellschaftlichen Hintergründe der auftretenden Konflikte auf und beseitigt die hemmenden Ursachen selbst oder mit Hilfe der örtlichen Organe und des Staatsanwaltes“. Zur Erhöhung der erzieherischen Wirkung des Z. sollen geeignete Verhandlungen vor „erweiterter Öffentlichkeit“ durchgeführt werden (Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung, Schauprozeß).

 

Zur Wahrung der sozialistischen Gesetzlichkeit in der Rechtsprechung und zur Sicherung der staatlichen und gesellschaftlichen Interessen hat der Staatsanwalt das Recht, in Zivil- und Familienrechtsverfahren durch Teilnahme an den Verhandlungen, Einreichung von Schriftsätzen und Rechtsgutachten mitzuwirken. Der Staatsanwalt kann selbständig Klage erheben (ausgenommen in Eheverfahren) und Anträge stellen. Neben der Möglichkeit, die Kassation rechtskräftiger Entscheidungen zu beantragen, hat er das Recht, erstinstanzliche Urteile mit dem Protest anzufechten (§§ 22 bis 24 des „Gesetzes über die Staatsanwaltschaft der DDR“ v. 17. 4. 1963).

 

Anwaltsvertretung ist in allen Berufungsverfahren notwendig. Das Gericht kann jedoch von der Vorschrift des Anwaltszwanges befreien. VEB können sich im Anwaltsprozeß durch eigene Angestellte vertreten lassen (Rechtsanwaltschaft). Flüchtlingen darf das Armenrecht nicht bewilligt werden. Sie sind nicht mehr legitimiert, über ihr in Mitteldeutschland gelegenes Vermögen Prozesse zu führen.

 

Das Verfahren in Familiensachen richtet sich nach der „Familienverfahrensordnung“ v. 17. 2. 1966 (GBl. II, S. 171), in der die für die künftige ZPO maßgeblichen Grundgesetze bereits verwirklicht worden sind (Familienrecht). Die Verfahren in Ehesachen sind wie alle übrigen Verhandlungen grundsätzlich öffentlich.

 

Die Zuständigkeit und die Zusammensetzung der Gerichte sind im Gerichtsverfassungsgesetz (Gerichtsverfassung) geregelt. Durch die Angleichungsverordnung v. 4. 10. 1952 sind die Vorschriften der ZPO den Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes v. 2. 10. 1952 angepaßt worden. Die Aufgaben des früheren Rechtspflegers, insbesondere im Mahnverfahren und in der Zwangsvollstreckung, sind dem Sekretär des Gerichts übertragen worden.

 

Alle vermögensrechtlichen Streitigkeiten zwischen sozialistischen Betrieben und sämtliche Streitfälle bei der Gestaltung und Erfüllung von Verträgen im Rahmen des Vertragssystems fallen in die Zuständigkeit des Staatlichen Vertragsgerichts.

 

Schon vor dem eigentlichen Z. ist eine „gesellschaftliche Tätigkeit zur Beseitigung des Konfliktes und seiner Ursachen“ zu entfalten. Hierbei sind neue Formen zu entwickeln, durch die „die gesellschaftlichen Kräfte in noch größerem Umfange in die Lösung ziviler Rechtsstreitigkeiten einbezogen und so die Werktätigen befähigt werden, ihre Angelegenheiten selbst im Prozeß der gegenseitigen gesellschaftlichen Erziehung zu lösen“. Einfache zivilrechtliche Streitigkeiten sind von den Konfliktkommissionen und den Schiedskommissionen zur gütlichen Beilegung zu behandeln (gesellschaftliche Gerichte).

 

Die Zahl der Z. ist hauptsächlich infolge der Sozialisierung der Wirtschaft ständig von 78.315 Zivilsachen im Jahre 1956 auf 30.265 im Jahre 1967 zurückgegangen. Dagegen nahmen die Familiensachen in derselben Zeit von 73.345 auf 63.638 nur unwesentlich ab (Ehescheidungen).

 

Urteile von Gerichten der BRD bedürfen für ihre Wirksamkeit in der „DDR“ neuerdings der Bestätigung durch das Justizministerium der „DDR“.

 

Literaturangaben

  • Rosenthal, Walther, Richard Lange, und Arwed Blomeyer: Die Justiz in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. 4., überarb. Aufl. (BB) 1959. 206 S.

 

Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 749


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.