Agitation und Propaganda (1969)
Siehe auch:
Begriff und Methoden politischer P. gehören überall zum Prozeß der politischen Willensbildung, der Doppelbegriff AuP. jedoch ist Bestandteil der kommun. Theorie der Massenbeeinflussung und als solcher genau determiniert.
1. Begriffsbestimmung. Die Bedeutung von AuP. für die politische Praxis der kommun. Parteien wird aus der Lehre von der „aktiven revolutionären Rolle“ des „Überbaus“ abgeleitet, mit der Stalin die marxistische Theorie revidierte (Marxismus-Leninismus) und die „kalte Revolution von oben“ rechtfertigte. Im Grunde erst mit der Umkehrung der Basis-Überbau-Theorie — deren Einschränkung durch Friedrich Engels die späteren Ideologen des Marxismus-Leninismus übersehen hatten — wurde dem „Vortrupp der Arbeiterklasse“, der „Partei neuen Typs“ (SED), die Aufgabe gestellt, „das sozialistische Bewußtsein in die Massen zu tragen“. AuP. sind die Mittel dazu, und zwar verschiedene Mittel: „Der Propagandist vermittelt viele Ideen an eine oder mehrere Personen, der Agitator aber vermittelt nur eine oder wenige Ideen, dafür aber vermittelt er sie an eine ganze Menge von Personen“ (Lenin in „Was tun?“). Begriffsbestimmungen aus jüngster Zeit differenzieren noch genauer; danach ist A. „politisches Einwirken auf Bewußtsein und Stimmung der Volksmassen durch Verbreitung bestimmter Ideen und Losungen“ („Meyers Neues Lexikon“, Leipzig 1961, in fast wörtlicher Anlehnung an die „Große Sowjetische Enzyklopädie“), während unter P. eine auf die „Aneignung und Verbreitung der Grundsätze und Lehren des Marxismus-Leninismus“ gerichtete Tätigkeit verstanden wird, die sich „zum Unterschied von der A. in erster Linie an die Mitglieder der Partei und die Mitglieder der Massenorganisationen wendet“ („Einheit“, Ostberlin 1951, S. 670).
2. Die besondere Bedeutung von AuP. für den Aufbau des kommun. Herrschaftssystems in Mitteldeutschland. In der SBZ und später in der „DDR“ waren die KPD/SED und deren Herrschaftsapparat auf die Wirkungsmittel von AuP. vor allem deshalb angewiesen, weil die Umwälzung der gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse unter dem Druck der sowjet. Besatzungsmacht vollzogen worden war und das „revolutionäre Bewußtsein der Massen“, das die Voraussetzung dieser Ver[S. 14]änderungen hätte sein sollen, nun nachträglich erzeugt werden mußte. Während die oben zitierte Begriffs- und Funktionsbestimmung von AuP. auf eine vorrevolutionäre Situation bezogen war, wurden AuP. in der SBZ/„DDR“ als Instrument einer totalitären Partei und des von ihr beherrschten Staatsapparates eingesetzt; da die Sicherungen, die unter rechtsstaatlichen Verhältnissen die Wirkung und vor allem den Mißbrauch der P. begrenzen, in der SBZ/„DDR“ wie in allen totalitären oder autoritären Strukturen ausgeschaltet waren, durchdrangen die Methoden von AuP. das gesamte öffentliche Leben und wurden nur dadurch gehemmt, daß der Herrschaftsbereich der SED sich beim heutigen Stande der Kommunikationstechnik nicht völlig gegen Informationen von außen abdichten ließ; auch mußten die doktrinär-repressiven Tendenzen der „Bewußtseinsbildung“ früher oder später mit dem Sachverstand der Nicht-Nur-Politiker in Konflikt geraten.
3. Die Institutionen des Parteiapparates für AuP. Die allgemeinen Tendenzen der kommun. AuP. werden durch die Ideologische Kommission beim Politbüro des ZK der SED festgelegt; eine Agitationskommission und je eine Abteilung des ZK für A. und für P. leiten die Tätigkeit des Parteiapparates, der Nationalen Front und der Massenorganisationen (unter ihnen vor allem des FDGB) an.
4. Aufgaben und Wirkungsmittel der P. Aufgabe der P. im Sinne der zitierten Unterscheidung ist institutionell die Entwicklung der Kader, also des Funktionärsnachwuchses für alle Stufen des Partei- und Staatsapparates, inhaltlich vor allem die Vermittlung der Ideologie des Marxismus–Leninismus, die Anleitung zu ihrer praktischen Anwendung, neuerdings auch die Aneignung sozialökonomischer Grundkenntnisse (im weitesten Sinne). P. in diesem Sinne beginnt zwar schon in der Schule mit dem Unterricht der Staatsbürgerkunde, ist aber in der Hauptsache doch der Partei und den Massenorganisationen vorbehalten, die für diesen Zweck einen umfangreichen Apparat von Einrichtungen der Internats- und Externatsschulung (Schulung) unterhalten; auch ein erheblicher Teil der Publikationen der SED, vor allem die Zeitschriften und Broschüren für die Funktionäre, dienen diesem Zweck.
5. Methoden und Mittel der A. Ungleich vielfältiger ist das Instrumentarium der A. Es reicht von den ursprünglich bolschewistischen Mitteln der mündlichen oder schriftlichen A. über die „Sichtwerbung“, über Presse, Rundfunk und Film, über die „kulturelle Massenarbeit“, Kabarett und „Agitprop“ bis hinein in das Theater, die Literatur, die bildende Kunst und Musik und nimmt damit die persönliche Mitwirkung der Bürger in den Betrieben und Wohngebieten, vor allem aber auch eines großen Teiles der Kulturschaffenden in Anspruch, die sich solcher Indienststellung für die Zwecke der herrschenden Partei kaum entziehen können. Ein A.-Mittel besonderer Art sind zeitlich begrenzte Kampagnen aus Anlaß von Wahlen oder von Aktionen wie der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft im Frühjahr 1960, bei denen die verschiedenen Methoden der A. massiert angewandt werden, um Perioden der Stagnation zu überwinden oder gesellschaftspolitische Entwicklungen im revolutionären Sinne vorwärtszutreiben.
Die mündliche A. am Arbeitsplatz oder in der Hausgemeinschaft gilt zwar als klassisches Mittel und ist für die SED insofern von besonderer Bedeutung, als sie die unerläßliche Verbindung zur „Basis“, zu den „werktätigen Massen“, darstellt; ihre Wirkung wird aber dadurch beeinträchtigt, daß sie sich auf ein Heer meist unter Druck rekrutierter und unzulänglich geschulter Funktionäre stützen muß, die zudem von der Bevölkerung vielfach mit Recht als Spitzel (Spitzelwesen) angesehen werden. — Der mündlichen A., beschönigend (wie in der NS-Zeit) auch als „Aufklärung“ bezeichnet, dienten und dienen z. T. heute noch an größeren Orten Agitationslokale, die von der Nationalen Front eingerichtet wurden und in denen die Besucher auch agitatorisches Schrifttum der SED finden. — Eine moderne Spielart der mündlichen A. bedient sich des Sprechfunks in Betrieben, Eisenbahnzügen und auf öffentlichen Plätzen. — Die schriftliche A., deren Bedeutung seit den fünfziger Jahren erheblich zurückgegangen ist, benutzt vor allem die Schwarzen Bretter oder „Roten Ecken“ in Betrieben und Schulen, die Betriebs- und Dorf Zeitungen; auch die Sichtwerbung durch Plakate und Transparente auf Plätzen und Straßen, in Bahnhöfen, Fabrikhallen, Wartezimmern usw. gehört hierhin. Diese Form der A., die zeitweise das Straßenbild Mitteldeutschlands in einer für westliche Besucher befremdlichen Weise beherrschte, wird heute nur noch an der Demarkationslinie und an den Berliner Sektorengrenzen oder aus besonderen Anlässen mit größerem Aufwand betrieben. Dabei dienen die Losungen der Partei als Leitmotive.
Die agitatorische Funktion von Presse, Rundfunk und Fernsehen ist durch das staatliche Nachrichtenmonopol (Nachrichtenpolitik) und durch die Steuerung dieser Kommunikationsmittel gesichert; korrigierende Wirkungen gehen jedoch vom Empfang westlicher Rundfunk- und Fernsehsendungen aus, den das Regime nicht zu unterbinden vermag. Auf unmittelbare Aktivierung des Einzelnen wie der Massen zielen von den mehr oder weniger künstlerischen Mitteln der A. der Film (vor allem natürlich der Nachrichten-, Informations- und Instruktionsfilm; Filmwesen) und die unter dem Sammelbegriff Agitprop betriebenen Gattungen von „Gebrauchskunst“ (Rezitation, Sprechchor, Kampflied, kabarettistische Darbietungen; Kabarett), die ohne großen szenarischen Aufwand im Betrieb, auf Versammlungen, in Kulturhäusern und auf der Straße (gemischte Programme unter dem Sammelnamen „Estrade“) vorgetragen werden. Von dieser Spielart der A. ist vor allem die kulturelle Massenarbeit durchsetzt —, mit entsprechender Auswirkung auf ihr allgemeines Niveau.
Auch die „reine“ Kunst steht weithin im Dienst der A. (Bildende Kunst), ihr wird aufgegeben, das „Bild des sozialistischen Menschen zu entwerfen und als erstrebenswert auf die Menschen wirken zu lassen“, „die historische Bedeutung der DDR tief zu erfassen“ und „das Klassenbewußtsein auf die Höhe der Zeit zu erheben“ (Beschluß des Staatsrates vom 30. 11. 1967), dies alles „in Werken des sozialistischen [S. 15] Realismus von hoher Qualität“, also unter Auflage eines bestimmten, ideologisch begründeten Formprinzips (Sozialistischer Realismus).
6. Ausstrahlungen kommunist. A. in die BRD. Schon früh setzten die Bemühungen der SED ein, den Wirkungsbereich ihrer A. auch auf die BRD und das „kapitalistische Ausland“ auszudehnen. Für diesen Zweck wurden erhebliche Mittel und besondere Organisationen eingesetzt. Als Medien dienten — von den Agenten abgesehen — vor allem Rundfunk und A.-Literatur, in den fünfziger Jahren auch der Austausch von „Delegationen“. Einige dieser Wege schnitt die SED selbst durch die Sperrmaßnahmen von 1961 ab. Im übrigen entsprachen die Wirkungen dieser Tätigkeit in der BRD zu keiner Zeit den Erwartungen der SED oder dem organisatorischen und finanziellen Aufwand (Infiltration). Neuerdings finden sich Ausstrahlungen der kommunist. A. der SED in der Argumentation einiger Gruppen der sogenannten außerparlamentarischen Opposition in der BRD.
Literaturangaben
- Richert, Ernst (zus. m. Carola Stern und Peter Dietrich): Agitation und Propaganda — das System der publizistischen Massenführung in der Sowjetzone (Schr. d. Inst. f. pol. Wissenschaft, Berlin, Bd. 10). Berlin 1958, Franz Vahlen. 320 S.
Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 13–15
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