DDR von A-Z, Band 1969

Arbeitsnormen (1969)

 

 

Siehe auch:


 

Nach sowjet. Vorbild allgemein eingeführte Bemessungsgrundlage des Lohns bei der Ausführung von Arbeiten im Stücklohn. Als A. gilt entweder die Menge der Arbeitseinheiten (Stück, Einzelteil, Los), die in einer bestimmten Zeiteinheit (Stunde, Schicht) zu fertigen sind („Stücknorm“), oder die vorgegebene Zeit, in der eine bestimmte Arbeitseinheit herzustellen ist („Zeitnorm“). Die gebräuchlichste Form ist die „Zeitnorm“.

 

Nach dem Gesetzbuch der Arbeit sollen die A. zwar „unter Mitwirkung der Werktätigen“ ausgearbeitet worden, sie werden aber vom Betriebsleiter — gegebenenfalls auch trotz des Widerspruchs des betroffenen Arbeiters — in Kraft gesetzt. A. sollen geändert werden, wenn die technischen Bedingungen verändert wurden oder wenn die verbesserte Organisation den Umfang der Arbeiten verringerte. Die kontinuierliche Kürzung der Zeitvorgaben in den A. gehört zum wesentlichen Inhalt der Lohnpolitik des Regimes.

 

Die gültigen A. sind nur zu etwa 40 v. H. exakt nach den Arbeitsvorgängen als sog. Technische Arbeitsnormen (TAN) ermittelt. Sie beruhen im übrigen auf mehr oder weniger willkürlichen „Erfahrungswerten“ und sind — obwohl zum Teil schon Jahre in [S. 38]Kraft — als „vorläufige Arbeitsnormen“ (abgekürzt „VAN“) gültig.

 

Der völlig ungenügende Stand in der technischen Arbeitsnormung hat im wesentlichen drei Ursachen: den allzu häufig noch immer unkontinuierlichen Fertigungsablauf, die unbefriedigenden Fortschritte in der Fertigungstechnik und den Mangel an ausgebildetem Personal für die Normzeitermittlung. Während des Neuaufbaus nach dem Kriege war noch eine größere Anzahl von Fachleuten verfügbar, die einiges von Arbeitsplatz- und Arbeitsablaufstudien verstanden. Je deutlicher aber der ideologische Pferdefuß der kommun. Spielart der Arbeitsnormung zutage trat, um so mehr zogen sich diese Fachleute zurück. Ihre Stellungen wurden von Arbeitsnormern eingenommen, die in Schnellkursen für diese Tätigkeit notdürftig geschult worden waren. Das Regime hat mancherlei unternommen, um in ausreichender Zahl auch technisch versierte Arbeitsnormer heranzubilden, fand aber bei dem in Frage kommenden Personenkreis nur geringes Interesse an einer solchen Tätigkeit. Das ist verständlich, denn unter den vorliegenden Bedingungen verlangt man von den Arbeitsnormern Unmögliches: Sie sollen die bestehenden „vorläufigen Arbeitsnormen“ (VAN) zu „technisch-begründeten Arbeitsnormen“ (TAN) machen, neue TAN für neu aufgenommene Produktionen ausarbeiten und sämtliche bestehenden TAN ständig hinsichtlich ihrer Richtigkeit unter Kontrolle halten und gegebenenfalls neu festsetzen. Das sind Aufgaben, die die jetzt verfügbaren Arbeitsnormer auch dann keinesfalls bewältigen könnten, wenn sie durchweg versierte Fachleute wären, denn die Zahl der A. beträgt viele Millionen.

 

Seit Anfang 1965 ist dem SED-Regime klar geworden, daß eine grundlegende Änderung der Arbeitsnormung erforderlich ist, wenn dieses System der Lohnbemessung die ihm zugedachte Rolle des Stimulans für Leistungserhöhungen erfüllen soll.

 

Eine erste Maßnahme war die Unterstellung der Arbeitsnormung in den Betrieben unter den Technischen Direktor (vorher war der Arbeitsdirektor zuständig). Noch wichtiger ist die für die nächsten Jahre vorgesehene Ablösung der Arbeitsnormer alten Typs durch Absolventen Technischer Hochschulen und Fachschulen. Die bisherigen Arbeitsnormer sollen künftig nur noch dann tätig bleiben dürfen, wenn sie durch Weiterbildung mindestens das Qualifikationsniveau eines Technikers erwerben. Seit einigen Jahren sind an den mitteldeutschen Hoch- und Fachschulen neue Fachrichtungen unter der Bezeichnung „Arbeitsstudienwesen und Arbeitsgestaltung“ eingerichtet worden. Es wird aber noch Jahre dauern, bis eine ausreichende Anzahl gut ausgebildeter Arbeitsnormer verfügbar sein kann. Man muß hoffen, daß im Zusammenhang mit der Ausbildung solcher Fachleute endlich auch die Grundlagen für ein moderneres und gerechteres Leistungslohnsystem erarbeitet werden, das auf exakten Ermittlungen des Arbeitszeitaufwandes beruht, das qualitative Leistungsmerkmale vernünftig einbezieht und das vor allem auch die Arbeiter an den Produktivitätsfortschritten teilhaben läßt.

 

Literaturangaben

  • Haas, Gerhard, und Alfred Leutwein: Die rechtliche und soziale Lage der Arbeitnehmer in der sowjetischen Besatzungszone. 5., erw. Aufl. (BB) 1959. Teil I (Text) 264 S., Teil II (Anlagen) 162 S.
  • Mampel, Siegfried: Das Gesetzbuch der Arbeit der Sowjetzone und das Arbeitsrecht der Bundesrepublik Deutschland — ein Vergleich. 5. Aufl. (hrsg. v. Bundesmin. für Arbeit …). Bonn 1962. 64 S.

 

Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 37–38


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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