DDR von A-Z, Band 1969

 

Außenwirtschaft (1969)

 

 

Siehe auch:

 

Als hochentwickeltes Industrieland mit schmaler Rohstoffbasis und großer Bevölkerungsdichte war Deutschland schon immer in beträchtlichem Maße auf seine außenwirtschaftlichen Beziehungen angewiesen. In noch stärkerem Maße gilt dies für die heute getrennten Teile Deutschlands. Der Export bildet die Voraussetzung, um die erforderlichen Grund- und Rohstoffe sowie zusätzliche Nahrungsgüter importieren zu können. Die Steigerung der industriellen Produktion und damit die Steigerung des Lebensstandards sind ohne Steigerung der Exporte nicht vorstellbar.

 

Westdeutschland hat nach 1945 ein wesentlich höheres außenwirtschaftliches Niveau [S. 69]als Mitteldeutschland erreicht. Der Außenhandelsumsatz, umgerechnet auf den Kopf der Bevölkerung, belief sich 1967 in der BRD auf 2.626 DM und in der „DDR“ auf 1.660 M, so daß das Niveau des mitteldeutschen Außenhandels nur 60 v. H. des westdeutschen beträgt.

 

Ursachen für diesen Rückstand sind vor allem: 1. Ausrichtung der mitteldeutschen A. auf die Ostblockländer, insbesondere die Sowjetunion, bei gleichzeitiger Desintegration des ehemals einheitlichen deutschen Wirtschaftsraums. 2. Unterordnung der Wirtschafts- und A.-Politik unter ideologische und politische Leitgedanken. 3. Bis heute nicht überwundene Funktionsschwächen des nach sowjetischem Vorbild umgestalteten Wirtschaftssystems.

 

Andererseits kommt dem hochindustrialisierten mitteldeutschen Gebiet eine überragende Bedeutung in dem unter sowjetischer Führung stehenden östlichen Wirtschaftssystem zu. Dem relativ geringen Anteil der „DDR“ an Raum und Bevölkerung des Ostblocks steht ein relativ bedeutender Anteil an seiner Warenproduktion und seinem gesamten Außenhandelsumsatz gegenüber.

 

1. Die Entwicklung des mitteldeutschen Außenhandels

 

 

Der industrielle Wiederaufbau, der mit Beendigung der Beute- und Demontageaktionen eingeleitet wurde, war von zwei Leitgedanken bestimmt. Der erste bestand darin, das Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone vom traditionellen Warenbezug aus Westdeutschland soweit wie möglich unabhängig zu machen. Diesem Zweck dienten die Verbreiterung der metallurgischen Basis, die Vergrößerung der Kapazitäten im Maschinenbau, der Ausbau der Werftindustrie sowie bestimmter lebenswichtiger Zweige der Konsumgüterindustrie, wie z. B. der pharmazeutischen Industrie und der Fischkonservenindustrie. Besonders der 1. Fünfjahrplan war durch diese autarkischen Tendenzen charakterisiert. Ihnen lagen die stalinschen Thesen vom „Aufbau des Sozialismus in einem Lande“, von der „planmäßigen und proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft“ sowie vom „Zerfall des ehemals einheitlichen Weltmarktes in zwei getrennte Weltmärkte“ zugrunde. Diese Thesen führten sowohl zur Absonderung vom Weltmarkt, als auch zur Bevorzugung der Schwer- und Investitionsgüterindustrien ohne Rücksicht auf die jeweiligen ökonomischen Gegebenheiten und die Interessen der Bevölkerung.

 

Der zweite Leitgedanke bestand darin, Mitteldeutschland zum Lieferanten des Ostblocks für bestimmte hochwertige Industrieerzeugnisse zu entwickeln, wobei die Interessen der sowjetischen Industrialisierungspläne und anfänglich die sowjetischen Reparationsforderungen im Vordergrund standen. Dieser Tendenz gemäß wurden vor allem der Maschinen- und Apparatebau, die Elektrotechnik, die Feinmechanik und Optik und die chemische Industrie ausgebaut. (Industrie, chemische Industrie, Wirtschaft, Maschinenbau)

 

Der Anteil der Ostblockländer am mitteldeutschen Außenhandel belief sich 1950 auf 62,5 v. H. und stieg 1953 auf 76,4 v. H. an (Kohlmey, „Der demokratische Weltmarkt“, [Ost-]Berlin 1956). In diesen Zahlen ist der Interzonenhandel vermutlich mit eingeschlossen. Demgegenüber belief sich der Anteil der heutigen Ostblockstaaten am Außenhandelsumsatz des Deutschen Reiches im Jahre 1936 auf etwa 16,2 v. H. (Statistisches Bundesamt, März 1954). Für das Gebiet der heutigen „DDR“ steht statistisches Material nicht zur Verfügung, jedoch wird man ohne wesentliche Fehler davon ausgehen können, daß Umfang und Warenstruktur des Außenhandels des mitteldeutschen Raumes in etwa dem des Deutschen Reiches entsprechen.

 

Entsprechend den Vorschlägen des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe schloß die „DDR“ seit 1951 mit einer Reihe von Ostblockstaaten langfristige Handelsabkommen ab; mit der Sowjetunion am 23. 9. 1951, mit Polen am 10. 11. 1951, mit Ungarn am 29. 11. 1951, mit der Tschechoslowakei am 1. 12. 1951, mit Rumänien am 23. 1. 1952, mit Nord-Korea am 6. 10. 1953. Das Ziel dieser Abkommen war, die Erfüllung der laufenden Wirtschaftspläne der Vertragspartner import- und exportseitig zu sichern; für Mitteldeutschland im besonderen kam noch die Erfüllung der Reparationsinteressen hinzu.

 

Die nachfolgende Aufstellung zeigt die Entwicklung der mitteldeutschen Außenhandelsumsätze von 1950 bis 1966:

 

[S. 70]

 

 

Diese Aufstellung zeigt, daß das Wachstumstempo des Außenhandels im Gegensatz zu den Planvorstellungen und Propagandabehauptungen der östlichen Seite starken Schwankungen unterworfen war. Diese Schwankungen waren durch außerökonomische Faktoren bedingt. 1951 wurden die Reparationsverpflichtungen um 6 Mill. Rubel verringert, was zum sprunghaften Anwachsen des Exports führte. 1954 wurden die restlichen Reparationsverpflichtungen gestrichen, und gleichzeitig wurden die SAG-Betriebe in das Eigentum der „DDR“ übergeben. 1956 wurden die Stationierungskosten der sowjetischen Truppen um 880 Mill. Devisen-Mark verringert, und 1958 wurde dieser Haushaltsposten vollständig gestrichen.

 

Auch die Entwicklung des Import-Export-Verhältnisses und damit der Handelsbilanz verlief nicht immer planmäßig. So wurden z. B. im Siebenjahrplan von 1959 bis 1965 zwar die Ziele des Außenhandelsumsatzes insgesamt in etwa erreicht, jedoch verlief die Entwicklung in bezug auf das Import-Export-Verhältnis beinahe umgekehrt. Bei einem Wachstum der industriellen Bruttoproduktion um 88 v. H. sollte das Handelsvolumen nur um 72,4 v. H. (von 14,5 Mrd. M im Jahre 1958 auf 25 Mrd. M im Jahre 1965) steigen. Dabei war die Steigerung der Exporte mit 86 v. H. der industriellen Wachstumsrate angepaßt, während die Importe nur um 57 v. H. steigen sollten. Tatsächlich ist die Entwicklung bei wesentlich geringeren Wachstumsraten in genau umgekehrter Richtung verlaufen. Von 1959 bis 1962 stieg der Gesamtaußenhandel nur um 14,9 v. H.; die Einfuhr nahm um 19 v. H. und die Ausfuhr um 10,9 v. H. zu, so daß für 1962 eine mit 5,2 Mill. Mark passive Bilanz ausgewiesen werden mußte.

 

Für 1967 wurde bei einer Ausfuhr von 13.134 Mill. Mark und einer Einfuhr von 11.970 Mill. Mark ein Aktivsaldo von 1.164 Mill. Mark ausgewiesen (Quelle: „Statistisches Jahrbuch der DDR 1968“ — zum Vergleich: Die BRD erzielte 1967 einen Ausfuhrüberschuß von 16,86 Mrd. Mark).

 

Bei der mitteldeutschen Außenhandelsbilanz ist zu beachten, daß sie vom nichtkommerziellen Außenhandel, d.h. der Einfuhr von Waffen und militärischer Ausrüstung, besonders aus der Sowjetunion, beeinflußt wird. 1956/57 wurde damit begonnen, den Ausbildungsstand der Streitkräfte systematisch zu verbessern und ihre technische Ausrüstung den Erfordernissen moderner Kriegsführung anzupassen. In Anbetracht der Abhängigkeit der „DDR“ von den anderen Warschauer-Pakt-Staaten in bezug auf Bewaffnung und technische Ausrüstung, dürften die Ausgaben hierfür einen wesentlichen Posten in der Außenhandelsbilanz ausmachen (Militärpolitik).

 

2. Waren- und Länderstruktur

 

 

Die offizielle Statistik gibt keinen hinreichenden Einblick in die Warenstruktur des mitteldeutschen Außenhandels. Für 1963 nannte der Außenhandelsminister Balkow die folgenden Werte:

 

[S. 71]

 

 

Und in der neuesten Ausgabe des Statistischen Jahrbuchs wird die Entwicklung der Warenstruktur des mitteldeutschen Außenhandels in folgenden Werten dargestellt:

 

 

Der außerordentlich hohe Exportanteil bei Maschinen und Ausrüstungen dürfte in Anbetracht des Zustandes des mitteldeutschen Produktionsapparates kaum zu verantworten sein. Zur Anhebung des Produktionsniveaus und damit zur Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt und auf dem westdeutschen Markt (Interzonenhandel) wäre eine Änderung der Warenstruktur (Drosselung der Ausfuhr von Investitionsgütern, Steigerung der Ausfuhr von Fertigerzeugnissen) erforderlich.

 

Die Länderstruktur des mitteldeutschen Außenhandels zeigt seit 1960 das folgende Bild (dabei wird in der offiziellen Statistik der „DDR“ neuerdings auch der Interzonenhandel als Außenhandel, und zwar getrennt als „Außenhandel mit West-Berlin“ und „Außenhandel mit Westdeutschland“ ausgewiesen):

 

 

[S. 72]

 

 

 

 

Danach weist der Ostanteil am Gesamtaußenhandel Mitteldeutschlands von 1963 bis 1966 eine leicht rückläufige Tendenz auf bei gleichzeitiger Zunahme der Umsätze mit den westlichen Industriestaaten und den Entwicklungsländern. Seit 1967 ist eine gegenläufige Tendenz zu beobachten, indem sich der Handelsumsatz mit kommun. Ländern anteilmäßig erhöhte, der mit der übrigen Welt zurückging. Maßgeblich waren an dieser Entwicklung die verstärkten Exporte Mitteldeutschlands in die UdSSR und die ČSSR sowie die Steigerung der Importe aus Polen beteiligt. Bemerkenswert ist auch der Rückgang des Warenaustausches mit den Entwicklungs[S. 73]ländern auf einen Anteil von 4,1 v. H. im Jahre 1968. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist der Rückgang des Warenverkehrs mit Rotchina auf rund 25 v. H. des 1960 erzielten Volumens.

 

3. Wirtschaftsgemeinschaft mit der Sowjetunion

 

 

Wenn man von einer wirtschaftlichen Verflechtung Mitteldeutschlands mit dem Ostblock spricht, so bedeutet dies in erster Linie wirtschaftliche Verflechtung mit der Sowjetunion. Dieser Prozeß begann mit der Anpassung der mitteldeutschen Industrie an die sowjetischen Reparationsforderungen; er wurde fortgesetzt mit der Ausrichtung der Wirtschaftspläne auf die sowjetischen Planziele und Industrialisierungs-Programme, der Nutzung des mitteldeutschen wissenschaftlich-technischen Potentials durch die Sowjetunion und der Einführung sowjetischer Arbeitsbedingungen („Erfahrungsaustausch mit den Werktätigen“, Arbeitspolitik, Aktivisten, Neuererbewegung).

 

Die als „Wirtschaftsgemeinschaft mit der Sowjetunion“ bezeichnete gesamtwirtschaftliche Orientierung der A. Mitteldeutschlands auf die SU ist erst in zweiter Linie eine ökonomische, in erster Linie eine politische und ideologische Frage. In diesem Sinne erklärte Ulbricht in seiner Ansprache auf dem XXIII. Parteitag der KPdSU im März 1966 in Moskau: „Auf der Grundlage unseres Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand haben wir nicht nur die ökonomischen Beziehungen, sondern auch die politische und ideologische Zusammenarbeit auf einer höheren Stufe begonnen.“ Anläßlich der Unterzeichnung des Jahresabkommens für 1967 in Moskau erklärte der „DDR“-Außenhandelsminister Soelle: „Der wichtigste Aspekt des soeben abgeschlossenen Jahresprotokolles besteht gerade darin, daß den westdeutschen Revanchisten erneut und in überzeugender Form bewiesen wird, wie aussichtslos die Versuche sind, die wirtschaftliche Entwicklung der DDR zu behindern und die DDR politisch zu erpressen.“

 

Von 1950 bis 1967 steigerte sich der Handel zwischen der „DDR“ und der UdSSR folgendermaßen:

 

 

Das im Dezember 1965 abgeschlossene Handelsabkommen für die Jahre 1966 bis 1970 sieht eine Steigerung des Warenumsatzes in diesem Zeitraum auf 60 Mrd. M vor. Die Lieferungen der SU erstrecken sich in erster Linie auf: Steinkohle, Koks, Erdöl, Eisenerz, Schwefelkies Roheisen, Walzwerkserzeugnisse, Phosphate, Nutzholz, Baumwolle, Wolle und Ölsaaten; Werkzeugmaschinen, Traktoren, Transportmittel und Erzeugnisse der elektrotechnischen Industrie und des Fernmeldewesens. Die „DDR“ exportiert in die UdSSR vor allem: Ausrüstungen für die Nahrungsmittelindustrie, die Leichtindustrie, die polygraphische und die chemische Industrie; Zementanlagen, Ölraffinerien und Walzwerksausrüstungen; Pressen, Bagger, Krane, Schiffe, Eisenbahnwaggons, Landmaschinen, Motoren, Werkzeugmaschinen und Gebrauchsgüter.

 

Über 50 v. H. des Gesamtexportes der „DDR“ in die UdSSR entfallen auf Maschinen und Ausrüstungen und etwa 10 v. H. auf Rohstoffe und Halbfabrikate. Im Import beträgt der Anteil von Rohstoffen, Materialien und Halbfabrikaten bisher dagegen rund 65 v. H. und der von Maschinen und Ausrüstungen nur 7 v. H. In Anbetracht dieser Warenstruktur läßt sich der Handel zwischen den beiden Partnern auch als Tausch von Investitionsgütern gegen Rohstoffe und Halbfabrikate charakterisieren. Dabei ist allerdings hinzuzufügen, daß nach den Bestimmungen des Handelsabkommens die Einfuhr von Maschinen und Ausrüstungen aus der SU gesteigert werden soll. Das könnte zu einer Veränderung der Warenstruktur führen.

 

Neben den Handelsbeziehungen spielt auch die produktionsseitige und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit zwischen den beiden Partnern eine wesentliche Rolle. Aus der Vielzahl dahingehender Vereinbarungen und Verträge seien angeführt:

 

[S. 74]

  • 27. 9. 1951: Abschluß eines Abkommens über gegenseitige Warenlieferungen für die Jahre 1952–1955 und eines Abkommens über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit mit der UdSSR;
  • 28. 4. 1955: Abkommen über technisch-wissenschaftliche Zusammenarbeit und Produktionshilfe bei der Entwicklung der Kernforschung;
  • 17. 7. 1956: Abkommen über technische Hilfe zur Errichtung des Atomkraftwerkes;
  • 30. 11. 1956: Abkommen über technische Hilfe bei Erdölerkundungsarbeiten;
  • 22. 10. 1958: Abkommen über technische Hilfe der UdSSR beim Bau des EYW Schwedt-Oder;
  • 28. 12. 1961: Abkommen zwischen der „DDR“ und der UdSSR über die Erweiterung der Zusammenarbeit bei der friedlichen Ausnutzung der Atomenergie;
  • 24. 8. 1964: Abkommen über die technische Unterstützung der „DDR“ bei den geophysikalischen Arbeiten zur Erkundung von Erdöl und Gas im Ostseefestlandsockel durch die UdSSR;
  • 16. 3. 1966: Abkommen über die Bildung einer paritätischen Regierungskommission für ökonomische und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit;
  • 4. 4. 1967: Langfristiges Abkommen über die Lieferung von Erdöl aus der UdSSR und von Maschinen, Ausrüstungen und Waren aus der „DDR“.

 

1966 bestanden zwischen 44 wissenschaftlichen Forschungsinstituten Vereinbarungen über die Zusammenarbeit und den Austausch wissenschaftlicher Informationen (Deutsche Außenpolitik, Ostberlin Nr. 9/1966).

 

Die „DDR“ und die UdSSR stehen sich nicht als gleichberechtigte Vertragspartner gegenüber (Außenpolitik). Viele Anzeichen, insbesondere die Propaganda und Agitation der SED in den exportwichtigen Produktionsbetrieben deuten darauf hin, daß die SU für die ihr zugesagten Lieferungen den Vorrang vor anderen Außenhandelspartnern der „DDR“ beansprucht.

 

Ein weiteres Problem ist die Preisgestaltung. Die wenigen verläßlichen Informationen weisen darauf hin, daß die SU für die von ihr gelieferten Güter vielfach über dem Weltmarktniveau liegende Preise verlangt, andererseits aber die mitteldeutschen Gegenlieferungen in manchen Fällen mit unter dem Weltmarktniveau liegenden Preisen vergütet (siehe Teil 4: Preisgestaltung und Verrechnung). Außerdem hat die SU Mitte 1966 begonnen, von den industriell entwickelten Außenhandelspartnern des sozialistischen Lagers eine kapitalmäßige Beteiligung an den Investitionen zur Entwicklung ihrer eigenen Rohstoffindustrie zu fordern. Und schließlich scheinen die von sowjetischer Seite gelieferten Erzeugnisse nach Art und Qualität nicht immer den Ansprüchen ihrer Vertragspartner zu entsprechen. So wurde von tschechoslowakischer Seite Anfang 1968 mehrfach darüber Klage geführt, daß das Land gezwungen sei, von der SU Ausrüstungen und Maschinen zu übernehmen, die mit dem in den eigenen Betrieben erreichten technischen und technologischen Niveau nicht konkurrieren könnten. Dieser Sachverhalt dürfte für die „DDR“ wohl in ähnlicher Weise zutreffen. Der Selbstmord des mitteldeutschen Planungschefs Erich Apel am 3. 12. 1965, am Tage des Vertragsabschlusses des langfristigen Handelsabkommens mit der UdSSR, scheint ein Hinweis auf die nachteiligen Auswirkungen dieses Vertragswerkes für die mitteldeutsche Wirtschaft zu sein.

 

4. Preisgestaltung und Verrechnung

 

 

Die Preisgestaltung im Außenhandel unter den Ostblockstaaten hat, wenn man die erste, vornehmlich durch die sowjetische Reparationspolitik bestimmte Periode unbeachtet läßt, seit 1949/50 zwei Phasen durchlaufen. In der ersten Phase, etwa von 1949/50 bis 1957, wurden die Preise des westlichen Weltmarktes zugrunde gelegt, diese Preisbasis jedoch, wie es heißt, in ihrem „sozialökonomischen Inhalt den Bedingungen des sozialistischen Weltmarktes“ angepaßt. 1958 begann mit den Beschlüssen der IX. Ratstagung des RGW eine neue Phase der Preisgestaltung, indem man sich nun wieder enger an das „kapitalistische Weltmarktpreisniveau“ anlehnte. Zu dieser Umorientierung waren die Sowjets durch die politischen Krisenerscheinungen des Jahres 1956 (Ungarische Revolution, Unruhen in Polen) gezwungen, um Widerstände und zentrifugale Tendenzen im RGW abzufangen und das Interesse an der Ostintegration wachzuhalten.

 

[S. 75]Tatsächlich konnte bis heute eine befriedigende Lösung des Preisproblems nicht erreicht werden. Der entscheidende Nachteil aller sozialistischen Staaten einschließlich der „DDR“ im Außenhandel mit der SU liegt in der Beschränkung ihrer Handlungsfreiheit. Auch das Bemühen, die Preise dem Weltmarktniveau zu nähern, hat daran nichts geändert. Die Preise im Intrablockhandel werden nicht nur durch die Bedingungen des Weltmarktes bestimmt, sondern auch durch die Unfähigkeit, anderswo zu kaufen und zu verkaufen, durch die Notwendigkeit, bestehende Guthaben auszunutzen, und durch den Abschluß langfristiger Waren- und Kreditabkommen. Dementsprechend beherrschten die Differenzen und Auseinandersetzungen über die Fragen der Preisgestaltung und Verrechnung die Tagungen des RGW und die Sitzungen seines Exekutivkomitees in den letzten Jahren.

 

Die gegenseitigen Warenlieferungen der sozialistischen Staaten werden im Wege des Clearings verrechnet. Preiseinheit und Clearingeinheit ist der Rubel. Bis Mitte 1957 verrechnete man im wesentlichen bilateral, seitdem wird eine drei- und mehrseitige Verrechnung angestrebt.

 

Die Möglichkeit der mehrseitigen Verrechnung im Intrablockhandel steht und fällt mit der Konvertierbarkeit des Rubels als der allgemeingültigen Preis- und Verrechnungsbasis. Gerade diese Funktion kann der Rubel bis heute nicht erfüllen. Diese Tatsache wird weder durch Manipulationen, wie z. B. die nominelle Erhöhung seines Goldgehaltes, noch durch die sowjetische Propagandabehauptung, der Rubel sei „unter den Weltwährungen an die erste Stelle gerückt“, aus der Welt geschafft.

 

Zu den Versuchen, trotz der bisher ungünstigen Voraussetzungen, zum mehrseitigen Verrechnungsverkehr überzugehen, gehörten auch die 1962/63 gefaßten Beschlüsse über die Gründung der Internationalen Bank für Wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie die Einführung des „transferablen Rubels“. Indes müssen die Möglichkeiten des neugegründeten Bankinstituts sowie die bisher erzielten Erfolge bei der Beseitigung der hemmenden Faktoren mit Zurückhaltung beurteilt werden. Es ist sicher kein Zufall, daß die tschechoslowakischen Wirtschaftsreformer nach der Regierungsumbildung im April 1968 energischer als bisher die freie Konvertierbarkeit der tschechoslowakischen Krone zu den Leitwährungen der Welt forderten.

 

5. Außenwirtschaftsmonopol, Außenhandelsapparat und Außenhandelspolitik

 

 

In der „DDR“ besteht, wie in allen sozialistischen Ländern, ein staatliches Außenwirtschaftsmonopol. In der im April 1968 in Kraft getretenen neuen Verfassung ist es in Artikel 9 verankert.

 

Das staatliche Außenwirtschaftsmonopol soll nach der kommunistischen Lehrmeinung im Interesse des sozialistischen Aufbaus den Bedarf an Rohstoffen, Halbfabrikaten und Industrieerzeugnissen sichern; den Außenhandelsumsatz planmäßig und kontinuierlich steigern; die Wirtschaft vor Störungen von seiten der kapitalistischen Umwelt abschirmen.

 

Die Handhabung des Außenwirtschaftsmonopols setzt eine geeignete Organisationsform voraus. Für die Planung, Leitung und Kontrolle der gesamten A. ist das Ministerium für A. zuständig. Ihm unterstehen die folgenden Außenhandelsorgane: die Außenhandelsunternehmen (AHU); die Kammer für Außenhandel; die Zollverwaltung; das Deutsche Institut für ➝Marktforschung; die Außenhandelswerbegesellschaft mbH; der VEB Deutrans, Internationale Spedition und Befrachtung; die Intercontrol GmbH — Deutsche Warenkontrollgesellschaft; die Deutsche Auslands- und Rückversicherungs-AG (DARAG); und der VEB Leipziger Messeamt (Leipziger Messe).

 

Die Außenwirtschaftspolitik ist den politischen Zielsetzungen der kommunistischen Führung in Mitteldeutschland untergeordnet. Wo immer sich eine Möglichkeit bietet, versucht man auf dem Umweg über wirtschaftliche Verbindungen politisches Kapital zu bilden. Dazu gehören vor allem die Versuche, von kurzfristigen, auf privater Basis abgeschlossenen Verträgen (Bankenabkommen, Kammerabkommen) zu längerfristigen Handelsabkommen auf staatlicher Grundlage zu gelangen. Gleichzeitig ist man bestrebt, das Netz staatlicher Handelsvertretungen zu erweitern. Dabei gewinnt die Leipziger Messe an Bedeutung, weil man glaubt, dort eine besonders gute Operationsbasis für die politischen Zielsetzungen zu besitzen. Auch die intensive Be[S. 76]teiligung der „DDR“ bzw. ihrer Außenhandelsunternehmen am internationalen Messe- und Ausstellungswesen dient u.a. diesem Zweck.

 

Im Perspektivplan bis 1970 ist eine überproportionale Steigerung der Außenhandelsumsätze vorgesehen. Hierin drückt sich die Erkenntnis aus, daß in Anbetracht der Erschöpfung der Arbeitskraftreserven eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik ohne Rationalisierung des eigenen Produktionsapparates mit Hilfe verbesserter außenwirtschaftlicher Beziehungen kaum möglich sein dürfte.

 

In diesem Zusammenhang kommt auch der Vergabe und dem Erwerb von Lizenzen, Schutzrechten und technischer Dokumentation erhöhte Bedeutung zu. Die Bestrebungen der Außenwirtschaftsorgane sind jetzt vorrangig darauf gerichtet, die Lizenznahme zu verstärken und sie vor der Lizenzvergabe ökonomisch zu stimulieren. Und schließlich ist die Außenwirtschaftspolitik darauf gerichtet, durch Anwendung der Prinzipien des Neuen Ökonomischen Systems die A. in Mitteldeutschland effektiver zu gestalten.

 

6. Das Neue ökonomische System in der Außenwirtschaft

 

 

Schrittweise sollen die Leitgedanken des Neuen Ökonomischen Systems auch in der A. verwirklicht werden. Alle Maßnahmen zielen darauf hin, die bisherige Trennung zwischen Binnen- und Außenmarkt aufzuheben, die A. effektiver zu machen und die bisher erforderlichen hohen Exportsubventionen abzubauen. Die getroffenen und noch zu treffenden Maßnahmen lassen sich folgendermaßen gliedern:

 

a) Organisatorische Maßnahmen

 

 

Umbildung der Außenhandelsunternehmen zu Verkaufsorganen der VVB; Einrichtung von Exportkontoren im Rahmen der Erzeugnisgruppen; Bildung eines wissenschaftlichen Beirats beim Außenwirtschaftsministerium.

 

b) Planung und Leitung der Außenwirtschaft

 

 

Ausrichtung der Planung und Führungstätigkeit des Ministeriums für Außenwirtschaft auf den volkswirtschaftlichen Nutzeffekt. Beschleunigung der Produktion von Erzeugnissen mit guter, Beschränkung der Produktion derjenigen mit negativer Devisenrentabilität bei gleichzeitiger Sicherung des staatlichen Außenhandelsmonopols.

 

c) Wirtschaftliche Rechnungsführung --- System ökonomischer Hebel

 

 

Das Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung (Rechnungswesen) wird in den AHU weiterentwickelt. Seiner Durchsetzung dient ein System ökonomischer Hebel mit Preiszuschlägen und Preisabschlägen zur Gewährleistung der Exportrentabilität; Eigenerwirtschaftung der Betriebsmittel aus der Handelsspanne (früher Zahlung aus dem Staatshaushalt); Differenzierung der Handelsspanne nach Gesichtspunkten der Volkswirtschaft und der Außenwirtschaftspolitik.

 

d) Ergebnisbeteiligung

 

 

Gemeinsam werden die VVB und AHU am Außenwirtschaftsergebnis beteiligt, wobei zwischen planmäßigen und außerplanmäßigen Gewinnen unterschieden wird. Die Ergebnisbeteiligung erstreckt sich auch auf Valutaanrechte für Nichtbenutzung im Plan vorgesehener Valutamittel, bzw. zusätzliche Devisenerwirtschaftung. Die durch Gewinnbeteiligung erworbenen Mittel sollen sowohl zur Erhöhung des Prämienfonds als auch zum Erwerb von Lizenzen und zum Ausbau der Absatz- und Kundendienstorganisation verwendet werden.


 

Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 68–76


 

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Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.