DDR von A-Z, Band 1969

Familie (1969)

 

 

Siehe auch:


 

Familienideologie. Seit Bestehen ihrer Herrschaft ist die SED bemüht, die F.-Struktur zu ändern. Oberstes und seit der Verabschiedung des Familiengesetzbuches (FGB) offiziell unangetastetes Ziel ist die Erhaltung und Förderung der F. Das wird ideologisch untermauert a) durch den Rückgriff auf die marxistisch-leninistische Tradition, wobei gewisse Axio[S. 184]me („Abschaffung“ der F.) uminterpretiert werden; b) durch die Absetzung von der „bürgerlichen“ F.-Auffassung. Wesentliches Charakteristikum der angezielten F.-Ordnung ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau, von Eltern und Kindern im Sinne des Kollektivgedankens. Die F. erhält ihren Platz in der Gesellschaft als „kleinste Zelle“, als „Organisationsform des persönlichen Lebensbereichs“, der jedoch nicht gegenüber der Gesellschaft abgeschlossen ist, sondern „gleiche Ziele, Wünsche, Interessen wie die Gesellschaft“ hat. Die F. soll sich in größere Kollektivs, wie die Hausgemeinschaften und die Arbeitsbrigaden (Brigaden der sozialistischen Arbeit, Brigaden der LPG), einreihen. Solchen Kollektiven wie auch den schulischen Organisationsformen (Elternbeiräte) u.a. wird ein Mitspracherecht in familiären Angelegenheiten eingeräumt. Mit ihrer F.-Politik ist der SED in gewissem Sinne ein über die industriegesellschaftlich bedingten Veränderungen in Ost und West hinausgehender Einbruch in die traditionell-bürgerliche F.-Struktur gelungen — vor allem durch die Eingliederung der Frauen in das Berufsleben und die frühzeitige Einschaltung gesellschaftlicher Organisationen in den Erziehungsprozeß (Erziehungs- und Bildungswesen, Vorschulerziehung). Die Desorganisation der F. wird stärker vorangetrieben, die Privatheit der F. bedenkenloser abgebaut, als dies westliche F.-Ideologie zulassen würde.

 

Familienpolitik. Konkrete, im Selbstverständnis familienfördernde Maßnahmen der SED-F.-Politik sind: Steuererleichterungen (Steuerklassen u.a. nach F.-Stand und Kinderzahl); staatlicher ➝Kinderzuschlag; staatliches Kindergeld; Hausarbeitstag für Frauen; Geburtsbeihilfe (für alle Mütter bei Geburt des 1. Kindes: 500,– M, des 2.: 600,– M, des 3.: 700,– M, des 4.: 850,– M, des 5. und jedes weiteren: 1.000,– M, deren Auszahlung die Konsultation der Schwangeren- und später der Mütterberatungsstellen (Schwangerenberatung) voraussetzt. Ferner sind die Ehe- und F.- bzw. Ehe- und Sexualberatungsstellen, die unter der Verantwortung der Räte der Kreise stehen und mit den gesellschaftlichen Organisationen in den Kreisen zusammenarbeiten sollen, zu erwähnen. Ihre Einrichtung ist im FGB (§ 4 und 1. DB zum FGB vom 17. 2. 1966) verankert. Sie arbeiten mit ehrenamtlichen Kräften (vorgeschrieben sind: ein Arzt, ein Jurist, ein Pädagoge für jede Beratungsstelle). Schließlich ist hinzuweisen auf die arbeitsrechtlichen Sonderregelungen für werdende Mütter und ihre Wiedereingliederung in den Produktionsprozeß (§§ 123–133 Gesetzbuch der Arbeit [GBA], vgl. auch Frauen) sowie auf den Ausbau der Fürsorge- und Erziehungseinrichtungen für Kinder im Vorschul- und Schulalter (Kinderkrippen). Auch die gesetzlichen Regelungen über die Eheschließung, die Ehescheidung usw. im FGB werden als familienfördernd angesehen.

 

Familienwirklichkeit. Ein Urteil darüber, wie stark sich die F.-Struktur tatsächlich verändert hat, ist beim gegenwärtigen Stand der Forschung nicht möglich. Eine umfassendere empirische familiensoziologische Untersuchung ist bisher noch nicht vorhanden, es gibt jedoch einige, z. T. auch umfangreichere Spezialstudien (zusammenfassende Übersicht und umfangreiche Bibliographie bei A. Geißler, in: „Probleme und Ergebnisse der Psychologie“, Hefte 13, 14/1965). In vielen jugendsoziologischen Arbeiten (Jugendsoziologie) ist die F.-Situation mit thematisiert.

 

Schließlich sind den „Statistischen Jahrbüchern“ einige aufschlußreiche Zahlen zu entnehmen. Nach dem Stand der Volkszählung 1964 lebte die Bevölkerung von 17.003.646 Personen in 1.806.700 Einpersonen-, 4.831.600 Mehrpersonen- und 6.700 Anstaltshaushalten. Die durchschnittliche Größe aller Ein- und Mehrpersonenhaushalte betrug 2,5 Personen, bei Mehrpersonenhaushalten 3,1 Personen. Zwischen 1950 und 1964 haben die Einpersonenhaushalte um 27,1 v. H. zu- und die Mehrpersonenhaushalte um 7,9 v. H. abgenommen, bedingt durch die Überalterung der Bevölkerung.

 

In 2,4 Mill. der 4,8 Mill. Mehrpersonenhaushalte leben Kinder unter 17 Jahren, und zwar 1 Kind in 1,2 Mill., 2 Kinder in 0, 7 Mill., 3 und mehr Kinder in 0,5 Mill. Haushalten. Auch hier ist also, neben der kinderlosen F., die Klein-F. (Vater, Mutter, 1 oder 2 nichterwachsene Kinder) vorherrschend.

 

Charakteristisch ist die hohe Zahl frühgeschlossener Ehen (gesetzliches Mindestheiratsalter: das vollendete 18. Lebensjahr). Das durchschnittliche Heiratsalter ist bei ledigen Männern von 25,2 (im Jahre 1953) auf 24,2 (1965) gesunken; bei ledigen Frauen von 23,5 (1953) auf 22,9 Jahre (1965). Die Scheidungsziffem liegen, im internationalen Vergleich, hoch (Ehescheidungen), der Anteil junger an den geschiedenen Ehen ist groß.

 

Literaturangaben

  • Friesen, Marie, und Wolfgang Heller: Das Familienrecht in Mitteldeutschland. (BMG) 1968. 228 S.
  • Hagemeyer, Maria: Zum Familienrecht der Sowjetzone — Der „Entwurf des Familiengesetzbuches“ und die „Verordnung über die Eheschließung und Eheauflösung“. 3., überarb. Aufl. (BMG) 1958. 75 S.
  • Weber, Gerda: Das Familiengesetz der SBZ. (BMG) 1966. 76 S.

 

Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 183–184


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.