DDR von A-Z, Band 1969

Familienrecht (1969)

 

 

Siehe auch:


 

Gesamtheit der gesetzlichen Vorschriften über die persönlichen und vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Familienmitgliedern, zusammengefaßt in dem seit dem 1. 4. 1966 gültigen Familiengesetzbuch (FGB) vom 20. 12. 1964 (GBl. 1966 I, S. 1).

 

Durch Art. 7 Abs. 2 und Art. 30 Abs. 2 der Verfassung vom 7. 10. 1949 waren bereits nach Gründung der „DDR“ alle dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau entgegenstehenden Bestimmungen aufgehoben worden (Gleichberechtigung der Frau). Die aufgehobenen, alten familienrechtlichen Vorschriften waren aber nur zum Teil durch neue gesetzliche Bestimmungen ersetzt worden. Der vom Justizministerium 1954 fertiggestellte Entwurf eines Familiengesetzbuches ist nicht als Gesetz verabschiedet worden. Lediglich die Vorschriften über die Eheschließung und Eheauflösung mußten durch eine besondere VO vom 24. 11. 1955 (GBl. S. 849) in Kraft gesetzt werden, nachdem das vom Kontrollrat erlas[S. 185]sene Ehegesetz vom 20. 2. 1946 durch den am 19. 9. 1955 verkündeten Beschluß des sowjet. Ministerrates aufgehoben worden war. Das „Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau“ vom 27. 9. 1950 (GBl. S. 1037), das vor allem den Einsatz der Frau in der Produktion sichern sollte, bestätigte den Grundsatz der Gleichberechtigung, regelte aber nur wenige familienrechtliche Fragen (Familienpolitik). Weitere Rechtsgrundsätze für die Behandlung von Familienrechtsstreitigkeiten in Auslegung der Verfassung und des Gesetzes vom 27. 9. 1950 wurden daher 1951 von einer Kommission aus den Vertretern der obersten Justizbehörden festgelegt, um die durch das Fehlen gesetzlicher Bestimmungen eingetretene Rechtsunsicherheit zu beseitigen. Die im wesentlichen hiermit übereinstimmenden Grundsätze des Entwurfs von 1954 sind daher schon als geltendes Recht angewendet worden. Von den Vorschriften dieses FGB-Entwurfs weicht das FGB vom 20. 12. 1965 z. T. erheblich ab. Entsprechend dem Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau haben die Ehegatten über alle das eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten eine einverständliche Entscheidung herbeizuführen.

 

Ein Entscheidungsrecht des Ehemannes gibt es nicht. Als Familiennamen können die Eheleute bei der Eheschließung den Namen des Mannes oder der Frau wählen. Beide Elternteile üben während des Bestehens der Ehe das elterliche ➝Erziehungsrecht gemeinsam aus. Die unehelichen Kinder haben im Verhältnis zu ihren Eltern und deren Verwandten grundsätzlich die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes. Völlig neu ist die Adoption geregelt worden.

 

Die Vorschriften des FGB über Eheschließung und Eheauflösung entsprechen im wesentlichen den Bestimmungen der durch das FGB aufgehobenen „VO über Eheschließung und Eheauflösung“ vom 24. 11. 1955. Mann und Frau müssen 18 Jahre alt sein (Volljährigkeit), wenn sie heiraten wollen. Bei der Ehescheidung kommt es nicht auf das Verschulden, sondern darauf an, ob die Ehe objektiv zerrüttet ist und deshalb ihren Sinn für die Eheleute, die Kinder und damit auch für die Gesellschaft verloren hat. Es gibt keinen Schuldausspruch im Scheidungsurteil. Im Gegensatz zu dem vorher gültigen Scheidungsrecht können jedoch nach dem FGB bei der Entscheidung über das Erziehungsrecht und über den Unterhaltsanspruch die „Umstände, die zur Scheidung geführt haben“, berücksichtigt werden. Der Ehegatte, dessen Verhalten zur Scheidung geführt hat, verliert grundsätzlich jeden Unterhaltsanspruch (Unterhaltspflicht). Durch das FGB ist der bisherige gesetzliche Güterstand der Gütertrennung durch den Güterstand der Eigentums- und Vermögensgemeinschaft ersetzt worden. Bei Auflösung der Ehe ist das gemeinschaftliche Eigentum und Vermögen grundsätzlich zu gleichen Anteilen zu teilen. Das Gericht kann aber unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag eines Ehegatten eine ungleiche Teilung vornehmen oder sogar das gesamte Vermögen einem Ehegatten übertragen. Wenn ein Ehegatte zur Vergrößerung oder zur Erhaltung des Vermögens des anderen Ehegatten wesentlich beigetragen hat, kann das Gericht ihm außer seinem Anteil am gemeinschaftlichen Vermögen einen Ausgleichsanspruch zusprechen.

 

Die Aufwendungen für die Familie sind von beiden Ehegatten und den Kindern, entsprechend ihrem Einkommen und sonstigen Mitteln, durch Geld-, Sach- und Arbeitsleistungen gemeinsam zu erbringen. Die von ihrem Mann getrennt lebende oder geschiedene Ehefrau hat nur unter bestimmten Voraussetzungen einen zeitlich begrenzten Unterhaltsanspruch, da in der sozialistischen Gesellschaft jeder arbeitsfähige Mensch seinen Unterhalt durch eigene Arbeit verdienen soll.

 

Gleichzeitig mit dem FGB ist am 1. 2. 1966 die Familienverfahrensordnung vom 17. 2. 1964 (GBl. II, S. 171) in Kraft getreten, durch die die bis dahin gültige Eheverfahrensordnung vom 7. 2. 1956 aufgehoben worden ist. Wie bisher ist in allen Ehesachen das Kreisgericht des letzten gemeinsamen Wohnsitzes der Ehegatten örtlich zuständig (Zivilprozeß). Bei Eheleuten, von denen mindestens einer „Bürger der DDR“ ist, die jedoch beide keinen Wohnsitz in der „DDR“ haben, wird das Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte für ausschließlich zuständig erklärt. Diese Zuständigkeitsregelung zielt offensichtlich auf die seit der Gründung der „DDR“ geflüchteten oder legal in den Westen übergesiedelten Bürger und deren Kinder ab (Staatsbürgerschaft). Die Verhandlung in Ehesachen ist öffentlich. Wie in anderen gerichtlichen Verfahren sind auch hier in zunehmendem Maße gesellschaftliche Kräfte in das Eheverfahren einzubeziehen (Gesellschaftliche Erziehung). Gleichzeitig mit dem Scheidungsverfahren sind das elterliche Sorgerecht und der Unterhalt der Kinder und der Ehegatten zu regeln.

 

Wie der Bundesgerichtshof festgestellt hat, dient auch das Scheidungsrecht in der „DDR“ der Errichtung der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Aus diesem Grunde werden in der BRD Ehescheidungsurteile der Gerichte der „DDR“ nicht mehr anerkannt, wenn die beklagte Partei zur Zeit des Urteils ihren dauernden Aufenthalt in der BRD hatte und die Scheidung nach westdeutschem Recht nicht hätte ausgesprochen werden dürfen. (BGH, Urt. vom 28. 3. 1962 — „Ehe und Familie“, 1963, S. 32.)

 

Literaturangaben

  • Friesen, Marie, und Wolfgang Heller: Das Familienrecht in Mitteldeutschland. (BMG) 1968. 228 S.
  • Hagemeyer, Maria: Zum Familienrecht der Sowjetzone — Der „Entwurf des Familiengesetzbuches“ und die „Verordnung über die Eheschließung und Eheauflösung“. 3., überarb. Aufl. (BMG) 1958. 75 S.
  • Weber, Gerda: Das Familiengesetz der SBZ. (BMG) 1966. 76 S.

 

Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 184–185


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.