DDR von A-Z, Band 1969

Industrie (1969)

 

 

Siehe auch die Jahre 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1975 1979 1985

 

Mitteldeutschland war bereits vor der Spaltung Deutschlands in etwa gleichem Umfange industrialisiert wie das jetzige Bundesgebiet. Während jedoch in Westdeutschland besonders die Grundstoff-I. und der Schwermaschinenbau beheimatet waren, hatten in Mitteldeutschland vor allem die metallverarbeitende I. und die Verbrauchsgüter-I. wesentliche Standorte. Die Grundstoff-I. und der materialintensive Schwermaschinenbau waren gering entwickelt, weil hier die erforderlichen Bodenschätze fehlen. Eine hochqualifizierte Facharbeiterschaft ermöglichte jedoch die Entwicklung von Verarbeitungs-I. mit hoher Wertschöpfung je Arbeitsplatz. Im letzten Jahr mit normaler Friedensproduktion vor dem zweiten Weltkrieg, d.h. 1936, hatte das Gebiet innerhalb des Reichsgebietes bei einem Bevölkerungsanteil von rd. 25 v. H. z. B. folgende Anteile an der I-Produktion:

 

 

Die mitteldeutsche I. war 1936 mit rd. 27 v. H. am Bruttosozialprodukt des Reichsgebietes beteiligt. Durch Kriegs- und Kriegsfolgeschäden (Reparationen) verlor sie mehr als die Hälfte ihrer Produktionskapazitäten.

 

 

Die Kapazitätsverluste der I. waren damit doppelt so groß wie die der westdeutschen I.

 

Der Wiederaufbau der I. nach 1945 geschah nach dem von der SU bestimmten und von der SED-Führung durchgeführten Programm, in dem politische Gesichtspunkte den Vorrang hatten. Die Spaltung Deutschlands schnitt die Verarbeitungs-I. Mittel[S. 281]deutschlands von ihren traditionellen Bezugsquellen für Rohstoffe und Halbfabrikate in Westdeutschland ab. Die dadurch verursachten Schwierigkeiten waren um so größer, als die einzelnen I.-Zweige durch den Krieg und die sowjet. Reparationspolitik unterschiedliche Kapazitätsverluste erlitten hatten. Die I. bedurfte daher — ebenso wie die I. der BRD unter anderen Vorzeichen — der Hilfe von außen. Die SED-Führung stützte sich auf die SU und übernahm das sowjetische Wirtschaftssystem (Wirtschaft). Zu den wichtigsten Maßnahmen gehörten die Verstärkung der Grundstoffindustriebereiche (Braunkohlen-I., Energiewirtschaft, eisenschaffende I., chemische Grundstoff-I.) und die Inangriffnahme des Aufbaus einer bis dahin in Mitteldeutschland nicht beheimateten Schwermaschinenbau-I. Die Komplettierung der mitteldeutschen I.-Struktur verschlang riesige Investitionsmittel, die die Bevölkerung durch erzwungenen Konsumverzicht aufzubringen hatte. Zum Beispiel wurden nicht weniger als 24 Schwermaschinenbaubetriebe errichtet zur Herstellung von Walzwerkseinrichtungen, Zementfabriken, Bergbaumaschinen, Brikettfabriken, Dampfkesseln und großen Energie- und Elektromaschinen.

 

Zwar sind durch die schwerindustrielle Komplettierung der I. die nach dem Kriege eingetretenen Disproportionen etwas gemildert worden, aber die Bezugsabhängigkeit der Verarbeitungs-I. von auswärtigen Rohstoff- und Materiallieferungen ist noch beträchtlich. (Industrierohstoffe).

 

Die I. ist — ebenso wie in der BRD — der weitaus bedeutendste Wirtschaftsbereich. Ihr Anteil an der Bildung des Sozialprodukts beträgt mehr als zwei Drittel.

 

Auch der Beschäftigtenanteil der I. liegt weit über dem aller anderen Bereiche. Die Hauptstandorte der I. liegen in den südlichen Bezirken. Nördlich einer Linie Magdeburg–Dessau–Wittenberg–Finsterwalde–Cottbus sind nur etwa 20 v. H. der Berufstätigen in der I. beschäftigt, obwohl das Gebiet etwa 60 v. H. der Fläche der „DDR“ einnimmt. Die Planungsinstanzen sind bemüht, durch langfristige Gebietsplanung die Ungleichheit der wirtschaftlichen Entwicklung der nördlichen Gebiete zu mildern, soweit die natürlichen Voraussetzungen das zulassen. In den letzten 15 Jahren sind bereits einige neue I.-Zentren im nördlichen Gebiet entstanden: in den Räumen Schwedt, Frankfurt/Oder, Fürstenwalde, Rostock. Weitere Industrialisierungsvorhaben betreffen die Räume Neubrandenburg, Schwerin und Ueckermünde. Das Strukturbild der I.-Bereiche und I.-Zweige in beiden Teilen Deutschlands hat sich seit der Teilung des Gebietes etwas im Laufe der Jahre angenähert.

 

 

Die Chemische I. war bereits vor dem Kriege in Mitteldeutschland stärker entwickelt als in Westdeutschland. Nach dem Aufbau eines eigenen Schwermaschinenbaus ist die Maschinenbau-I. in beiden Teilen Deutschlands etwa gleich stark an der I.-Produktion beteiligt. Die Maschinenbau-I. und alle anderen metallverarbeitenden I.-Zweige haben drüben jedoch keine gesicherte Rohstoffbasis. Die Metallurgie ist [S. 282]schwächer entwickelt als die eisenschaffende und NE-Metall-I. in der BRD, da drüben keine nennenswerten Erzlager sind. (Bergbau)

 

Der Anteil des Kraftfahrzeugbaus ist erheblich geringer als in der BRD. Dagegen ist der Anteil der feinmechan. u. optischen I. in Mitteldeutschland größer, desgl. der Schiffbau.

 

 

Die I.-Produktion wurde seit 1950 erheblich gesteigert. Dazu trugen insbesondere das Können und der Fleiß der mitteldeutschen I.-Arbeiterschaft und der Techniker und Ingenieure bei, die ihr Bestes gaben, um trotz der Planungsmängel, trotz ungenügender technischer Ausstattung der Betriebe (Technologie) und unzureichender Materialversorgung die Produktion zu erhöhen. Gleichwohl besteht im mengenmäßigen Produktionsniveau je Kopf der Bevölkerung noch ein Abstand zur I. der BRD, der ohne Berücksichtigung der Unterschiede in der Qualität der Erzeugnisse für das Jahr 1966 von westdeutschen Sachverständigen auf etwa 15 bis 20 v. H. geschätzt worden ist. Hinsichtlich der Effizienz der I.-Produktion — also bezogen auf den ökonomischen Nutzen — wird der Rückstand noch höher als beim Mengenvolumen eingeschätzt. Die I.-Produktion wird mit einem gegenüber der BRD um rund 25 v. H. höheren Arbeitsvolumen erbracht, weil die Arbeitszeit länger und der Anteil der in der I. Beschäftigten höher ist. Hinzu kommt, daß in vielen Betrieben die vergleichsweise unmoderne Technologie eine rationellere Produktion nicht ermöglicht. 1967 hat sich dieser Rückstand etwas verringert, da in der BRD im Zusammenhang mit der allgemeinen wirtschaftlichen Rezession die I.-Produktion zurückging, während sie in der „DDR“ in bisherigem Umfange angestiegen ist.

 

Die I. ist nahezu vollständig verstaatlicht. 1966 entfiel auf die Betriebe mit privaten Inhabern nur ein Anteil von 2,4 v. H. der industriellen Bruttoproduktion. Aber auch für diesen Rest an Privatbetrieben gibt es keinerlei Selbständigkeit, denn auch sie sind vollständig in das Planungssystem eingebaut.

 

Privatbetriebe in nennenswerter Zahl gibt es nur noch im Bereiche der Verbrauchsgüterherstellung; innerhalb dieser Gruppe ist ihr Anteil in der Schuh- und Bekleidungs-I. am höchsten.

 

[S. 283]

 

 

Innerhalb der Länder des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe nimmt die I. der „DDR“ einen ersten Platz ein. Die Erzeugnisse des Maschinenbaus erreichten 1966 einen Anteil von etwa 65 v. H. am Gesamtexport; etwa vier Fünftel davon gingen in die Länder des Sowjetblocks. Hauptempfänger war die SU. Die hohen Lieferverpflichtungen gegenüber der SU und den anderen Sowjetblockländern bei Erzeugnissen des Maschinenbaus sind ein wesentlicher Grund für die im Durchschnitt unzulängliche Ausstattung der I. mit modernen, leistungsstarken Maschinen und für ihren Rückstand im Produktionsniveau und in der Produktivität. (Volkseigene Industrie, Eisen- und Stahlindustrie, Maschinenbau, Chemische Industrie, Kohlenindustrie, Kalibergbau, Kupferbergbau, Textilindustrie, Holzindustrie, Kraftfahrzeugindustrie, Schiffbau, Papierindustrie, Leichtindustrie, Schwerindustrie, VVB, Bezirksgeleitete Industrie)

 

Literaturangaben

  • *: Die Industrieproduktion der sowjetischen Besatzungszone nach Abschluß des III. Quartals 1953. (Mat.) 1954. 24 S. m. 11 Anlagen.
  • Kalus, Hellmuth: Wirtschaftszahlen der SBZ. 4., erw. Aufl. (BMG) 1964. 194 S. m. zahlr. Tab.
  • Karden, Erich: Der Bergbau in der sowjetischen Besatzungszone. (Mat.) 1953. 44 S. m. 13 Anlagen.
  • Kinzel, Eduard: Die Elektrizitätswirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone. (Mat.) 1954. 44 S. m. 11 Anlagen u. 1 Schaubild.
  • Kitsche, Adalbert: Die öffentlichen Finanzen im Wirtschaftssystem der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. (BMG) 1954. 68 S. m. 1 Anlage.
  • Kitsche, Adalbert: Das Steuersystem in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Gelsenkirchen 1960, Buersche Druckerei Dr. Neufang. 187 S. m. zahlr. Tab.
  • *: Der Kohlenbergbau und die Energiewirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands im Jahre 1955 und nach der Planung 1956/60. (FB) 1957. 91 S. m. 5 Anlagen.

 

Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 280–283


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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